Hamilton-Sieg gegen alle Widerstände

Mercedes hat auf der Strecke zurückgeschlagen nach zahlreichen Nackenschlägen in Brasilien.
Lewis Hamilton war nicht aufzuhalten. Weder durch Strafen noch durch Max Verstappen. Der Weltmeister fuhr in Brasilien in seiner eigenen Liga. Beinahe wäre es zur dritten Kollision zwischen den WM-Gegnern gekommen. Ferrari führte die Vorentscheidung im Kampf um den dritten Platz herbei.
Lewis Hamilton./span> gewann den Großen Preis von Brasilien mit einer unwiderstehlichen Aufholjagd. Für ihn war es der sechste Sieg der Saison. Er rückt Max Verstappen bis auf 14 Punkte nah. Wir analysieren das Rennen.
Hätte Verstappen eine Strafe verdient?
Es war ein Rennwochenende der Kontroversen. Beinahe hätte es in einer Kollision zwischen Lewis Hamilton./span> und Max Verstappen geendet. Die WM-Rivalen kamen sich in Runde 48 in der vierten Kurve gefährlich nah. Verstappen deckte auf der Geraden die Innenspur ab, Hamilton zog außen an ihm vorbei. Doch das ließ der WM-Führende nicht über sich ergehen. Verstappen bremste spät in die Kurve und nahm Hamilton mit in die Auslaufzone. So behauptete er seine Führung.
Mercedes schäumte: "Dafür hätte Max eine Strafe von fünf Sekunden bekommen müssen", forderte Teamchef Toto Wolff. Damit wäre Verstappen im Endergebnis hinter den zweiten Mercedes gefallen. Klar, dass Mercedes dann für eine Strafe plädiert. Red Bulls Star kam aber ohne davon. Verstappen gab zu seiner Entschuldigung an, dass er spät gebremst habe, und nicht mehr ausreichend Haftung auf langsam abbauenden Reifen hatte, um den Scheitelpunkt zu erwischen. Seine Chefs hatten an dem Manöver naturgemäß nichts auszusetzen. "Fahren wir Rennen oder sind wir im Kindergarten?", fragte Sportchef Helmut Marko.
Ein Teammanager stellte sich auf die Seite von Mercedes. "Toto hat recht. Eigentlich hat Verstappen eine Fünf-Sekunden-Strafe verdient. Er macht die Lenkung bewusst noch einmal auf, um Hamilton abzudrängen." Oder anders: Er hat ihn von der Strecke gewzungen. In jedem Fall hat der Weltmeister entscheidend dazu beigetragen, dass es am dritten Sprintwochenende der Saison nicht den dritten Unfall zwischen den Titelrivalen gab. "Das kann in der Hitze des Gefechts passieren. Ich war anfangs vorn, er hat sich behauptet. Ihm ist dann die Straße ausgegangen, also musste ich aufpassen. Das ist hartes Rennfahren. Und ehrlich gesagt würde ich in dieser Situation nicht weniger erwarten", sagte Hamilton. Kann man so stehenlassen.
Die Rennleitung notierte den Fall, dem aber die Sportkommissare nicht weiter bis zur Untersuchung nachgingen. Rennleiter Michael Masi: "Wir haben das Prinzip, die Fahrer gegeneinander fahren zu lassen. Sie sollen kämpfen. Wir haben uns alle verfügbaren Perspektiven angeschaut, und sind zu dem Entschluss gekommen, diese Philosophie anzuwenden."
Hat Mercedes einen Doppelsieg verschenkt?
Am Start lief es umgekehrt zum Sprint. Diesmal beschleunigte Verstappen den Mercedes von Valtteri Bottas aus. Und er drückte ihn in der ersten Kurve sogar neben die Fahrbahn. Damit geriet der Finne schon einmal ins Hintertreffen. Ausgangs Kurve vier kassierte ihn dann auch noch Sergio Perez.
