Darum ist Hamilton der Beste

George Russell zeigte eine Meisterleistung. Er ließ Valtteri Bottas im gleichen Auto schlecht aussehen. Auch für Lewis Hamilton und Max Verstappen war die Leistung des Aushilfsfahrers keine gute Nachricht. Trotzdem sollte man die Erfolge des Rekordsiegers der Formel 1 nicht infrage stellen.
George Russell bekam von allen Seiten Lob. Er bestätigte im Rennen das, was seine Fahrerkollegen prophezeit hatten. "George kann das Rennen gewinnen", hieß es aus den Mündern von Carlos Sainz, Lando Norris, Charles Leclerc und Max Verstappen. Der 22-Jährige aus England verblüffte. Er war schnell und abgeklärt.
Im Prinzip fuhr Russell das perfekte Rennen. Er gewann den Start. "George hatte die beste Reaktionszeit, und hat den Start am besten gemeistert, obwohl die Kupplungspedale zu klein für seine Finger sind", lobte Mercedes.Teamchef Toto Wolff. Eigentlich ist das Lenkrad auf die Hände von Superstar Lewis Hamilton maßgeschneidert. Russell streichelte die Medium-Reifen bis zur 45. Runde und hängte Valtteri Bottas um 3,1 Sekunden ab. Der Finne verhungerte in den Turbulenzen seines Vordermanns.
Er ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als Bottas nach seinem Stopp den Rückstand von 8,5 Sekunden innerhalb von 12 Runden auf 5,2 Sekunden verkürzte. Der Finne muss in der ersten VSC-Phase mehr Glück gehabt haben mit dem Timing. Da gewann der WM-Zweite in Summe zwei Sekunden. Russell machte keine Fehler. Er ließ sich nicht verunsichern, als seine Mannschaft den zweiten Boxenstopp versemmelte. "Ein Fehler hat die ganze Dynamik des Rennens geänderte", sagte der Senkrechtstarter mit einem Stöhnen. Er glaubte trotzdem weiter an seine Chance.
Russell kann auch Rennen
Er blieb am Gas. Als sein Team ihm endlich die richtigen Mediumreifen aufgeschnallt hatte, schaute er sich sechs Runden an, wie Bottas auf alten harten Reifen an Lance Stroll verzweifelte. Dann machte Russell kurzen Prozess mit ihm. Auf einen Fehler seines Teamkollegen in Kurve vier antwortete der Hamilton-Ersatz in Kurve sieben mit einem Überholmanöver. Russell bereitete es ab Kurve fünf vor, setzte sich in Kurve sechs außen daneben und bremste Bottas innen aus. "Das war ein schönes und gleichzeitig schwieriges Manöver. Kurve sieben ist keine gute Überholstelle."
Zur Ehrenrettung des neunmaligen GP-Siegers muss gesagt werden, dass Bottas auf den harten Reifen nicht die Mittel hatte, sich zu verteidigen. Andererseits öffnete er mit einem Fehler Russell die Tür. Der Quereinsteiger patzte nie, sondern überholte. Erst Stroll, dann Esteban Ocon. Dieser Russell kann ein Rennen also nicht nur vorneweg kontrollieren, sondern auch Überholen wie ein Meister. Er kann nicht nur Qualifying, wie ihm manch einer wegen seiner Bilanz (36:1 im Teamvergleich) vorgeworfen hatte, weil Russell bis zu seiner Gala-Vorstellung im Mercedes nie gepunktet hatte.
Selbst nach dem vierten Boxenstopp saß da kein kopfloser Pilot im Auto. Russell verzweifelte nicht. Er ärgerte sich nicht darüber, dass sich scheinbar alles gegen ihn verschworen hatte, sondern überholte noch Räikkönen, Giovinazzi, Vettel, Gasly und Norris. Natürlich in einem Mercedes. Trotzdem: Mercedes.Teamchef Wolff sprach aus, was alle dachten. "Ein neuer Star wurde geboren." Der Österreicher lobte seinen Schützling. "Er war am Freitag über den Erwartungen. Er war es am Samstag. Und er war es am Sonntag. Er hat alle Zutaten, die ein künftiger Star haben muss."
Hamilton im entscheidenden Moment da
Natürlich wurden nach diesem Auftritt Fragen gestellt. Braucht Mercedes überhaupt einen Lewis Hamilton? Einen, der angeblich 45 Millionen Dollar im Jahr verlangt, damit er seinen Vertrag verlängert? Doch das ist zu kurz gedacht. Russell beeindruckte, doch zunächst einmal auf einer Rennstrecke, auf der ein Fahrer kaum einen Unterschied machen kann. Oder weniger falsch als auf anderen Strecken. Das soll nichts an seiner Leistung schmälern. Die ist und bleibt Extraklasse.
Doch ein Lewis Hamilton hat seine Extraklasse über 14 Saisons hinweg nachgewiesen. Als er 2007 erstmals in den McLaren-Mercedes kletterte, war er auf Anhieb auf dem Niveau von Fernando Alonso. Und der ist einer der besten Fahrer der Geschichte. Wäre Alonso ein bisschen umgänglicher, hätte der Spanier fünf oder sechs Titel in der Tasche, und nicht nur zwei.
