Das Beste war der Fortschritt
Nach einem Jahr Pause fand Esteban Ocon nur langsam den Anschluss. Erst am Ende der Saison fuhr der Franzose auf Augenhöhe mit seinem Teamkollegen. Deshalb war Ocon am meisten auf seinen persönlichen Fortschritt in dieser Saison stolz.
Die Zahlen sprechen gegen Esteban Ocon: 2:15 im Trainingsduell gegen Daniel Ricciardo, 62:119 nach Punkten. Acht mal schaffte er es nicht ins Q3. Der hoch gelobte Mercedes-Junior, der für zwei Jahre an Renault ausgeliehen wurde, kam nach einem Jahr Zwangspause nur langsam in Fahrt. Erst in den letzten vier Rennen war Ocon ein echter Herausforderer für Ricciardo. Ausgerechnet da schlidderte Renault in eine kleine Krise. Das Finale dieser Saison hatte trotzdem noch ein versöhnliches Resultat für Ocon parat. Sein zweiter Platz beim zweiten Bahrain-Grand Prix war auch für das Team das Highlight des Jahres.
Der bei seinem vorübergehenden Abschied aus der Formel 1 noch als Hoffnungsträger gefeierte Franzose wurde beim Re-Start seiner Karriere auf dem falschen Fuß erwischt. Er traf auf einen Daniel Ricciardo, der ihm in allen Belangen überlegen war. Auf eine Runde am Samstag, in der Konstanz am Sonntag, beim Überholen, beim Reifenmanagement. Mehr als einmal wurde Ocon im Zweikampf mit Ricciardo zurückgepfiffen, wenn das Renngeschehen den Australier hinter den Teamkollegen geworfen hatte, er aber klar sichtbar schneller fahren konnte. Auch beim letzten Rennen in Abu Dhabi.
Den Renault neu lernen
War dieser Ricciardo noch mal eine andere Nummer als Sergio Perez, mit dem sich Ocon 2017 und 2018 bei Force India jeweils ein Duell auf Biegen und Brechen geliefert hatte? Oder war der Heimkehrer einfach nur eingerostet nach 588 Tagen Rennpause? Ocon wunderte sich selbst: "Ich bin am Anfang der Saison nicht auf dem Niveau gefahren, das ich von mir erwartet habe. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als müsste ich alles neu lernen." Der Prozess wurde dadurch erschwert, dass der Renault R.S.20 zunächst ein launisches Rennauto war. "Wir hatten Untersteuern in langsamen Kurven und Übersteuern in schnellen."
Die erste Lektion, die der 24-Jährige aus der Normandie lernte, war, dass dieser Renault ein anderes Rennauto war als die, die er kannte. "Es hat eine Zeit gebraucht, bis ich mich angepasst habe, bis ich wusste, wie man mit diesem Renault schnell fährt und was ich von dem Auto verlangen muss, damit ich schnell damit fahren kann. Der Force India oder der Mercedes fühlten sich in den Kurven ganz anders an, haben andere Linien verlangt."
Erschwerend hinzu kam, dass Ricciardos Methoden mit dem R.S.20 zurechtzukommen für Ocon nicht übertragbar waren: "Wir geben zwar ein ähnliches Feedback, fahren aber meistens unterschiedliche Setups." Trotzdem hat er von dem Strahlemann aus Perth gelernt. "Wenn ich in einer Kurve schneller bin als er, kannst du dir sicher sein, dass er das beim nächsten Mal egalisiert. Dieser Ansatz, auf jedes Detail zu achten, ist beeindruckend."
Zunächst fuhr bei Ocon die Ungeduld mit. Der Prozess der Anpassung dauerte länger als er es akzeptieren wollte. "Es ging Schritt für Schritt. Aber erst in Monza hat es wirklich Klick gemacht. Ab da habe ich mit meinen Ingenieuren viel besser zusammengearbeitet. Wir haben mehr mit der Fahrzeugabstimmung experimentiert, um den Renault meinen Bedürfnissen anzupassen. Ab da habe ich begriffen, wie wir das Wochenende angehen müssen, um mehr aus dem Auto rauszuholen. Es hat länger gedauert als erhofft, aber besser später als nie."
Erstes Ocon-Podium ein Zeichen
Bis Ocon die Erleuchtung von Monza umsetzen konnte, gingen noch einige Rennen ins Land. In Mugello und Imola raubten ihm Defekte WM-Punkte. In Portugal kam er vor Ricciardo ins Ziel. Beim Regen-Grand Prix in der Türkei war das Rennen eigentlich schon nach einer Runde vorbei. Valtteri Bottas boxte ihn gleich zwei Mal von der Strecke, was Ocon früh an die Boxen zwang. Der WM-Zwölfte ist überzeugt, dass er bei einem normalen Rennen in die Top 5 hätte fahren können, wenn man die Rundenzeiten zugrunde legt, die er später gefahren ist.
Am besten kam Ocon beim ersten Bahrain-Rennen mit seinem Auto zurecht. Der siebte Startplatz, nur zwei Tausendstel hinter Ricciardo machten Hoffnung auf mehr, doch im Rennen gingen an den Renault die Reifen zu schnell in die Knie. Der zweite Platz eine Woche später kam nach dem elften Startplatz dagegen eher unerwartet. Die richtige Entscheidung, auf ein Einstopp-Rennen zu setzen, brachte Ocon sein erstes Formel 1-Podium.
"Zum ersten Mal zeigte sich mein persönlicher Fortschritt auch im Resultat. Der zweite Platz sollte vieles einfacher machen." Deshalb geht der Dank an die Teamleitung, die viel Geduld mit ihm hatte. "Cyril hat mich nie unter Druck gesetzt. Er hat mir immer vertraut und mir Mut gemacht, dass das Ergebnis schon kommt, wenn alles passt. Das hat sich ausgezahlt. Am Ende fühlte sich jetzt alles normal und nicht mehr so erzwungen an."
Alonso der nächste Gegner
Versöhnt hat Ocon auch der zweite Trainingssieg über Ricciardo beim letzten Rennen des Jahres. "Und das auf einer Strecke, auf der Daniel noch nie ein Teamduell verloren hatte." So wie die Taktik ihm beim zweiten Bahrain-Rennen in die Karten spielte, so zog er in Abu Dhabi die Niete. Die Reifenfolge hart-medium mit dem späten Boxenstopp von Ricciardo zahlte sich besser aus als der Start auf Medium-Reifen mit der harten Mischung am Ende. So landete Ricciardo doch wieder zwei Positionen weiter vorne. Ocon erfreute die Teamleitung mit seinem Einsatz. In der letzten Runde luchste er Lance Stroll noch den 9. Platz ab.
So war der größte Erfolg in der Selbstanalyse der Fortschritt, den er vom ersten bis zum letzten Rennen gemacht hat. "Ich habe gezeigt, dass ich mit schwierigen Momenten umgehen kann. Das Team kann sich auf mich verlassen. Ich hoffe, dass ich im zweiten Jahr Renault das geben kann, was Daniel in diesem Jahr geschafft hat." Da hat sich Ocon eine große Aufgabe gestellt. Seine nächste Messlatte ist noch eine Nummer größer. Fernando Alonso hat bis jetzt noch jeden Teamkollegen zerstört – mit Ausnahme von Lewis Hamilton. Ocon bekam schon einen Vorgeschmack, was ihn da erwartet: "Unglaublich, wie sich Fernando da reinhängt und wie er jetzt schon das ganze Team auf Trab bringt."