Der Noch-Mercedes-Pilot hatte das Gefühl, den zweiten Platz trotzdem einfahren zu können. Nach Zieleinlauf haderte er mit seinem zweiten Boxenstopp in Runde 41. Mercedes folgte Verstappen mit der Verzögerung von einer Runde zum Wechsel auf einen zweiten harten Reifensatz. Bottas hatte das Gefühl, mit dem ersten über die Distanz kommen zu können. Mercedes.Teamchef Toto Wolff sprach von einer marginalen Entscheidung zwischen ein und zwei Stopps. "Wir wollten lieber auf Nummer sicher gehen, und das Podest gegen Perez absichern." Dass er vor dem Mexikaner war, hatte er überhaupt erst der zweiten VSC-Phase zu verdanken, die ihm sieben Sekunde schenkte beim ersten Stopp schenkte.
Die Mercedes.Strategen machten klar, dass ein Einstopper keine Option war. Bottas hätte nie und nimmer durchgehalten, ohne signifikant an Zeit zu verlieren. Irgendwann wären ihm die Hinterreifen eingegangen. Das Rennen war von der Pace her zu schnell, um mit der Reifenfolge medium-hart über die Distanz zu kommen. Besonders bei Asphalttemperaturen von mehr als 50 Grad Celsius.
Wie konnte Hamilton überhaupt gewinnen?
Hamilton kämpfte sich gegen alle Widerstände zum sechsten Saisonsieg. Eine Disqualifikation und zwei Startplatzstrafen waren nicht genug, um den Champion zu bremsen. Die Nackenschläge und die gefühlte ungerechte Behandlung von Seiten der FIA haben eine Trotzreaktion hervorgerufen. Mercedes geht voll ins Risiko – und es zahlte sich aus.
Der Titelverteidiger stürmte im Sprint von hinten auf Platz fünf. Und im Hauptrennen nach Motorenstrafe von Position zehn zum Erfolg. In der Startphase kassierte er drei Gegner. Am Ende der ersten Runde Sebastian Vettel. In Runde drei die beiden Ferrari. In Runde fünf winkte ihn der Teamkollege vorbei. Das frühe Safety Car ließ seinen Rückstand von viereinhalb Sekunden zu Verstappen verdampfen.
Der erste Red Bull von Sergio Perez war im 19. Umlauf fällig. Wie später bei Verstappen brauchte er zwei Anläufe. Im 59. Umlauf konnte der WM-Führende nichts mehr ausrichten. Hamilton hatte ihn sich zu gut zurechtgelegt im Senna-S, um später bereits Mitte Gegengerade vorn zu sein. "Zwei Runden davor begann ich, mehr mit den Reifen zu straucheln. Die Traktion fehlte immer mehr. Ich war eine leichte Beute für ihn. In Kurve drei war mir schon bewusst, dass er mich kriegt. Er war einfach zu nah dran."
Auf eine Runde waren die WM-Rivalen mehr oder weniger gleichwertig. Red Bulls Problem war, dass Hamilton weltmeisterlich fuhr. Und dass man zugunsten von etwas mehr Höchstgeschwindigkeit auf den Geraden etwas Anpressdruck opferte. Dieser kleine Kompromiss sorgte dafür, dass der Red Bull die Reifen in den Kurven bei Hitze etwas härter rannahm. Verstappen konnte im kurvenreichen Mittelabschnitt kein Tempo rausnehmen. Er musste angasen, um Hamilton bis zur Zielgerade weit genug zu entwischen.
Das wusste Mercedes. Deshalb unternahm man alles, um den Gegner in einen frühen zweiten Stopp zu zwingen, damit Verstappen möglichst ein langer Finalstint bevorsteht. Er musste 31 Runden auf den harten Reifen durchhalten. Irgendwann mussten ihm bei dieser Fahrweise die Reifen eingehen.
