Binotto dementiert Versteckspiel

Ferrari hat nicht das schnellste Auto im Feld. Doch wie weit liegt der Vize-Weltmeister wirklich hinter Mercedes und wie viel ist Versteckspiel? Teamchef Mattia Binotto bestreitet, dass Ferrari seine wahre Stärke im großen Spiel verschleiert.
Wie gut ist Ferrari. Sebastian Vettel hat auf diese Frage geantwortet: „Wir sind nicht so schlecht, wie es von außen vielleicht aussieht, aber auch nicht so gut, wie wir sein wollten.“ Und auch Teamchef Mattia Binotto widerspricht dem Verdacht, Ferrari würde bewusst bluffen, um beim Saisonstart in Melbourne positiv zu überraschen.
„Wir spielen kein Spiel und sind so gut wie wir es erwartet haben. Offenbar haben andere über den Winter größere Fortschritte gemacht. Ich kann bestätigen, dass wir nicht das schnellste Auto im Feld haben. Das ist eine ehrliche Einschätzung. Wie weit wir hinten liegen, werden wir erst nach drei Rennen wissen.“
Die Hochrechnungen über den Rückstand von Ferrari auf Mercedes schwanken zwischen vier und sechs Zehntel pro Runde. „Wir liegen auf eine Runde weiter hinten als über eine Renndistanz“, verrät Binotto.
Der Brillenträger erklärt das damit, dass der Ferrari SF1000 mehr Abtrieb produziert als sein Vorgänger. Das schont auch die Reifen. „Wir haben jetzt mehr Spielraum die Reifen zu managen.“
Der zweite positive Aspekt der Testfahrten sei die Zuverlässigkeit. „Wir haben unser Programm abgespult und viel über das Auto gelernt.“ Auf einer Notenskala von 0 bis 10 bewertet Binotto die Erfüllung der Testziele mit einer 8, die Rundenzeiten auf der Strecke mit „weniger als 6“.
Schneller in Kurven, langsamer auf Geraden
Nur in der ersten Testwoche hat Ferrari seine wahre Stärke nicht gezeigt. Da ging es aber auch nur um den Check der Systeme und das Verständnis des Autos. Ab dem fünften Testtag hörte das Versteckspiel auf. Die Verschleierung lag im Rahmen dessen, was andere Teams auch tun. Die Fahrer gingen in der Früh auf Rundenzeit, am Nachmittag auf eine Rennsimulation.
Sebastian Vettel erwischte dabei den schlechtesten der sechs Tage. Die Strecke war wegen des starken Windes und der vom Regen sauber geputzten Ideallinie 1,3 Sekunden langsamer als an den ersten beiden Tagen und eine Sekunde als am Schlusstag.
Charles Leclercs schnellste Runde lag zwar nur 0,164 Sekunden über der von Valtteri Bottas, doch Mercedes fuhr am letzten Tag aus Angst vor weiteren Schäden mit reduzierter Power. Und vermutlich mehr Benzin im Tank als Ferrari.
Binotto spricht die Schwächen des SF1000 offen an. „Wir sind jetzt schneller in den Kurven, dafür aber langsamer auf den Geraden.“ Die Gründe liegen auf der Hand. „Wir haben ordentlich Abtrieb gefunden, leider auf Kosten des Luftwiderstandes. Außerdem ist unser Motor noch nicht so gut wie im Vorjahr.“
Binotto begründet das Power-Defizit mit Sorgen um die Zuverlässigkeit. Spekulationen, Ferrari drehe absichtlich nicht an der Power-Schraube widersprechen sowohl Vettel als auch Binotto. „ Wir haben den Motor hin und wieder aufgedreht, nur nicht in den Runden, wo jeder draufschaut“, erklärte Vettel. Binotto ergänzt: „ Wir haben beim Motor nichts versteckt. Das ist unser wahres Potenzial.“
Baustelle Luftwiderstand schnell beseitigt
Gegen Panik, es könnte wieder eine Saison der Enttäuschung werden, beruhigt man sich bei Ferrari mit der Floskel: „Diese Saison ist noch lang. Sie hat ja noch nicht einmal angefangen.“
Die Baustelle mit dem zu hohen Luftwiderstand könne man eher angehen als die mit dem Motor. Schon in der zweiten Testwoche kam ein neuer effizienterer Heckflügel. „Er produziert aber auch weniger Abtrieb“, bedauert Binotto.
Mit dem Motor muss sich Ferrari gedulden. Der erste Eingriff ist erst mit der zweiten Spezifikation möglich. Auch die Balance muss noch besser werden, forderte Vettel: „Wenn ich mir den Mercedes anschaue, dann fahren die ihre Runden mit Leichtigkeit. Wir müssen mehr im Auto arbeiten.“
Der Rückstand auf die Spitze wird das weitere Programm in Maranello festlegen. „Zuerst müssen wir herausfinden, wie viel uns fehlt. Davon wird es abhängen, ob wir etwas vom 2021er Programm für 2020 opfern oder ob der Abstand so groß ist, dass sich das nicht lohnt.“