Echt wie ein Foto
Die Szenen sind Motorsport-Geschichte. Es gibt aber weder einen Film noch Fotos davon. Zwei Künstler aus Prag lassen heiße Rennszenen aus der Vergangenheit mit großem Aufwand und moderner Computertechnologie neu aufleben.
Die Silberpfeil-Ära vor dem zweiten Weltkrieg. Die Targa Florio. Le Mans zwischen 1960 und 1970. Die Tour de France Automobile. Die meisten von uns kennen diese Zeit nur aus Büchern. Und jetzt stellen Sie sich vor, sie wären mittendrin.
Sie erleben noch einmal Elisabeth Junek bei einem Boxenstopp bei der Targa Florio 1928. Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer 1934 am Nürburgring, wie er der Legende nach die Farbe von den Autos abkratzen lässt und so den Silberpfeil-Mythos begründet. Den wunderbaren Ferrari 250 GTO bei der automobilen Tour de France im Jahr 1964. Oder Hans Herrmann und Dick Attwood, wie sie 1970 in Le Mans bei strömendem Regen mit dem Porsche 917 ihrem Sieg entgegenfahren.
Geht nicht, sagen Sie? Weil die Welt damals noch ihre Geheimnisse hütete und der Wahnsinn alles digital zu erfassen noch nicht um sich gegriffen hatte. Es gibt nur Zeitzeugenberichte, grobkörnige Schwarzweiß-Bilder, Fotos aus langweiligen Perspektiven, Zeichnungen von Michael Turner oder Walter Gotschke.
Von der Werbebranche zum Motorsport-Projekt
Es gab. Jan Rambousek und Petr Milerski, zwei Künstler aus Prag, haben die Geschichte wiederbelebt. Weder Fotos, noch Zeichnungen. Sie haben eine dritte Dimension erfunden, die mit viel Recherche, Sketchen und Fotos beginnt und am Computer in ein Bild umgesetzt wird, das so echt erscheint, als wäre seinerzeit eine moderne Kamera zur Hand gewesen. Der Prozess dauert von der Idee bis zur Umsetzung zwischen drei und sechs Monate.
Seit einem Besuch auf der alten Rennstrecke von Brünn verehrt Jan Rambousek die Silberpfeile, die dort vor dem zweiten Weltkrieg Rennsportgeschichte geschrieben haben. Sie weckten seine Begeisterung für die Ära der Staubkappen-Ritter in den silbernen Ungetümen von Mercedes und Auto Union.
Zusammen mit Petr Milerski, den Rambousek aus der Werbebranche kennt, entstand der Plan Rennsport-Geschichte neu zu illustrieren. „ Auf dem Werbemarkt musste alles immer schneller und billiger gehen. Darunter hat die Kreativität gelitten. Da haben wir uns für unser eigenes Projekt entschieden bei dem uns keiner mehr sagt, wie es aussehen soll, was wir zu tun haben, wann es fertig sein muss“, erzählt Rambousek. Er ist der Künstler und Ideengeber, Milerski der Zauberer der Computer-Grafik.
Das Versuchsobjekt: Der Blitzen-Benz 1911
Zuerst wollten sich Rambousek und Milerski selbst beweisen, dass ihr Plan aufgehen und sich das Endprodukt verkaufen kann. Ihr Versuchsobjekt war die Rekordfahrt des Blitzen-Benz 1911 am Strand von Daytona. Das Ergebnis entsprach den Erwartungen und war der Startschuss für die Silberpfeil-Sammlung.
Rambousek, Milerski und ein Team von 6 Leuten arbeiteten 3 Jahre an 12 Bildern, die eine Geschichte wiedererzählen, die von 1934 bis 1939 dauerte. Rambousek zum Konzept: „Sie beginnt mit der Legende vom Lackabkratzen und endet mit Caracciolas Sieg 1939 am Nürburgring. Wir haben versucht, das ganze Spektrum dieser Zeit einzufangen. Unterschiedliche Rennen, Rennstrecken und Blickwinkel, der Start, Boxenstopps, Überholmanöver, Unfälle, Rennszenen im Regen.“
Inzwischen nähern sich die Grafik-Künstler der Gegenwart an, wobei bei den 70er Jahren vermutlich eine Grenze gezogen wird. Der Rennsport danach ist genügend gut mit Fotos dokumentiert, und die Stories haben nicht mehr die Dramatik haben wie einst.
Zur Mercedes-Collection kamen eine Ferrari 250 FTO-Sammlung und Motive vom Porsche 917 in Le Mans. Die jüngsten Projekte sind das legendäre Le Mans.Finale der Ford GT40 1966 in Le Mans, der Fahrertausch der siegreichen BMW-Piloten Fritz Huschke von Hanstein und Walter Bäumer kurz vor dem Ziel der Mille Miglia 1940 und das Duell zwischen Niki Lauda und James Hunt aus der Weltmeisterschaft 1976.
