Chancenlos trotz Radikal-Setup
Mercedes kämpfte in Spielberg mit stumpfen Waffen gegen Max Verstappen. In der Rennanalyse beantworten wir die Frage, warum Red Bull beim Heimspiel so stark aufgeigte. Und wir erklären, warum sich das Kräfteverhältnis im Verfolgerduell gegenüber Paul Ricard umdrehte.
Warum war Red Bull so überlegen?
Der Machtwechsel hatte sich schon sieben Tage zuvor angedeutet. In Le Castellet lagen Red Bull und Mercedes praktisch auf Augenhöhe. In Spielberg fuhr Max Verstappen dann sowohl in der Qualifikation als auch im Rennen zwei Zehntel pro Runde schneller als seine Verfolger in den schwarz lackierten Silberpfeilen.
Mercedes reiste schon mit einem schlechten Gefühl zum Auswärtsspiel in der Steiermark. Um überhaupt eine Chance zu haben, ging man bei der Abstimmung volles Risiko. "Wir haben mit dem Setup eine fast schon radikale Lösung gewählt", verriet Chefingenieur Andrew Shovlin. Zur Vorbereitung auf den Red Bull Ring drehte Lewis Hamilton sogar ein paar Extrarunden im Simulator in Brackley. Die Not musste groß sein. Trockenübungen absolviert der Weltmeister bekanntlich nur widerwillig.
Am Ende half aber auch das nicht. "Red Bull fuhr in einer eigenen Liga. Wir hatten nicht die richtigen Waffen, um sie zu schlagen", gab Teamchef Toto Wolff fair zu. Bei der Erklärung für die starke Vorstellung reicht ein kurzer Blick auf die GPS-Messungen. Im direkten Vergleich gewann Red Bull seine gesamte Zeit auf den Geraden – insgesamt 0,25 Sekunden.
Mercedes macht dafür vor allem den Power-Vorteil der zweiten Honda-Ausbaustufe verantwortlich, die das Auswählen von schärferen Mappings erlaubt. Wegen der größeren Turboschaufeln gerät das japanische Triebwerk auf Strecken in dünner Luft nicht so schnell außer Atem. Spielberg liegt 670 Meter über dem Meeresspiegel. Da macht sich der geringere Sauerstoffanteil bemerkbar.
Red Bull selbst verweist dagegen eher auf den kleineren Heckflügel am RB16B. "Gegenüber unserem Auto hatte Mercedes ja praktisch ein Scheunentor hinten draufgeschnallt", witzelte Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Für den Silberpfeil war ein schlankeres Leitwerk dagegen keine Option: "Dann hätten wir in den Kurven zu viel Zeit verloren", winkte Hamilton ab.
Neben dem überlegenen Top-Speed half Red Bull im Rennen auch der bessere Reifenverschleiß. Gegenüber Verstappen verlor Hamilton am Ende der Stints jeweils deutlich an Boden. Das kam etwas überraschend. Normalerweise hilft der zusätzliche Abtrieb eines größeren Flügels beim Reifenmanagement. "Wir müssen jetzt mal analysieren, ob uns das Setup-Abenteuer in den Longruns geschadet hat", grübelte Shovlin.
War die Perez-Taktik richtig?
Auch das Duell der Nummer-Zwei-Piloten schien Red Bull für sich zu entscheiden. Doch dann wollte sich das linke Hinterrad beim Boxenstopp von Sergio Perez nicht reibungslos aufsetzen. Zwei Sekunden gingen beim Service verloren. Das reichte Valtteri Bottas, um nach seinem Reifenwechsel eine Runde später vor dem Mexikaner auf die Strecke zu kommen.
Weil ein schneller Red-Bull-Konter auf der Piste aussichtslos erschien, wechselten die Taktiker auf eine Zweistopp-Strategie. Der Vorteil der frischeren Gummis sollte im Finale den Platztausch ermöglichen, so wie es nur sieben Tage zuvor bei Verstappen klappte. Doch auf dem Zielstrich fehlte Perez eine halbe Sekunde zu Bottas. "Eine Runde mehr und er hätte es wohl vorbeigeschafft", bedauerte Horner.
Bei Mercedes war man auf die Taktik des Gegners eingestellt. "Sie hatten ja nichts zu verlieren", erklärt Shovlin. "Wir hatten den Zweistopper mit Valtteri ebenfalls in Erwägung gezogen. Aber als wir vorne lagen wollten wir den Podiumsplatz nicht freiwillig aufgeben, nur um dann mühsam zu versuchen ihn zurückzugewinnen." Das Mercedes-Simulationsprogramm berechnete, dass beide Autos in der letzten Runde zusammenkommen, es aber nicht für eine Attacke reicht. "Es war schön zu sehen, dass die Vorhersage exakt passte. Wir waren aber auch froh, dass das Rennen nicht noch länger ging."
