Mercedes verzeiht sich den Fehler
Nach dem Rennabbruch stand Hamilton vor einem geschenkten Sieg. WM-Gegner Max Verstappen lag mit einem beschädigten Red Bull zwölf Plätze hinter ihm. Doch dann unterlief Mercedes ein Fehler, der Hamilton ein hartes Stück Arbeit bescherte.
Es war ein Bild, das man so noch nicht gesehen hat und so wahrscheinlich auch nicht mehr sehen wird. Als der Re-Start zum GP Ungarn angepfiffen wurde, stand Lewis Hamilton./span> mutterseelenallein in der Startaufstellung. Alle anderen Fahrer, die den Massencrash zum eigentlichen Rennstart unbeschadet überstanden hatten, bogen zum Reifenwechsel in die Boxengasse ab. Hamilton ging zwar souverän in Führung, doch nach einer Runde musste auch er seine Intermediates gegen Slicks tauschen. Das warf ihn auf den letzten Platz zurück.
Auch Hamilton wunderte sich, dass er einsam der Startaufstellung stand. "Ich habe in der Formationsrunde Kurve für Kurve durchgebetet, und immer gesagt, dass es trocken ist. Rückblickend war es ein Fehler, aber wir gewinnen und verlieren zusammen. Das Team hat danach einen großartig Job mit der Strategie gemacht, um mich wieder nach vorne zu bringen. Den Rest habe ich erledigt."
Auch Teamchef Toto Wolff nahm seine Truppe in Schutz: "Es war so ein Fehler, den du erst hinterher als Fehler erkennst. Die Entscheidung war richtig zu dem Zeitpunkt, an der wir sie getroffen haben. Es gab viele gute Gründe, warum wir nicht in die Boxengasse abgebogen sind. Wir haben zum Beispiel nicht damit gerechnet, dass die Strecke in nur einer Runde abtrocknet."
Angst vor Massenansturm
Die Ingenieure erzählten später, was am Kommandostand wirklich vor sich ging. Mercedes hatte durchaus einige Risikospieler erwartet, die schon nach der Formationsrunde den Wechsel von Intermediates auf Slicks durchführen würden. Wer weiter hinten steht, hat weniger zu verlieren. "Wir haben mit maximal 50 Prozent des Feldes in der Box gerechnet und dass die Teams ihre Fahrer splitten, um Wartezeiten zu vermeiden", gaben die Strategen zu.
Es war unter anderem die Erfahrung aus dem letzten Jahr, die Mercedes davon abhielt, das gleiche zu tun. Auch da kam es schon nach wenigen Runden zu einem Massenansturm an die Box. "Die Boxengasse ist extrem eng in Budapest. Wenn viele Fahrer gleichzeitig kommen, ist die Chance groß, dass dir einer den Frontflügel abrasiert oder in deinen Weg fährt. Speziell wir sind davon betroffen, weil wir die erste Box haben und unter Umständen lange warten müssen, bis wir überhaupt anfahren dürften."
Die Strategie-Software rechnete aus, dass Hamilton bestenfalls auf dem 8. Platz sich wieder ins Rennen eingereiht hätte, wäre er wie alle anderen zum Boxenstopp gekommen. "Auch das hätte uns in der Gesamtzeit Rennzeit gekostet, es wäre aber einfacher gewesen, wieder nach vorne zu kommen."
Besonders im ersten Stint tat sich Hamilton schwer, Boden gutzumachen. Er brauchte allein fünf Runden, um den Alfa Sauber von Antonio Giovinazzi zu überholen. Hinter Pierre Gasly war Endstation. Deshalb holte ihn das Team schon in der 19. Runde für die harten Reifen an die Box. Ab da war klar, dass Hamilton auf zwei Stopps unterwegs war. "Das war von unserer Position nach dem Re-Start immer so geplant", gaben die Strategen zu.
Das Duell der Weltmeister
Bis zur 47. Runde arbeitete sich der Weltmeister auf den 4. Platz vor. Da hatte er so viel Luft nach hinten, dass er mit dem Wechsel zurück auf Medium-Reifen nur um eine Position hinter Fernando Alonso fallen würde. Der Spanier hatte die härtere Reifenmischung am Auto, die allerdings nur um acht Runden älter war als die Garnitur von Hamilton. Zunächst trennten die Weltmeister scheinbar uneinholbare 14,3 Sekunden. Doch Hamilton holte wie der Wirbelwind auf. Teilweise in 2,5 Sekunden-Schritten.