Bugatti T35: Mit 15 Schauspielern ins Studio
Aus den Werken nach der Silberpfeil-Klausur sticht vor allem ein Bild heraus, das zeigt, mit welchem Aufwand und welcher Präzision eine Szene, die sich vor 88 Jahren abgespielt hat, ihren Weg auf hochwertiges Papier findet. Das Motiv lag für die beiden Tschechen auf der Hand. Elisabeth Junek war Tschechin. Der Bugatti T35 ein faszinierendes Auto. Die Targa Florio ein Mythos. Doch wie sollte man den Einsatz der zierlichen Rennfahrerin in dem mächtigen Bugatti am besten in Szene setzen?
Rambousek entschied sich für einen Boxenstopp. Aber nicht von der Seite wie auf pixeligen Schwarzweiß-Fotos hinreichend dokumentiert, sondern von oben. Eine Kameraposition, die es 1928 nicht gab. Vorbild für den Blickwinkel war ein Boxenstopp von Fernando Alonso im Ferrari 2010. So wollten Rambousek und Milerski auch den Bugatti in Szene setzen.
Zuerst wurden Bücher gewälzt, um herauszufinden wie viele Luftschlitze der gelbe Bugatti T35 bei diesem Rennen unterhalb des Kühlergrills hatte. Es gab ihn in unzähligen Varianten. Ob er vielleicht eine Delle oder Lackschäden nach Steinschlag mit sich trug. Wie das Kissen aussah, das die klein gewachsene Junek für eine optimale Sitzposition verwendete. Und wie die Mechaniker, die herumstehenden Polizisten, der Rotkreuz-Sanitäter angezogen waren.
Dann wurden 15 Schauspieler engagiert, in zeitgenössische Kostüme gesteckt, originale Requisiten gesucht und im Studio in verschiedenen Posen um ein virtuelles Auto herum fotografiert. Vorlage für die Lage und Position von Personen und Werkzeugen war ein zeitgenössisches Bild von der Seite. So verbindet sich Authentizität mit künstlerischer Freiheit.
„Der Moment muss nicht 100-prozentig richtig sein, aber die Details müssen stimmen“, sagt Milerski. Nach dem gleichen Vorbild ging man auch bei der Silberpfeil-Illustration vom Nürburgring 1934 vor. „Wir wussten nicht, wie es in jener Nacht, als angeblich der Lack abgekratzt wurde, im Fahrerlager aussah, aber wir haben unsere Phantasie spielen lassen und ein Bild komponiert, wie es ausgesehen haben könnte“, erzählt Rambousek.
Innerhalb eines Monats entstand der Bugatti am Computer als Modell. Damit konnte man das Auto in die Position bringen, die man wollte. In vier weiteren Schritten nahm die Szenerie Gestalt an. Das CD-Modell bekam Farbe, Kratzer, Schmutzflecken, alle Personen und Gegenstände ihre zugehörigen Schatten.
Dann wurde das nun colorierte Modell so inszeniert, wie man es für das finale Bild brauchte und der Lichtstimmung des später hinzugefügten Umfelds angepasst. Zum Abschluss wurden das Auto und die ebenfalls digital erstellte Umgebung zusammengefügt. Vorlage für die 3D-Darstellung waren die Studiofotos.
Porsche 917: Lackschäden wie in der Wirklichkeit
Die Detailtreue ist atemberaubend. Beim Porsche 917 von 1970 in der Salzburg-Lackierung wurden anhand von Fotos kleinste Steinschläge am Computer nachempfunden. Der Shell-Aufkleber links vorne an der Nase verläuft nicht parallel zum weißen Strich, sondern leicht schräg versetzt. Der Borg & Beck-Sticker sitzt auf der rechten Seite dort, wo er auch in Wirklichkeit war. An einer anderen Stelle als links. Und die Regentropfen perlen so ab, wie es der Physik entspricht.
Das Endprodukt hat den Preis, den der Aufwand rechtfertigt. Es kostet als Poster oder Druck je nach Größe (von 50 x 21 cm bis 220 x 94 cm) und Auflage (von 5 bis 1.000) zwischen 35 und 5.500 Dollar. Quasi als Abfallprodukt fertigt die Unique & Limited Gallery Poster und Plakate der automobilen Ikonen im Format 70 x 50 Zentimeter an. Jedes dieser Motive ist auf 1.000 Stück limitiert.
Wer mehr über die Kollektion erfahren will, kann sich auf der Website der tschechischen Künstler unter unique-limited.com informieren.