Schnelleres Auto, bessere Taktik

Es gibt keinen Groll. Hamilton bezeichnet Bottas als den besten Teamkollegen. Der Finne tut ihm nur selbten weh.
Nach dem Start hielt Max Verstappen die besseren Karten in der Hand. Trotzdem gewann Lewis Hamilton. Acht Faktoren trugen dazu bei, dass der Mercedes-Fahrer am Ende doch wieder die Nase vorne hatte.
Der 98.GP-Sieg. Der fünfte in Barcelona in Folge. Der dritte in dieser Saison. Lewis Hamilton hat zwar in dieser Saison einen gleichwertigen Gegner, doch am Ende gewinnt trotzdem meistens er. Auch wenn die Vorzeichen gegen ihn sprechen. 600 Meter nach dem Start war er den Vorteil der Pole Position wieder los. Max Verstappen hielt fast alle Trümpfe in der Hand. Die Position auf der Strecke ist in Barcelona die halbe Miete. Das Überhol-Delta lag dieses Jahr bei 1,2 Sekunden.
Damit war von der ersten Runde an klar, dass Mercedes nur dann noch den Spieß umdrehen kann, wenn man selbst alle Chancen nutzt und Red Bull Fehler macht. Das eine und das andere trat ein. Max Verstappen brachte die dritte Niederlage des Jahres auf den Punkt: "Mercedes hatte das schnellere Auto im Rennen. Da gibt es nicht mehr zu erklären."
Im Prinzip hat der Holländer Recht. Doch ganz so simpel ist die Formel 1 dann doch nicht. Es gab Gründe, warum Mercedes schneller war, und es gab Gründe warum sich Red Bull von Mercedes die Taktik aufzwingen lassen musste. Insgesamt spielten acht Faktoren ein Rolle, warum das Kopf-an-Kopfrennen so ausging und nicht umgekehrt.
Red Bull verschleißt Reifen zu stark
Faktor 1: Mercedes hatte am Sonntag tatsächlich das schnellere Auto. Die Mercedes rechneten einen durchschnittlichen Vorteil von einem Zehntel aus. Der war nicht gleich verteilt. Red Bull brachte die Reifen schneller in den Arbeitsbereich, Mercedes hielt sie länger am Leben, zumindest mit Hamilton im Auto. Je länger der Stint dauerte, umso mehr gewann Hamilton die Oberhand.
Faktor 2: Der Red Bull geht härter mit den Reifen um als das Konkurrenzprodukt. Das war auch bei den ersten drei Rennen der Fall. Diesmal jedoch ausgeprägter als vorher. Red Bull muss das geahnt haben. Sonst hätte man nicht am Freitag einen Heckflügel probiert, der maximalen Abtrieb gab. Die Reifen.erte waren gut, der Topspeed mies. Die Mercedes hätte auf der Zielgerade mit offenem DRS 0,7 Sekunden auf den Red Bull gewoinnen. Diese Blöße konnte man sich nicht geben. Deshalb kam am Samstag der kleine Flügel ans Auto. Gut für eine Runde, schlecht über die Distanz.
Faktor 3: Red Bull hat Probleme mit dem C2-Reifen, mit dem man schon in Bahrain und Portugal auf Kriegsfuß stand. Irgendwie verliert der RB16B auf diesem Reifen, der die letzten beiden Rennen die Medium-Mischung war, auf den Mercedes überproportional viel Zeit. Deshalb reservierte man sich für das Rennen für den Fall eines Zweistopp-Rennens neben einem frischen Satz Medium lieber einen neuen Satz Soft statt wie Mercedes eine gebrauchte Garnitur Medium. Bei Mercedes wunderte man sich: "Wir nehmen im Zweifel immer lieber einen härteren als einen weicheren Reifen für das Rennen. Sie sind unter dem Strich besser."
Verstappen fehlte ein taktischer Helfer
Faktor 4: Mercedes profitierte wieder einmal davon, mit zwei Fahrern gegen einen zu fahren. Obwohl Valtteri Bottas hinter Charles Leclerc viel Zeit verlor, störte er indirekt immer noch Verstappens Kreise. Er lag mit acht Sekunden Rückstand in Verstappens Boxenstopp.Fenster. Red Bull musste davon ausgehen, dass er ihrem Starpiloten im Weg stehen würde, wenn man Hamiltons Undercut antizipiert und auf ein Zweistopp-Rennen umgeschwenkt hätte. Somit erwies sich der schwarze Samstag von Sergio Perez wieder einmal als fatal. Der Mexikaner spielte in den Strategieplänen der beiden Topteams nie eine Rolle.