Hamilton hat zuletzt in der Türkei nachgewiesen, dass er Rennen gewinnt, die er eigentlich gar nicht gewinnen sollte. Da hatte Mercedes im Regen nicht das beste Auto, aber den besten Fahrer im Auto. "Lewis macht im entscheidenden Moment den Unterschied. Deshalb ist er sieben Mal Weltmeister", sagt Max Verstappen.
Bester Fahrer im besten Auto
Mercedes-Teamchef Wolff und die McLaren-Fahrer bringen es auf den Punkt. Erst Wolff: "Ein Lewis Hamilton gewinnt so oft, weil er der Beste ist. Er ist der beste Fahrer im besten Auto. Es macht nie allein der Fahrer. Und es ist nie allein das Auto, sondern die Kombination von beidem. Wir sollten nach einer unglaublichen Leistung eines unglaublichen Jungen nicht aus den Augen verlieren, dass Lewis weiterhin die Messlatte in diesem Sport ist." Und dass die Mercedes.Ingenieure genauso am oberen Limit arbeiten, wie ihr Chefpilot. Es ist die Mischung, die dieses Team und diesen Fahrer fast unschlagbar machen.
Die McLaren-Fahrer stimmen zu. "Der Mercedes ist sicher eines der am einfachsten zu fahrenden Autos. Deshalb fand George auch so schnell hinein", sagt Lando Norris. "Man muss sicher in einem Mercedes sitzen, um Weltmeister zu werden. Lewis ist das aber so oft geworden, weil er der konstanteste ist, und praktisch fehlerfrei fährt." An dieser Konstanz, Wochenende für Wochenende abzuliefern, verzweifelt ein Valtteri Bottas. Und Hamilton ist selbst an gebrauchten Tagen noch einheimlich schnell. Nicht umsonst wurde er in 14 Saisons sieben Mal Weltmeister und gewann dabei 95 Rennen.
"Lewis ist der beste Fahrer im Feld. Und einer der talentiertesten in der Geschichte. Schade ist nur, dass das beste und das schlechteste Auto in der Formel 1 zwei Sekunden auseinander liegen, die Fahrer aber nur drei Zehntel. Sonst wäre die Show viel besser", sagt Carlos Sainz.
Weg für Verstappen verbaut?
Russell wird hoffen, in Abu Dhabi ein zweites Mal den Mercedes zu fahren. Bottas auch, damit er auf einer echten Rennstrecke, und nicht auf einem Mickey Mouse-Kurs, seine Erfahrung im Mercedes ausspielen kann. "George ist in Bahrain mit dem Setup von Lewis eingestiegen. Er konnte sich auf das Autofahren konzentrieren." Andererseits: Wenn ihn Russell dort auch noch schlägt, würde der Finne alt aussehen. Die beste Nachricht war für ihn, dass er schon einen Vertrag für 2021 in der Tasche hat. Und Mercedes ihm die Treue schwört.
Hamilton selbst wird lieber fahren, als passiv zuschauen zu müssen. Nicht dass der Jungspund noch einmal die große Show abzieht. Russell jedenfalls hat seine Bewerbung auf das Mercedes.Cockpit hinterlassen. "Hoffentlich zementiert dieses Rennen ihre Sicht auf mich. Ich hoffe, es ist ein weiterer Schritt auf der Leiter." Toto Wolff erklärt. "Ich habe mir noch keinen Kopf gemacht, was das für die Zukunft bedeutet."
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Weg von Max Verstappen zu Mercedes endgültig verbaut ist. Der Niederländer hat zwar einen Vertrag bis 2023 bei Red Bull, liebäugelte aber zwischendurch schon mal mit einem Wechsel. Doch bei Mercedes gibt es keinen Handlungsbedarf. Hamilton ist die Gegenwart, Russell die Zukunft. Verstappen muss mit Red Bull zum WM-Titel fahren.
Ein Dank an Mercedes./strong>
Russell zeigte auch im Schmerz der Niederlage Größe. "Danke an Mercedes für die Chance. Danke an Bono und die fünf Jungs und Mädels, mit denen ich hier am engsten zusammengearbeitet habe. Sie haben mir unheimlich geholfen." Mit Bono ist Peter Bonnington gemeint, eigentlich Hamiltons Renningenieur, der in Bahrain für den Aushilfsfahrer zuständig war.
Der Engländer erinnerte daran, dass die Formel 1 ein Teamsport ist. Man gewinnt zusammen, man verliert zusammen. Er stellte sich in jungen Jahren wie ein Routinier vor seine Mannschaft. Noch so eine Eigenschaft, die große Fahrer auszeichnet. Bedauern und Ärger ja, aber keine öffentliche Schelte, sondern Rückendeckung. Russell erinnerte an seine eigenen Fehler. Wie in Imola, als er den Williams hinter dem Safety Car in die Mauer pfefferte. Der Engländer will nichts geschenkt, sondern es sich erarbeiten. "Bei einem Glückspodest wäre ich nicht zufrieden gewesen."
Und er schickt auch eine Warnung an zukünftige Teamkollegen. So kann man diese Aussage zumindest verstehen. "Je enger ich mit den Ingenieuren zusammenarbeite, desto besser wird es. So war es bei Williams. Sie wissen, was ich vom Auto brauche. Ich weiß, wie sie ticken. Ich habe mich seit Australien 2019 so stark verbessert als Fahrer."