Schmidts F1-Blog
F1-Experte Michael Schmidt ist kein Fan des neuen Cockpit-Schutzes. In seinem Blog erklärt der auto motor und sport-Reporter, warum der Heiligenschein keine Lebensversicherung bei allen Unfällen ist.
Sicherheit geht vor. Keine Frage. Crashtests, Chassis aus Karbon und reißfestem Zylon, der Nackenschutz HANS im Cockpit, zwei Überrollbügel. Alles richtig. Doch man kann es auch übertreiben. Wenn man jeden auch nur denkbaren Unfall verhindern will, muss man einen Panzer bauen.
Niemand kann der FIA, den Teams, den Rennstreckenbetreibern oder den Experten vorwerfen, dass sie zu wenig für die Sicherheit dieses Sports getan hätten. Im Gegenteil. Der Motorsport hat auf diesem Gebiet gleich mehrere Quantensprünge geschafft. Ein gewisses Restrisiko muss man ertragen können.
Heiligenschein hätte Bianchi auch nicht gerettet
Die Formel 1 will sich ab 2017 mit einem Heiligenschein rund ums Cockpit gegen Unfälle schützen, bei denen der Fahrer von herumfliegenden Teilen am Kopf getroffen wird. Wäre es nicht besser dafür zu sorgen, dass so selten wie möglich Teile herumfliegen? Und was wollen wir mit diesem Heiligenschein erreichen? Er wäre auch nicht für alle Szenarien eine Lebensversicherung.
Jules Bianchi hätte seinen Unfall damit vermutlich nicht überlebt. Auch Tom Pryce hätte 1977 in Kyalami nicht von der Vorrichtung profitiert. Wenn ein Zehn-Kilo Feuerlöscher im Cockpit.ereich auf ein 280 km/h schnelles Auto prallt, schlägt es alles kurz und klein, was im Weg steht. Auch bei einer Startkollision wie 2012 in Spa, als Fernando Alonso fast von einem anderen Auto am Kopf getroffen worden wäre, hätte ein Käfig wenig genutzt.
Ein vollgetanktes Auto wiegt 800 Kilogramm. Man kann sich die Kräfte ausrechnen, die entstehen, wenn es nur mit 100 km/h anrauscht. Bei Felipe Massa wäre die Feder vielleicht mit Glück abgelenkt worden. Vielleicht aber auch nicht. Ein Unfall, wie der von Justin Wilson in Pocono, der von einem Carbonteil tödlich am Kopf getroffen wurde, darf gar nie passieren. Die Fahrzeug-Nase muss sich beim Aufprall zuerst verformen, bevor sie im ganzen Stück wegfliegt.
Schutzbügel wird Fans vergraulen
Wir reden hier also von der Ausnahme der Ausnahme, vor der wir glauben uns in Sicherheit wiegen zu können. Und warum dann nicht gleich eine Glaskuppel, die wenigstens etwas eleganter aussieht? Das Argument, dass es dann Probleme bei der Bergung geben könnte, zieht bei mir nicht. Dann dürfte in Le Mans gar nicht gefahren werden.
Jeder von uns hat bei einem Formel 1-Auto ein bestimmtes Bild im Kopf. Und das ist nun mal ein offenes Auto mit einem unverbautem Cockpit. Keine Glaskuppel, kein Heiligenschein, kein Käfig über dem Fahrerkopf. Wäre ich ein Fan, würde ich mich wahrscheinlich endgültig von der Formel 1 abwenden.
Was sind wir in der Vergangenheit nicht schon mit hässlichen Autos gequält worden? Wie oft haben unbedachte Regeländerungen zu Auswüchsen geführt, die den Autos ihren Sex-Appeal genommen haben? Ich erinnere nur an die Kombi-ähnlichen Airboxen von 2010 oder die furchtbaren Ameisenbär-Nasen, die uns schon 2014 an unserem Lieblingssport zweifeln ließen.
Und jetzt das. Ein Formel 1-Auto mit diesem Heiligenschein sieht einfach nur lächerlich aus. Sie werden sagen: Wir werden uns auch an dieses Bild gewöhnen, so wie wir uns bislang an alles gewöhnt haben. Ich habe mich nie daran gewöhnt.
Restrisiko lässt sich nie ausschalten
Einige werden sagen, dass ich mit meiner Kritik billigend in Kauf nehme, dass Fahrer sich ernsthaft verletzen oder gar getötet werden können. Ich sage, dass die Szenarien die man hier ausschalten will so bizarr sind, dass sie von der Wahrscheinlichkeit her jeden von uns im Straßenverkehr treffen können.
Wäre das Maß an Sicherheit, das man mit dem Cockpit.chutz jetzt erreichen will, für jeden Sport Maßstab, dann dürfte es Motorradrennen erst gar nicht geben. Und dann dürfte nie ein Abfahrtsläufer die Streif herunterdonnern. Deshalb kann ich nur raten. Das mit dem Heiligenschein war gut gemeint, aber stellt ihn ins Museum. Ihr raubt der Formel 1 damit ihre Seele.
In der Galerie zeigen wir Ihnen die "Heiligenschein"-Lösung, mit der ab 2017 wohl alle Autos ausgerüstet werden müssen.