Schon sieben Runden später hing der Mercedes dem Alpine formatfüllend im Rückspiegel. Dann begann ein Duell, das Esteban Ocon den Grand Prix gewann und Hamilton den 100. GP-Triumph kostete. Alonso wehrte sich elf Runden lang mit allen Tricks gegen den übermächtigen Gegner. Der Spanier wusste genau, dass sein Teamkollege von 2007 nicht nur den offensichtlichen Versuch am Ende der Zielgerade starten würde, sondern dass er zuvor andere Kollegen auch außen in Kurve 2 und vor Kurve 4 überholt hatte. Und genau dort positionierte er seinen Alpine so, dass der Titelverteidiger immer wieder zurückstecken musste.
Iregendwann machte sich Frust im Mercedes-Cockpit breit. "Fernando fährt gefährlich", klagte Hamilton am Funk. Es dämmerte ihm erst nach dem Rennen, dass es wohl eher harter Rennsport war, wenn er seine Kollision mit Verstappen in Silverstone auch als solche bezeichnet hatte. Hinterher schwärmte der Mercedes-Pilot: "Es war ein unglaubliches Duell. Fernando ist einer der härtesten Fahrer im Zweikampf, aber er bleibt immer fair. Einmal vielleicht ist er über das Limit gegangen." Das war, als sich beide im Anflug auf Kurve 4 mit den Rädern berührten. Toto Wolff pflichtete bei: "Fernando hat sich hart verteidigt, ein Mal sehr hart, aber er hat einen großartigen Job für sein Team gemacht. Das war absolut akzeptabel."
Hamiltons seltsame Müdigkeit./strong>
Die Ingenieure rechneten vor: "Wäre Lewis fünf Runden früher an Alonso vorbeigekommen, hätten wir das Rennen gewonnen. Er war im Ziel ja schon im Windschatten von Vettel." Das gleiche sagten die Simulationen von Alpine. Für Hamilton war es angesichts der Umstände trotzdem wie ein Sieg. Er machte 14 Zähler auf Verstappen gut und geht wieder als WM-Spitzenreiter in die Sommerpause. Da ließ es sich sogar verschmerzen, dass ihm Pierre Gasly in der letzten Runde noch den Bouns-Punkt für die schnellste Runde klaute.
Erst nach der Zieldurchfahrt wurde Hamilton schwach. Während der Siegerehrung befiel ihn die große Müdigkeit, und er klagte über Schwindelgefühle. Zur Pressekonferenz kam er mit Verspätung. War es das intensive Rennen und die Aufholjagd über 65 Runden, die den Champion an seine Grenzen brachten? Hamilton äußerte noch einen zweiten Verdacht. "Seit meiner Corona-Erkrankung letztes Jahr spüre ich hin und wieder eine gewisse Müdigkeit. Ich musste sogar mein Training umstellen." Da machte schnell der Verdacht von Long Covid die Runde.
Für Valtteri Bottas endete die ersten Saisonhälfte mit einem doppelten Tiefschlag. Zuerst räumte der Finne beim Start Lando Norris von der Bahn, drückte den McLaren in Max Verstappen und nahm dann noch den anderen Red Bull von Sergio Perez aufs Korn. Kurz vor Rennende gaben ihm die Sportkommissare eine Strafe. Bottas muss in Spa fünf Startplätze zurück.
Toto Wolff entschuldigte sich öffentlich bei Red Bull. "Es ist unerfreulich, wenn dein Fahrer drei Autos abräumt und zwei davon sind Red Bull. Ich kann verstehen, wenn Red Bull sauer ist, und ich empfinde es als meine Pflicht, das zu bedauern." Auf Bottas wollte der Österreicher nicht eindreschen. "Es war ein Fehler mit großen Folgen, ganz klar. Aber Valtteri lag im Sandwich von zwei Autos vor ihm und hat Abtrieb verloren."