Red Bull fehlten rund 15 km/h zu Hamilton. Das Team führt seinen Nachteil auf den Geraden auf drei Umstände zurück: Hamiltons frischen Motor. Der bringt nach Mercedes.Rechnung ein Zehntel. Den Trick mit dem Absenken des Hecks. Und das offenbar bewusste nach unten drücken des unteren Heckflügel-Elements ab 260 km/h. Mercedes fürchtet sich nicht vor einem Protest, auf den Red Bull vorerst verzichtet. Offenbar bemüht man sich erstmal um Klarstellung.
Wieso wurde Hamilton bestraft?
Nach dem GP gab es die nächste Untersuchung gegen Hamilton. Er hatte sich nach Zieldurchfahrt für den Jubel ausgeschnallt, und die brasilianische Flagge aus dem Auto gehalten. Die Sportkommissare verstanden sein Motiv, reagierten aber trotzdem mit einer Strafe. Auch wenn ein Formel-1-Auto langsam fahre, sei es immer noch zu schnell für einen "haltlosen Insassen". Außerdem habe jeder Fahrer eine Vorbildfunktion für den Nachwuchs. Sie belegten ihn mit einer Geldbuße von 5.000 Euro – plus 20.000 auf Bewährung.
Manch einer schüttelte den Kopf. "Die Formel 1 beginnt, sich lächerlich zu machen. Erst muss Verstappen 50.000 Euro zahlen, weil er einen Heckflügel berührt. Dann wird Hamilton noch zur Kasse gebeten, weil er sich ausschnallt. In der Vergangenheit gab es Fälle, wo sich unter der Fahrt die Gurte gelöst haben. Da passierte nichts."
Alfa-Teammanager Beat Zehnder erinnert sich an einen Fall aus der Sauber-Vergangenheit bei den Sportwagen. "Jochen Mass und Michael Schumacher wurden 1991 in Silverstone vom Rennen ausgeschlossen, nachdem Michael im Training das Auto reparierte, und unangeschnallt zurück in die Box fuhr."
Hat Ferrari den dritten WM-Platz im Sack?
Ferrari machte 19 Punkte, McLaren wieder nur einen. Die Italiener führten in Brasilien das Mittelfeld souverän an. Wieder zeigte sich, welch großer Fortschritt mit dem in Russland eingeführten Hybrid-Upgrade gelungen ist. Ferrari kann von Anfang bis Ende der Geraden boosten.
Mehr Leistung für längere Zeit sorgt auch dafür, dass die Ingenieure bei der Fahrzeugabstimmung nicht mehr zu sehr zu Kompromissen gezwungen werden. Man kann viel Heckflügel fahren, ohne beim Geradeausfahren zu büßen. Charles Leclerc und Carlos Sainz kamen als Vierter und Fünfter aus der Startrunde, und verloren jeweils nur noch eine Position gegen Hamilton.
Nur am Start wurde es brenzlig. Sainz schlitzte dem McLaren von Lando Norris den linken Hinterreifen auf. "Lando hatte einen super Start. Carlos einen schlechten. Lando musste irgendwo hin, und hat sich für die Außenseite entschieden. Da ist ihm irgendwann der Platz ausgegangen, weshalb es zum unglücklichen Kontakt kam", führte McLarens Teamchef Andreas Seidl aus. Norris erkämpfte nach frühem Stopp immerhin noch einen Punkt.
Daniel Ricciardo scheiterte mit Defekt in Runde 39. "Es gab einen Riss zwischen Chassis und Power Unit. Das hat zu Leistungsverlust geführt." Ferrari exerzierte die vor dem Rennen festgelegte Zweistoppstrategie. Pierre Gasly hinter sich hatte man zu jeder Zeit im Griff. Jetzt ist man McLaren um 31,5 Punkte in der WM davongezogen.
Seidl hält fest: "Wir tun uns auf Strecken schwer, auf denen maximaler Abtrieb gefordert ist. Im Vergleich zu Ferrari und Alpha Tauri, auch wenn wir hier nicht von einem großen Unterschied sprechen. Wir müssen nach Mexiko und Brasilien realistisch sein. Wenn es normal läuft, wird Ferrari Dritter in der WM."