Red Bull passt Entwicklungsplan an
Helmut Marko spricht im Interview über den unverschuldeten Unfall von Max Verstappen und die Ausfallwahrscheinlichkeit von Sergio Perez. Der Grazer Doktor macht nach sechs Grand Prix eine Bestandsaufnahme, und weist Gerüchte zurück, die Pierre Gasly mit Alpine verbinden.
Haben Sie Pirelli bereits die Rechnung für den Verstappen-Crash geschickt?
Marko: Nein, haben wir nicht, weil es theoretisch ja leider nicht möglich ist.
Wie sehr schmerzt so ein unverschuldeter Unfall in Zeiten der Budgetdeckelung, wo es um jeden Dollar geht?
Marko: Der Schaden hält sich Gott sei Dank in Grenzen, weil Verstappen an einer Stelle einschlug, wo es eine Ausbuchtung an der Strecke gibt. Dadurch hatte er etwas mehr Auslaufzone. Darum geht es aber nicht. Wir waren zu diesem Zeitpunkt mit Red Bull auf den Plätzen eins und zwei. Mit Gasly und Tsunoda waren wir auch gut platziert. Der Vorsprung von Max auf Hamilton wäre auf 15 Punkte gewachsen.
Verstappen tut der Nuller mehr weh als Hamilton.
Marko: Es schmerzt halt. Wir sind die schnellste Kombination. Auto plus Fahrer. Aber wir sind nur vier Punkte vorne. Das spiegelt nicht unsere Stärke wider. Bei dem Glück, das Mercedes hat, muss man um jeden Punkt froh sein, um den man sich absetzen kann.
Es hätte aber auch zum Supergau für Red Bull kommen können. Wie groß war die Sorge, dass Hamilton gewinnt?
Marko: Die war sehr groß und sehr berechtigt. Und Gott sei Dank hatte Perez beim Restart durchdrehende Räder. Wenn er besser weggekommen wäre, hätte ihn Hamilton mit abgeräumt. Glück im Unglück.
Wie Spitz auf Knopf stand es, dass Perez mit dem Hydraulik-Problem überhaupt durchkommt?
Marko: 50 zu 50. Sein Auto hat einfach Hydraulikflüssigkeit verloren. Das ist schon vorher im Rennen aufgetreten. Als das Auto während der Unterbrechung stand, hat es weiter getröpfelt.
Wie weit wäre er noch gekommen? Er hat das Auto ja direkt nach der Zielankunft abgestellt.
Marko: Er hat es sicherheitshalber abgestellt. Es lässt sich nicht sagen, wann genau der Ausfall gekommen wäre. Irgendwann hätte er keine Servolenkung mehr gehabt. Das hätte dann eine Kettenreaktion ausgelöst.
Ist Perez endgültig bei Red Bull angekommen? Er war ja das ganze Wochenende schnell.
Marko: Er war immer vorne dabei. Das war aber schon in Monte Carlo so. Sobald er dort freie Fahrt hatte, hat er gleich schnelle oder sogar schnellere Rundenzeiten als Verstappen hingelegt. Dadurch war auch der Overcut möglich.
Wie sehr hat Red Bull das Rennen bis zum Verstappen-Ausfall gemanagt? Musste man überhaupt die wahre Pace zeigen?
Marko: Wir haben es souverän kontrolliert, würde ich sagen. Max hätte deutlich schneller fahren können.
Ist Red Bulls großer Vorteil, ein besseres Allrounder-Auto als Mercedes zu haben.
Marko: Wir hatten in Baku und Monaco das schnellste Auto. Und auf anderen Strecken. Wir waren in Barcelona vielleicht nicht ganz so gut. Das lag aber hauptsächlich am Reifenverschleiß. Wir haben aber generell das schnellere Paket. Und wir reden nicht so viel über Fehler und dergleichen. Und wir machen sie auch kaum.
Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf beim Paket?
Marko: Wir sind schnell. Singapur fällt weg. In der Entwicklung ist das ein ganz entscheidender Schnitt. Singapur erfordert ganz was anderes als der Rest. Es kommt nur noch ein langsamer Kurs. Das ist Budapest. Aber der ist auch nicht so extrem langsam wie Singapur. Gott sei Dank ist die Absage so rechtzeitig gekommen, dass unsere Entwicklung entsprechend vorausschauend planen kann.
Es gibt also Anpassungen beim Fahrplan.
Marko: Ganz klar. Singapur wäre natürlich schon eine Strecke gewesen, die uns sehr gelegen hätte. Aber so ist es halt.
Was kommt noch von Honda? In Baku hat man keine frischen Motoren gezogen.
