War das für Vettel die Wende?
Sebastian Vettel hat in Monte Carlo seinen Aston Martin-Fluch besiegt. Endlich erste WM-Punkte und das gleich zweistellig. Zum fünften Platz gab es auch noch die Auszeichnung "Fahrer des Rennens" dazu. War das der Durchbruch oder nur ein Strohfeuer?
Aston Martin ist schlecht in die Saison gestartet. Vier Rennen, fünf Punkte. Beim Doppelschlag auf der Iberischen Halbinsel zwei Mal in Folge eine Nullrunde. Sebastian Vettels Punktekonto war nach vier Rennen noch leer. Der Aufstieg ins Q3 beim GP Portugal wurde von Vettel-Fans zu früh als Trendwende gefeiert. Im Quali-Duell stand es nach vier Läufen 3:1 für Lance Stroll, nach Punkten 5:0 für den Kanadier. Vettels pannenreiche letzte Ferrari-Saison schien sich bei seinem neuen Arbeitgeber fortzusetzen.
Und dann das in Monaco. Beide Fahrer in den Top Ten, ein warmer Regen von 14 Punkten auf dem Konto. Der Klassiker im Fürstentum bringt Aston Martin mit einem Mal auf Schlagdistanz mit Alpine und Alpha Tauri.
Und er ist auch für Vettel ein Befreiungsschlag. Achter beim Start, Fünfter im Ziel. So fährt keiner, der schon ans Aufhören denkt. Trotz der Ausfälle von Charles Leclerc und Valtteri Bottas kann man nicht von einem Geschenk des Himmels oder Zufällen sprechen. Vettel kam vor Autos ins Ziel, die noch ein paar Rennen zuvor in einer anderen Liga fuhren.
Vettel löst das Problem der Umsteiger
Seit Portimao hat man den Eindruck, dass sich der Ex-Weltmeister immer besser mit seinem neuen Dienstwagen anfreundet. Mit jeder Runde kommt mehr Vertrauen in das Auto dazu, mehr Vertrautheit mit den Abläufen im Team. Mit jedem Briefing mehr Erfahrung darüber wie der AMR21 auf Abstimmungseingriffe reagiert und was es mit diesem Auto braucht, um die Reifen in das magische Fenster zu bringen.
In Portugal atmete Vettel zum ersten Mal auf: "Ich fahre wieder aus dem Bauch heraus und muss weniger darüber nachdenken, was ich tun muss, um schnell zu sein." Dieses Nachdenken, assistiert Sergio Perez, ist das, was den Fahrer langsam macht. Einlenken, bremsen, aufs Gas gehen muss auf natürliche Weise kommen.
"Wenn du dir jedes Mal überlegen musst, wie du dein Auto positionieren musst, wo du bremst und wann du Gas gibst, damit das Auto das macht, was es kann, verlierst du Zeit." Sagt einer, der mit dem Red Bull das derzeit beste Auto fährt, aber auch erst einmal rausfinden muss, was dessen Eigenheiten sind. "Das fällt mir am Samstag schwerer als am Sonntag. Da kommst du irgendwann in einen Fluss."
Vettel erklärt, warum das Umsteigen heute noch einmal ein Stück schwerer geworden ist als bei seinem Wechsel von Red Bull zu Ferrari vor sechs Jahren. "In den letzten sechs Jahren kamen noch mehr Informationen dazu, die man bewältigen muss. Es müssen mehr Dinge im Kopf abgespeichert sein, bevor man sich auf das Fahren konzentrieren kann. Ein ganz wichtiges Detail sind die Reifen. Irgendwie ist es noch schwieriger das Fenster zu treffen. Das Wissen über die Reifen ist in den letzten Jahren explodiert. Du musst in dem neuen Auto das gleiche Gefühl für die Reifen bekommen, das du vorher gehabt hast."
Auch da gibt ihm Perez Recht: "An irgendeinem Punkt glaubst du zu wissen, wie du den Reifen behandeln musst. Und dann kommt der Wind von hinten oder die Asphalttemperatur steigt, und plötzlich funktionieren die ganzen Automatismen, die du von deinem früheren Auto her kennst, nicht mehr."
Sieg im Beschleunigungsduell
Vettels neu aufgefrischtes Selbstvertrauen zeigte sich an verschiedenen Punkten des Monaco-Wochenendes. Im Q1 ging Vettel das Risiko ein, nur einen Satz Soft-Reifen zu opfern. Das machen sonst nur die Fahrer, für die der Aufstieg ins Q3 Routine ist. Der achte Platz in der Startaufstellung war das Maximum dessen, was mit einem Aston Martin derzeit möglich ist. Vor Vettel standen nur Fahrer in schnelleren Autos.
Im Rennen trickste Vettel seine beiden Vorderleute mit dem besseren Reifen.anagement aus. Aston Martin setzte richtigerweise auf den Overcut. Dazu ließ Vettel den Kontakt zu Gasly und Hamilton erst abreißen, um die Lücke im entscheidenden Moment wieder zu schließen.
In der Zwischenzeit hatte er Reifen.ummi gespart. "Der Overcut hat uns den Tag gerettet. Wir haben die Lücke geschlossen als es wichtig war und hatten den Speed die Taktik gut umzusetzen. Es war auch die einzige Chance um nach vorne zu kommen."
