Das extremste Auto im Feld?

Bislang verbreitet der neue McLaren Honda MP4-30 weder Angst noch Schrecken. Eher das Gegenteil. Die Teamleitung und die Ingenieure sprechen weiterhin tapfer vom extremsten Auto im Feld. Wir haben in unserem Technik-Check überprüft, ob das auch der Wahrheit entspricht.
McLaren-Honda weckt viele Erinnerungen. Fast nur gute. 1988 hat die englisch-japanische Co-Produktion 15 von 16 Pokalen geholt. Und auch noch die WM-Titel 1989, 1990 und 1992 abgeräumt. Ein Mal mit dem V6-Turbo, zwei Mal mit dem Zehnzylinder-Saugmotor und zum Schluss mit einem V12. Honda galt vor 25 Jahren als das Maß im Motorenbau. Den Beweis sind die Japaner bis jetzt noch schuldig geblieben. Noch schwächelt der neue V6-Turbo Hybrid.
McLaren ist erstmals von seiner Konstruktionslinie abgerückt. Projektleiter Tim Goss und Chefdesigner Neil Oatley sind zwar McLaren-Urgesteine, doch das Erscheinungsbild wird von den Aerodynamikern bestimmt. Und diese Abteilung wurde mit vielen neuen Leuten besetzt.
An der Spitze mit Peter Prodromou, der früher einmal bei McLaren war, bevor er mit Adrian Newey zu Red Bull ging. Seit September 2014 zeichnet er wieder für McLaren. Der MP4-30 trägt bereits unverkennbar seine Handschrift. Teamchef Eric Boullier sprach vom extremsten Auto im Feld. Keines sei so flach, so schlank, so zierlich wie der neue McLaren. Stimmt das? Wir haben es nachgeprüft.
Das fiel uns auf
Der McLaren zählt neben dem Red Bull, Williams und Lotus zu den längeren Autos im Feld. Das aber ist noch nichts, was den MP4-30 hervorhebt. Die Proportionen zwischen den Achsen jedoch schon. Nur noch beim neuen Lotus E23 sitzt der Fahrer so weit vorn. Der Abstand zwischen Seitenkasten und Vorderrad ist beim McLaren auffallend kurz, der von der Cockpitrückwand bis zur Hinterachse ungewöhnlich lang.
Mit der Behauptung, kein anderes Auto baue im Heck so schmal, hat McLaren wahrscheinlich sogar Recht. Aber zu welchem Preis? Man braucht extra Länge, um die Seitenkästen so weit einzuziehen. Der Einzug erfolgt beileibe nicht früher als bei anderen Autos. Prodromou und seine Kollegen fanden hinten nur mehr Platz vor, eine superschlanke und flache Taille zu bauen.
Die Frontpartie - extrem von der Nase bis zur Bremsbelüftung
Die Nase ist tief. Sehr tief. Und im Profil messerdünn. Die Stelzen für den Frontflügel sind weit ausgestellt. Optisch ein Genuss. Aber bietet diese Lösung die gleichen aerodynamischen Vorzüge wie die Kurznase von Mercedes? Auch McLaren tüftelt an einer kürzeren Nase.
Noch ist das Auto zu langsam, um zu erkennen, ob man mit einer Nase, die den Frontflügel um gut 20 Zentimeter überragt, auch Erfolg haben kann. Den Flügel kennen wir vom Finale 2014 in Abu Dhabi. Dort wurde er kurz getestet. Ein Kunstwerk aus 11 horizontalen Elementen und drei Etagen mit jeweils vier vertikalen Splittern im äußeren Bereich.
Auch die vorderen Bremsbelüftungen tragen eine ganz besondere Handschrift. Sie schlingen sich in Form eines C förmlich um den Vorderreifen. Lenkstange und Querlenker der Vorderradaufhängung liegen McLaren-like auf einer Ebene. Wie Ferrari und Red Bull leitet McLaren einen Teil der zur Bremskühlung angesaugten Luft durch die Vorderachse und lässt sie in der Felge wieder austreten. Das optimiert die Umströmung des Autos weiter hinten.
