Can-Am Ryker (2019) – Dreirad im Fahrbericht
Sie haben keinen Motorradführerschein und wollen trotzdem so offen und schnell unterwegs sein wie Biker? Can-Am verspricht mit dem Dreirad Ryker eine Ersatzdroge für unter 10.000 Euro. Wir haben ihn Probe gefahren.
Beim Erstkontakt ist die Motorrad-Illusion fast perfekt, wenn man sich dem Ryker von schräg hinten nähert, nicht nur weil Helm und Schutzkleidung Pflicht sind: Um auf dem Sitz Platz zu nehmen, der mit etwas gutem Willen als Schwingsattel wie bei einer alten Harley durchgehen könnte, darf ein Bein über ein dickes Hinterrad schwingen. Dabei kann man sich an einem klassischen Motorradlenker mit Gasgriff festhalten und vor einem wölbt sich ein rundlicher Tank. Aber der Blick darüber hinaus zeigt, dass der Lenker zwei 1,5 Meter weit auseinanderstehende 16-Zoll-Räder mit 14,5 Zentimeter breiten Autoreifen steuert. Sie sind Teil einer Doppel-Querlenker-Konstruktion – eine klassische Vorderachskonstruktion für sportliche Autos. Das Hinterrad in der Kompaktwagen-Dimension 205/45 R16 hingegen hängt im Radabstand von für Autoverhältnisse knackigen 1,70 Meter an einer Multilink-Einarmschwinge und wird von einer Kardanwelle angetrieben.
Das Layout wirkt speziell von oben wie bei einem Skorpion. Fahrdynamisch ist der Ryker vor allem für Motorrad-, aber selbst für Gelegenheitsradfahrer gewöhnungsbedürftig: Mit den zwei Rädern vorne neigt er sich in Kurven nach außen also genau anders als beim klassischen Zweirad. Die kognitive Dissonanz rührt dabei vom Lenker, wie ihn jeder Biker kennt. Außerdem kommen sich wie beim Kinder-Dreirad Hüfte und Lenkerende um so näher, je enger und schneller die Kurve, zumal die Sitzhöhe von knapp 60 Zentimeter eher Chopper- als Enduro-like ist. Gut für einen niedrigen Schwerpunkt.
Biker müssen sich zudem dran gewöhnen, dass der Ryker keine Bremsgriffe am Lenker trägt. Bei der Rally Edition des Ryker greift man vor dem Gas zwar nicht ins Leere, aber auf der Suche nach der Bremse nur an einen massiven Handschutz. Gebremst wird hingegen ausschließlich mit dem rechten Fuß. Das in der Neigung verstellbare Pedal vor der weit verschiebbaren Raste betätigt gleichzeitig die Bremsscheiben vorne und hinten. Deren Wirkung wird ihrerseits durch ein ABS kontrolliert. Einen Kupplungsgriff gibt es ebenfalls nicht. Aber keine Angst: Statt der linken Hand muss jetzt nicht der linke Fuß kuppeln: Kraftübertragung und Gangwechsel passieren dank eines CVT-Getriebes wie bei großen Rollern automatisch.
Starten will gelernt sein
Einen Hinweis kriegt der Ryker-Reiter gleich zu Beginn: Weil das Fahrzeug auch im Stand nicht umkippen kann, gehören die Füße immer auf die Rasten. Da braucht man sie dann auch zum Starten. Vorher sind aber ein paar überraschende Verrichtung in korrekter Reihenfolge auszuführen: Der eigentümlich geformte Schlüsselersatz muss zunächst auf einem runden Köpfchen in der Nähe des Ortes sitzen, wo man einst den Benzinhahn vermutet hätte. Dann muss der Not-Aus-Schalter auf „An“ stehen, der Gasgriff kurz nach vorne gedreht werden, der rechte Fuß auf der Bremse stehen und gleichzeitig der Anlasserknopf gedrückt werden. Der Rotax-Dreizylinder erwacht zum Leben und verfällt in einen stabilen Leerlauf bei 800 U/min. Aber Losfahren geht immer noch nicht: Erst will noch die Feststellbremse – ein kleiner unscheinbarer schwarzer Hebel in der Nähe des Schlüssels – gelöst werden. Die „Handbremse“ braucht’s, weil sich das CVT-Getriebe nicht durch Einlegen eines Ganges blockieren lässt. Drum piept der Ryker auch ziemlich impertinent, wenn der Fahrer den Motor abstellt und nicht sofort die Bremse schließt.
Kräftige und mühelose Beschleunigung
Jetzt aber darf das Dreirad erstmal los. Von Gummiband keine Spur: Das CVT-Getriebe verbindet Räder und Motor beim Losfahren eher ruppig, das wirkt fast wie eine Klauenkupplung. Wer will, bringt das von einer Kardanwelle angetriebene Hinterrad auf Asphalt zum Pfeifen oder auf losem Grund zum Dreck Werfen.
Für alles Weitere reicht Gasgeben – die 82 PS des Kurzhubers werfen das für Auto-Verhältnisse trocken 285 Kilo leichte Gerät nachhaltig nach vorn. 8,5 Sekunden bis 100 km/h klingen gar nicht so rasant, aber bis 60 km/h dürfte der Abzug selbst sportliche Autos ausbeschleunigen. Den gerade beim Anfahren profitiert der Ryker-Reiter davon, dass er weder mit Gängen noch Kupplung hantieren muss – und keine Angst vor einem aufsteigenden Vorderrad haben muss: Die Vorderpartie ist zu schwer, der Radstand zu lang.