Faktor 5: Verstappen kam ohne Not zu früh zum ersten Boxenstopp. Es war ein Missverständnis, was den Holländer zwar nicht die Führung gekostet hat, Hamilton aber vier Runden frischere Reifen für den Medium-Stint gab. So konnte der Engländer nahezu locker eine Fünfsekunden-Lücke auf Verstappen zufahren, ohne sich die Reifen zu ruinieren. Und Verstappens zweiter Stint wurde noch länger, obwohl man mit der Einstopp-Taktik ohnehin schon am Limit war.
Faktor 6: Red Bull traute sich nicht, Hamiltons zweiten Boxenstopp vorwegzunehmen oder zu kontern. Dafür war man 24 Runden vor Schluss mit je einem Satz Soft und Hart im Reifen.chrank auch nicht optimal gerüstet. Für Red Bulls Zögern zeigte selbst Mercedes Verständnis. "Wir wären in Führung liegend wahrscheinlich auch nicht an die Boxen gegangen. Dazu ist die Position auf der Strecke in Barcelona zu wichtig", erklärte Toto Wolff. Das sind die Momente, in denen der Zweite die besseren Karten hat. Hamilton hatte nichts zu verlieren. Mercedes auch nicht. Bottas war ja als Dritter auch noch da.
Trotzdem bleibt die Frage an die Strategen, ob Verstappen gewonnen hätte, wäre er vor Hamilton an die Box gegangen. "Möglicherweise ja. Weil wir hätten kontern und ihn dann hätten überholen müssen. Wenn wir draußenbleiben, hätte er uns mit den frischeren Reifen eingeholt." Mit dem Fragezeichen, ob die Soft-Gummis dazu in der Lage gewesen wären. Und wenn Red Bull Hamiltons Stopp eine Runde später mit Soft-Reifen kontert? "Wahrscheinlich nein, weil Verstappen dann an Lewis hätte vorbei müssen. Dazu hätte er mit den Soft-Reifen nur zwei Runden Zeit gehabt. Danach brechen sie zu stark ein."
Die Weitsicht von Hamilton
Faktor 7: Die Extraklasse von Lewis Hamilton. Sie zeigte sich schon beim Start, obwohl er ihn verlor. Hamilton hielt sich strikt an die Vorgaben des Teams links zu bleiben, um Teamkollege Bottas Windschatten zu geben, in der Hoffnung dadurch auch den zweiten Mercedes vor Verstappen zu bringen. Der Weltmeister öffnete damit seinem Gegner automatisch die Innenspur. Verstappen bremste extra spät und drängte Hamilton an den Streckenrand. Wenn er die Tür zumacht, kracht es. "Manchmal musst du zurückstecken können. Ein Grand Prix ist ein Marathon, kein Sprintrennen." So spricht ein Champion. Bevor er sich einen Flügel abfährt, lässt er seinem Gegner lieber den Vortritt. Im Vertrauen darauf, dass seine Chance später noch einmal kommt. Und sie kam.
Hamilton ist außerdem der einzige Fahrer im Feld, der es schafft seinem Vordermann im Windschatten zu kleben, ohne sich die Reifen zu ruinieren. Auch wenn ihm das schnellere Auto dabei half, musste er trotzdem in den Turbulenzen fahren. Das bedeutet normalerweise mehr Rutschen und mehr Hitze in den Reifen. "Lewis schafft es wie kein Zweiter, die Last auf die Reifen gleichmäßig zu verteilen. Er spürt sie so gut, dass er genau weiß, welchen Reifen er in einer bestimmten Situation am meisten schonen muss, und welche noch Luft haben, etwas härter rangenommen zu werden", loben die Ingenieure.
Faktor 8: Das blinde Vertrauen vom Fahrer in das Team und umgekehrt. Als Hamilton in letzter Sekunde zum zweiten Stopp an die Box gerufen wurde, da war bei dem Engländer die Versuchung groß, draußen zu bleiben. "Ich war zum ersten Mal so dicht an Max dran, dass ich ihn wahrscheinlich auf der Zielgerade mit DRS überholt hätte. Kurz habe ich überlegt: Soll ich, soll ich nicht? Dann bin ich doch der Order vom Team gefolgt. Ich weiß, dass ich mich auf meine Jungs verlassen kann. Und am Ende lagen sie mit ihrer Zweistopp-Strategie wieder absolut richtig."
Mercedes wiederholte, was schon 2019 in Budapest funktioniert hatte. Als Hamilton wieder auf die Strecke ging, lag er 22,4 Sekunden hinter Verstappen. Da fiel dem späteren Sieger erst einmal das Herz in die Hose. "Alles über 20 Sekunden hört sich riesig an. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie wir das aufholen und dabei die Reifen am Leben halten sollten." Nach zwei Runden war Hamilton beruhigt. Er holte schneller auf seinen Rivalen auf, als es die Strategie-Software voraussagte. Die berechnete einen Zusammenschluss für die letzte Runde. In Wahrheit passierte es schon sieben Runden vor Schluss.