Zwischen den Achsen - Seitenkästen mit weniger Bauch
Das Chassis wirkt hinter den Vorderrädern filigraner als im Vorjahr. Die Seitenkästen sind vorne wuchtiger, hinten dafür viel flacher. Und in der Draufsicht eindeutig schlanker als beim alten MP4-29. Auch schon vorne am Kühleinlass, der relativ groß ausfällt. Ein Zugeständnis an Honda. Als Neuling will Honda bei der Kühlung des Motors und seiner Hybridkomponenten kein Risiko eingehen. Die zweigeteilte Airbox-Öffnung verrät, dass der untere Schacht Luft an diverse Kühler abzweigt.
Die Seitenkästen haben im Profil eine eigenwillige Form. In der Hälfte bilden die Seitenteile eine Delle. Danach wird es dann richtig flach. Von oben sieht man viel freie Fläche auf dem Unterboden. Was dem Diffusor hilft.
Vorflügel und Leitbleche rund um die Kühleinlässe bekamen eine neue Form. Ein Bügelflügel fehlt noch, kann aber noch kommen. Die vertikalen Strömungsausrichter an der Kante des Seitenkastens sind jedenfalls schon da. Diese konventionelle Lösung ist unverändert aus dem Vorjahr übernommen worden.
Auch bei den seitlichen Cockpitwülsten, die den Kopf-und-Nackenschutz für den Fahrer aufnehmen, geht McLaren seinen eigenen Weg. Gleich hinter dem Cockpit fällt die Seitenwand abrupt ab. Alle anderen lassen sie sanft in die Motorabdeckung auslaufen. Die Airbox ist unheimlich lang, relativ dick und fällt auch sehr spät nach unten ab. Oben fehlt die Finne. Das hat so nur der Red Bull. Kam Prodromou nicht von diesem Team?
Das Heck - total neues Konzept
Im Heck sieht der McLaren nicht mehr wie ein McLaren aus. Sieht man einmal davon ab, dass die Heckflügelelemente an der Spalte gezackt sind, und dass der hintere untere Querlenker wieder zu einer Art Flügel umfunktioniert wurde, wenn auch viel dezenter als im Vorjahr. Die Segel sind verschwunden. Sie brachten Abtrieb, aber auch jede Menge Luftwiderstand. Überhaupt die Hinterachse. Schauen sie sich den vorderen oberen Querlenker an! Am Ansatz zum Radträger macht er eine Kurve, verbindet sich mit dem hinteren Lenker und bildet so gleich eine Fläche, die man als Abtriebsspender nutzen kann.
Die Hinterachse ist im Vergleich zu vielen Konkurrenzprodukten relativ tief angebracht. Vielleicht legt McLaren deshalb so viel Wert auf die Gestaltung der Querlenker. Nur der Pullrod ist eine langweilig runde Stange. Elegant ist die Heckflügel-Aufhängung, die aus der Motorabdeckung wächst und nicht aus dem Getriebe oder der Crashstruktur. So wird die Luft, die rund um den Auspuff aus der Verkleidung austritt, nicht gestört. Die Motorabdeckung musste in dem Bereich dafür mit einem speziellen Material verstärkt werden.
In der Heckansicht erinnert nichts mehr an das Vorgängermodell. Die Luftauslässe rechts und links vom Auspuff ducken sich deutlich flacher über den Diffusor. Ein Monkey Seat fehlt noch ganz. Der siebenteilige Diffusor ist in der Mitte anders gestaltet. Die vertikalen Trennwände sind in der Mitte gerader ausgerichtet als 2014, an den Seiten dafür stärker nach außen gewinkelt. Die kleinen vertikalen Schlitze in den Heckflügel-Endplatten hat man sich bei Ferrari abgeschaut. Die hinteren Bremshutzen weisen oben zwei stärker ausgeprägte Flügel als in der Vorsaison auf.
Technik-Fazit zum McLaren-Honda MP4-30
Es stimmt: Dieses Auto hebt sich von allen anderen ab. Noch aber weiß keiner, was der McLaren-Honda kann, wenn er von der Kette gelassen wird. Probleme im Motorenumfeld ließen in Jerez nur Runden mit Halbgas zu. Von der Fahrerbesetzung her könnte McLaren Weltmeister werden. Das Auto macht einen guten und durchdachten Eindruck. Das größte Fragezeichen ist und bleibt der Motor.