Marko: Wir versuchen so lange wie möglich mit dem ersten Triebwerk zu fahren. Nachdem es bei Red Bull Racing keinerlei Anzeichen von Ermüdungserscheinungen oder PS-Rückgängen gibt, werden wir es weiter so halten. Der Schaden bei Gasly mit dem Leistungsverlust wird in Sakura untersucht. Sollte da etwas sein, was auch die Motoren im Red Bull betrifft, wäre es eine neue Erkenntnis und würde die weiteren Pläne beeinflussen.
Honda zögert den Wechsel auch hinaus, um die Standfestigkeit weiter abzusichern, und damit mehr Leistung herauszuholen.
Marko: Gut gedacht.
Wie sind die Aussichten für Frankreich? Es geht zurück auf eine permanente Rennstrecke.
Marko: Frankreich ist wieder ein atypischer Kurs mit einem Belag, den es sonst nirgends gibt und mit speziellen Kurvenfolgen. Wir gehen mit der Einstellung dorthin, überall die Schnellsten sein zu müssen.
Wie kam es, dass Alpha Tauri so schnell war?
Marko: Das Auto war nicht nur in Monaco und Baku, sondern auch in Imola sauschnell. Es bestehen nur gewisse Probleme, warum der Speed nicht immer abrufbar ist. Generell hoffen wir schon, dass wir den fünften Platz halten können. Der Yuki genießt nun seinen Italien-Aufenthalt. Das macht sich schon in der Performance bemerkbar.
Geht das so schnell nach dem Umzug von England nach Italien?
Marko: Das sehen Sie ja. Den Ausrutscher in der Quali sehen wir ihm nach. Er war der einzige Fahrer, weil er den Kurs noch nicht kannte. Im Rennen war er stark. Das Manöver, bei dem ihm Alonso durchrutscht – da wollte er den Norris packen. Yuki hat das ganze Rennen keinen Fehler gemacht.
Mit mehr Erfahrung sollte er immer besser werden.
Marko: In der zweiten Saisonhälfte erwarte ich mir regelmäßig Punkte von ihm.
Überrascht Sie Pierre Gasly noch in irgendeiner Form?
Marko: Nein. Der läuft zu immer höherer und bester Form auf. Bei Alpha Tauri passt das Paket optimal. Die Kombination passt super zusammen. Wir haben ja noch einen Vertrag, der über zwei weitere Jahre geht. Ich weiß nicht, woher das Gequatsche über Renault wieder herkam. Pierre ist der ideale Botschafter für Alpha Tauri als der leicht modische Franzose. Stark ist aber vor allem die Performance im Auto. Er hatte in Baku im Rennen Leistungsverlust. Dass er Leclerc hinter sich gehalten hat, war eine ganz tolle Leistung.
Sie haben also keine Kopfschmerzen, dass Gasly zu Ihnen kommt und sagt: Ich will den zweiten Red Bull fahren.
Marko: Diese Frage stellt sich momentan nicht. Wir haben einen super Fahrerpool. Ihr habt ja schon geschrieben, dass wir keinen Nachwuchs haben. Der Vips gewinnt in der Formel 2 nach Belieben, wenn das Auto hält. Der Lawson ist absolut mit vorne dabei. Den kann man nur mit Zehnsekundenstrafen nach hinten schieben. Es kommen also viele Talente aus unseren eigenen Reihen, die den Red Bull fahren wollen.
Perez wird sich an seinen Sitz klammern.
Marko: Ja, und vor allem integriert er sich sehr gut im Team. Er ist ein sehr guter Teamplayer.
Erfüllt er die Erwartungen?
Marko: Seinen Rennspeed hatten wir erwartet. Im Qualifying ist er hinter den Erwartungen geblieben. Aber das löst sich auch langsam. In Monte Carlo wäre zum Beispiel eine bessere Runde möglich gewesen. Aber da war unsere Herangehensweise nicht richtig. Wir wollten mit dem ersten Reifensatz auf Sicherheit fahren und mit dem zweiten Satz attackieren. In beiden Fällen, sowohl in Monte Carlo wie auch in Baku, kam dann die rote Flagge dazwischen. Wir müssen es umgekehrt machen: zuerst eine Super-Runde hinknallen, und dann sehen wir weiter. Die Häufigkeit der Unfälle im dritten Qualifying ist einfach gegeben. Tendenz steigend.
Noch ein Wort zu Sebastian Vettel. Wie sehen Sie Ihren alten Schützling?
Marko: Das war Vettel, wie wir ihn kennen. Wie er schon auf das Podium gesprungen ist. Aber vor allem seine Überholmanöver. Die Kämpfe mit Gasly. Die erste Runde. Ich bin sehr erfreut, dass dieser Wandel in relativ kurzer Zeit gelungen ist. Ich hoffe, dass das auf anderen Kursen auch der Fall ist. Er ist die Nummer eins im Stroll-Team, was der Papi wahrscheinlich nicht so gut finden wird.