Beträchtliche Seitenneigung, hohe Haltekräfte
Apropos Vorderräder: Die kleben auch auf schlechten Straßen wie Kaugummi am Asphalt und ziehen den Ryker selbst bei hohen Kurvengeschwindigkeiten wie auf Schienen um Biegungen jeder Art. Der Fahrer kann beim Anpeilen des Kurvenscheitels der Aufhängung schön bei ihrer emsigen Arbeit zusehen. Das ist wirklich beeindruckend. Beängstigend für den Ryker-Neuling ist allenfalls die teilweise beträchtliche Seitenneigung, die den Fahrer zum Knicken des Oberkörpers Richtung Kurvenmitte bringt und ihm meist so viel Respekt einflößt, dass er die Haftgrenze der zwei 145er-Vorderreifen nicht erreicht – besonders, wenn die Straße zum Außenrand hin abfällt. Angst vor einem Umkippen des Dreirads ist aber unbegründet: Erstens liegt der mentale Neigungssensor im Kopf des Fahrers viel höher als der Schwerpunkt und schlägt zeitig Alarm. Zweitens hat der Ryker auch eine elektronische Stabilitätskontrolle, die ihn einfängt, sollte ein Rad abheben.
Gewöhnungsbedürftig sind die enormen Haltekräfte: Während am Motorradlenker ein leichter Zug an der Kurveninnenseite genügt, empfiehlt sich beim Ryker auch ein kräftiger stabilisierender Druck am kurvenäußeren Lenkerende und zwar so lange der Kurvenradius anhält. Eine Servolenkung wie ein Auto hat der Ryker natürlich nicht. Spontan bewegen sich die Vorderräder nur bei kleinen Lenkbewegungen um die Mittellage. Die zahlreichen langgezogenen Kurven auf den Bergstraßen während der Testfahrt entpuppten sich am Ende als veritables Workout, denn der Fahrer muss sich zudem mit den Oberschenkeln gegen die Fliehkraft abstützen. Unruhig wird es, wenn die Straße größere Verwerfungen für den Ryker bereithält. Vor allem, wenn ein Rad Unebenheiten nachgeht, überträgt sich das auf den Lenker und der Fahrer muss zusätzlichen Aufwand betreiben, um die Richtungsstabilität beizubehalten.
Wer sich erstmal an die Besonderheiten gewöhnt hat, kann mit dem Ryker sehr schnell sein und höhere Kurvengeschwindigkeiten erreichen als mit einem Motorrad – die haftende Reifenfläche ist einfach erheblich größer und speziell die bei der Rally Edition verwendeten Feder-(Gasdruck)-Dämpferelemente von KYB sorgen für intensiven Fahrbahnkontakt. Das ABS und die nicht abschaltbare Stabilitätskontrolle sorgen dabei elektronisch für Sicherheit, ohne selbst bei rüderen Manövern unangenehm aufzufallen.
Unterm Helm kein Sound-Genuss
Den Spaß am flotten Kurvenwetzen mit dem Dreirad mindern eher die nicht bauartbedingten Merkmale: So klingt der Rotax-Dreizylinder an sich sauber und kräftig, ohne zu laut zu sein – wenn der Ryker an einem vorbeifährt. Auf dem Fahrzeug wirkt er zwar immer kräftig und leistungsbereit, läuft aber immer etwas rau. Erst ab 5.000 U/min tönt er befreit und drehfreudig. Leider bringt er gefühlt alle umgebenden Teile zum Dröhnen. Dazu mischt sich das Laufgeräusch des CVT-Getriebes mit einem heulenden Unterton, vor allem, wenn man bei niedrigeren Geschwindigkeiten vom Gas geht. Funktional ist dem Getriebe zwar sonst wenig vorzuwerfen, aber so sportlich bewegt wünscht man sich für den Ryker dennoch eine manuelle Schaltung. Zugegeben: Es ist schwer vorstellbar bei der intensiven Arbeit am Lenker dort auch noch einen Kupplungshebel zu bedienen und mit dem linken Fuß einen Ganghebel. Vielleicht würde das immerhin dem Verbrauch gut tun – auf der zugegeben meist engagiert absolvierten Testfahrt lag er durchgehend bei rund acht Liter.
Während der Probefahrt in Portugal gab es auch reichlich Gelegenheit, den Ryker auf Nicht-Asphaltieren Nebenstrecken mit mehr oder weniger Schotter zu bewegen. Dazu lässt sich die Stabilitätskontrolle in einen so genannten Rallyemodus schalten, der einen größeren Driftwinkel erlaubt. Das ist durchaus vergnüglich und bei den niedrigeren Reibwerten sind die größere Reifenfläche und die Wankstabilität im Vergleich zum Motorrad von Vorteil. Aber andererseits sind die Federwege zu klein und es ist mit drei Rädern viel schwieriger den heftigsten Unebenheiten auszuweichen. Und so geländegängig wie ein Quad mit mehr Bodenfreiheit ist der Ryker auch nicht.