Den finalen Platztausch erkämpfte sich Vettel auf der Rennstrecke. Im Beschleunigungsduell den Hügel zum Casino hoch hatte der frisch aus der Box gekommene Aston Martin die Nase leicht vorn. Doch das ist alles relativ, wenn es mit 275 km/h durch einen Leitplankenkäfig geht, der sich in sanften Kurven den Berg hoch schlängelt.
"Du siehst nicht genau, wo der andere ist und weißt auch nicht, wie viel er von dir sieht. Aber du weißt, dass er da ist", beschrieb Vettel das Dragster-Rennen Richtung Casino-Platz. Wer dort, wo die Strecke hinter Kuppe zum Nadelöhr wird, als erster vom Gas gehen würde, hatte verloren. Das war Gasly.
"Seb hat mir genau eine Wagenbreite plus zwei Zentimeter Platz gelassen. Als ich auf die schmutzige Spur geriet, musste ich nachgeben." Für Vettel war das gewonnene Duell auch eine Antwort auf seine Kritiker, die ihm zuletzt immer wieder Zweikampfschwäche attestiert hatten. Der Lohn war die Wahl zum "Fahrer des Rennens". Monte Carlo hat den neuen alten Vettel gesehen.
Ein Sieg gegen Hamilton
Monte Carlo ist sicher nicht die ideale Rennstrecke für eine Standortbestimmung. Dazu ist der Stadtkurs zu speziell. Hier spielt der Grip vom Reifen eine größere Rolle als anderswo. Hier können auch aerodynamisch ineffiziente Autos glänzen, weil der Speed auf den Geraden nicht zählt. Und hier kann der Fahrer gewisse Defizite mit Streckenkenntnis, Risikobereitschaft und Erfahrung wettmachen.
Doch um auf den achten Startplatz zu fahren und dann im Rennen Fünfter zu werden, braucht auch ein Vettel ein Auto, auf das er sich verlassen kann. Und das hatte er. "Der Schlüssel war, dass ich von Anfang an Vertrauen ins Auto hatte und das bis zum Sonntag konservieren konnte."
Er fühlte sich wieder als Steuermann im Cockpit, der dem Aston Martin seinen Willen aufzwingen konnte und nicht umgekehrt. Und er hatte den Dreh raus, wie er die Reifen behandeln musste, damit sie einerseits schnell und an allen vier Ecken gleichzeitig in ihr Arbeitsfenster kamen, andererseits im Rennen nicht zu schnell Gummiauflage verloren.
Was das ausmacht, zeigte sich bei Lewis Hamilton. Dem fehlte genau dieses Vertrauen, das Auto bis an die Leitplanken rutschen zu lassen. Plötzlich war der Überflieger ein ganz normaler Rennfahrer. Vettel qualifizierte sich in einem deutlich schlechteren Auto für die gleiche Startreihe, und er kam zwei Plätze vor dem Weltmeister ins Ziel.
Das neue Ziel ist Platz 5
Aston Martin brachte zwar seine gefühlt hundertste Modifikation am Unterboden mit, doch ob sie nun das Auto schneller gemacht hat oder ob die Fahrer einfach besser das Reifen.enster getroffen haben als die Konkurrenz, wird man erst in vier Wochen wissen. "Dafür brauchen wir eine normale Rennstrecke wie Paul Ricard. Dort setzt das Auto die Grenzen, nicht der Fahrer", urteilt Vettel. Für ihn war Monaco ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber noch kein Durchbruch.
Er hofft jetzt, dass Aston Martin die Vorstellung in Baku wiederholen kann: "Es ist eine ähnliche Strecke mit einer langen Gerade drin." Der entscheidende Unterschied ist die Aerodynamik-Konfiguration. Hier zählt nicht mehr maximaler Anpressdruck, sondern Effizienz. Die Flügel, die an das Auto geschraubt werden, kommen auch in Spa zum Einsatz. Und damit spielen die Qualitäten des Autos wieder eine wichtigere Rolle. Mit Vertrauen allein fährt man in Baku keine Bestzeit.
Da die Ingenieure wieder ein größeres Spektrum an Kurven abdecken müssen, wird Aston Martin zu den Mitteln greifen müssen, von denen man sich in Portugal und Spanien Besserung versprach. "Wir stimmen die Autos so ab, damit die Aerodynamik einigermaßen stabil funktioniert. Das entspricht nicht unbedingt dem, was die Fahrer wollen. Sie müssen ihren Fahrstil darauf anpassen, aber unter dem Strich ist es schneller", erzählt uns einer aus dem Team.
Aston Martin hat den Traum aufgegeben, das ursprüngliche Saisonziel von Platz drei noch zu erreichen. "Es wäre unrealistisch zu glauben, dass wir McLaren und Ferrari noch einholen oder regelmäßig schlagen können", gibt Teamchef Otmar Szafnauer zu. Damit ist der fünfte Platz das neue Ziel. Und den kann man auch schaffen, wenn man schnell auf das 2022er Modell umschwenkt.
Technikchef Andy Green kommt schon gar nicht mehr an die Strecke. Sein nächster Auftritt an der Front ist das Heimrennen in Silverstone. Alles, was jetzt noch ans Auto kommt, um dem AMR21 Beine zu machen, hat bereits seine Windkanalschleifen durchlaufen.