Wie gelang Ferrari die Wende?
Nach der Pleite vom Frankreich-GP richtete Ferrari in Spielberg alles auf die richtige Reifenbehandlung im Rennen aus. Als in der Qualifikation dann aber nur die Startplätze sieben und zwölf raussprangen, zeigte sich die Teamleitung doch etwas enttäuscht. Doch der Fokus auf die Longrun-Pace zahlte sich am Sonntag voll aus.
Obwohl Charles Leclerc nach seinem Kontakt mit Pierre Gasly in der Startrunde einen frühen Reparaturstopp einlegen musste, kam der Monegasse auf Platz sieben hinter dem Schwesterauto ins Ziel. Als Belohnung für die grandiose Aufholjagd, bei der er zwölf Autos überholte, gab es von den Fans auch noch die Auszeichnung "Fahrer des Rennens".
Sainz war ebenfalls gut unterwegs. "Auf dem zweiten Stint mit harten Reifen ging richtig die Post ab. Leider wurden mir direkt nach dem Boxenstopp blaue Flaggen gezeigt, um Hamilton vorbeizulassen. Der fuhr dann zehn Runden vor mir her, obwohl ich eine bessere Pace hatte. Bis ich mich endlich zurückrunden konnte, waren meine Reifen ruiniert. Sonst hätte ich wohl noch Lando (Norris) bekommen."
Die Steigerung gegenüber der Vorwoche ist aber noch kein Zeichen, dass Ferrari über den Berg ist. In Le Castellet sind die Vorderreifen mehr gefordert, in Spielberg die hinteren Gummis, was dem SF21 entgegenkommt. Auch die warmen Temperaturen und die vergleichsweise harten Mischungen haben geholfen. "Erst in Silverstone werden wir die Antwort bekommen, ob wir die richtigen Schlüsse gezogen haben", gab Teamchef Mattia Binotto zu.
Warum fiel Daniel Ricciardo aus den Punkten?
Eigentlich hatte man bei McLaren gehofft, dass die Anpassungsprobleme von Daniel Ricciardo gelöst seien. Doch der guten Leistung in Paul Ricard folgte ein enttäuschendes Wochenende in Spielberg. Nach einem ordentlichen Trainingsfreitag ging in der Qualifikation plötzlich gar nichts mehr. Der Neuling im Team startete am Sonntag zehn Plätze hinter Teamkollege Lando Norris von Position 13 ins Rennen.
Dank einer sensationellen ersten Runde konnte Ricciardo dann aber ordentlich Boden gutmachen. Er hatte sich bereits auf Rang neun nach vorne gekämpft als sein Mercedes-Motor im siebten Umlauf plötzlich die Leistung verweigerte. Innerhalb einer halben Runde verlor der Mann aus Perth vier Plätze, bevor endlich wieder volle Power anlag.
"Das war ein Problem mit der Motorsteuerung", erklärte Teamchef Andreas Seidl anschließend. Während Ricciardo vorschnell vermutete, dass Überhitzung dabei eine Rolle spielte, wollte Seidl lieber erst die interne Untersuchung abwarten. "Leider ist Daniel dadurch hinter einen ganzen Zug gefallen. Im Verkehr hatte er keine Chance nach vorne zu kommen. Game Over." So verlor McLaren trotz der zehn Punkte von Lando Norris den Vergleich mit dem direkten Rivalen Ferrari.
Was ändert sich beim zweiten Spielberg-Rennen?
Wenn zwei Mal in Folge auf der selben Strecke gefahren wird, dann ist die Chance auf Überraschungen nicht besonders hoch. Doch Pirelli bringt zum zweiten Teil des Doppelschlags eine Nummer weichere Reifen. Bei den geringen Abständen im Feld, könnte das für Verschiebungen sorgen. "Wir müssen ein Setup finden, das schonender mit den Reifen umgeht. Dann könnte sich automatisch auch unsere Pace gegenüber Red Bull verbessern", hofft Mercedes-Ingenieur Shovlin.
Im Mittelfeld befürchtet man, dass die Top-Teams mehr von der Änderung profitieren. "Sie können es sich leisten, im zweiten Quali-Abschnitt mit den Mediums durchzukommen und dann auch darauf zu starten", erwartet Fernando Alonso. "Wir dagegen müssen die Soft-Reifen nehmen. Das ist dann ein großer Nachteil im Rennen." Die Fans können sich schon mal auf ein paar Boxenstopps mehr freuen.
In der Galerie zeigen wir noch einmal die Highlights vom Rennsonntag.