Reifenproblem noch nicht gelöst
Ferrari hat mit einem starken Rennen in Spielberg auf die Pleite von Paul Ricard reagiert. Nur die plötzliche Schwäche im Qualifying bereitet der Teamleitung Sorgen. Auf den Geraden verlieren die roten Autos noch zu viel Zeit. Gibt es eine Lösung für das zweite Spielberg-Wochenende?
Ferrari ist in diesem Jahr eine Wundertüte. Glanzleistungen wie die Pole Positions in Monaco und Baku wechseln sich mit dramatischen Pleiten wie im Rennen von Paul Ricard ab. In Spielberg lief es plötzlich im Qualifying nicht rund, dafür legten Carlos Sainz und Charles Leclerc dann im Rennen eine überraschend starke Pace auf den Asphalt.
Im Ergebnis machten die beiden Scuderia-Piloten am Ende sogar vier Punkte auf McLaren gut. Im Kampf um Rang drei in der Teamwertung fehlen damit nur noch 12 Zähler auf den direkten Konkurrenten. Doch Teamchef Mattia Binotto misst diesem dritten Platz keine große Bedeutung bei: "Das ist überhaupt nicht wichtig für uns. Unser Ziel ist es im Hinblick auf das nächste Jahr Fortschritte zu machen. Wir müssen aus unseren Fehlern lernen und uns in allen Bereichen verbessern."
Verbesserungsbedarf sah der Capo in Spielberg vor allem im Qualifying. Die Startplätze sieben und zwölf stellten das schlechteste Samstagsergebnis in dieser Saison dar. Binotto hatte die Ursache dafür jedoch schnell identifiziert: "Wir haben in den Abschnitten Zeit gewonnen, wo Grip gefragt ist, aber dort verloren, wo Power verlangt wird. Unser Speed auf den Geraden war einfach nicht gut genug. Wir müssen uns zusammensetzen und schauen, wie wir uns künftig am Samstag steigern können."
Im Gegensatz zur Vorwoche ging in Spielberg plötzlich im Rennen die Post ab. Bei Leclerc sah es nach der Startrunde aber noch gar nicht nach einem Top-Ergebnis aus. Der Monegasse kollidierte am Ausgang von Kurve 2 mit Pierre Gasly. Während der Alpha Tauri durch die Folgen seines Plattfußes ganz aufgeben musste, konnte sein Ferrari-Gegner nach einem Frontflügelwechsel vom Ende des Feldes eine große Aufholjagd starten.
Leclercs bestes Formel-1-Rennen
Obwohl Leclerc als Hintermann klar als Verursacher der Kollision galt, verzichtete die Rennleitung auf eine Untersuchung der Szene. Im Startgetümmel wurde der Kontakt als normaler Rennunfall gewertet: "Pierre wollte wohl in den Windschatten der Autos schräg vor ihm kommen. Er ist deshalb nach links gezogen, während ich nach rechts fuhr, um mich hinter ihm einzuordnen. Das hat uns beide überrascht. Es war ein kleiner Kontakt mit großen Folgen", so Leclerc über die unglückliche Aktion.
In der Vergangenheit hatte sich der 23-Jährige noch leicht von solchen Fehlern runterziehen lassen. In Spielberg wandelte er den Frust jedoch in positive Aggression um. Bis ins Ziel machte Leclerc insgesamt zwölf Positionen gut. Sieben Autos überholte er im direkten Duell – meistens vor Kurve vier – auf der Strecke. Die Aufholjagd brachte ihm von den Fans sogar die Auszeichnung "Fahrer des Rennens" ein.
"Ohne die Kollision in Runde 1 würde ich die Leistung als eines meiner besten Rennen in der Formel 1 einordnen", lobte sich der Pilot anschließend selbst. "Wir haben nicht viel Zeit im Verkehr verloren. Es ging immer nach vorne. In meine Rückspiegel habe ich gar nicht geschaut. Ich musste einige Überholmanöver durchziehen, die am Limit waren. Aber ich musste ja auch Risiken eingehen, um schnell Plätze gutzumachen."
Sainz verliert Zeit im Verkehr
Beim Teamkollegen verlief die erste Rennhälfte deutlich unspektakulärer. Nur langsam ging es für Sainz voran. "Ich steckte leider hinter Tsunoda und Fernando in einem Zug fest. Ich habe versucht meine Reifen zu schonen und mich auf einen langen ersten Stint eingestellt. Ich wusste, dass der Medium-Reifen 40 Runden überlebt. Ich musste nur aufpassen, dass der Grip noch gut ist, wenn ich endlich freie Fahrt hatte."
Die Taktik ging auf. Als die Bremsklötze vor seiner Nase in die Box abbogen, fuhr der Spanier mit den alten Reifen plötzlich eine Sekunde schneller. Durch den Overcut gewann er im Fernduell Position um Position. Als Sainz nach seinem eigenen Boxenstopp in Runde 41 wieder auf die Strecke zurückkehrte, lagen plötzlich nur noch die beiden Red Bull, die beiden Mercedes und der McLaren von Lando Norris vor ihm.
"Ich hatte mich schon darauf gefreut, Lando zu jagen. Aber auf meinen ersten Runden nach dem Wechsel, als ich den harten Reifen noch nicht auf Temperatur hatte, bekam ich blaue Flaggen gezeigt, weil Lewis (Hamilton) von hinten überrunden wollte. Ich habe erwartet, dass er anschließend vor mir wegzieht. Aber dann hatte er wohl selbst Probleme mit den Reifen."
Hamilton kostet Sainz den fünften Platz
Der Ferrari steckte plötzlich hinter einem Mercedes fest und verlor wertvolle Zeit. "Ich war ein gutes Stück schneller als er. Aber ich weiß natürlich auch, dass er um die WM kämpft. Da wollte ich keine Dummheiten machen. Auf der anderen Seite wurde ich aber immer ungeduldiger, weil wir nicht näher an Lando rankamen", erinnert sich Sainz an die entscheidenden Runden im letzten Renndrittel.
Der Ferrari-Kommandostand nahm daraufhin die Kommunikation mit den Kollegen von Mercedes auf. Man versuchte Hamilton davon zu überzeugen, Sainz auf der Strecke passieren zu lassen. Und tatsächlich ließ der Weltmeister seinen Verfolger sieben Runden vor Schluss kampflos vorbei, nachdem Sainz bis ins DRS-Fenster aufgeschlossen hatte.
Doch für Sainz kam die Rückrundung einen Tick zu spät: "Da hatte ich schon 15 Runden hinter Lewis verloren und mir dabei die Vorderreifen überstrapaziert. Das war nicht ideal. Deshalb konnte ich Lando am Ende nicht mehr unter Druck setzen. Ich bin sicher, dass wir ihn ohne den Zeitverlus hinter Lewis noch geschnappt hätten."
Keine Entwarnung an der Reifen.ront
Bleibt noch die Frage, warum Ferrari in Spielberg plötzlich so eine gute Rennpace zeigen konnte – nur sieben Tage nachdem in Paul Ricard am Sonntag gar nichts zusammenlief. Selbst Leclerc war sich da nicht sicher: "Es ist zum Teil das Resultat der harten Arbeit in der Fabrik. Aber zum Teil geht es sicher auch auf die Streckencharakteristik und die Charakteristik unseres Autos zurück. Wir müssen verstehen, was wir dieses Mal im Rennen richtig gemacht haben."
In Spielberg werden wegen der vielen langsamen Kurven eher die Hinterreifen beansprucht. In Paul Ricard waren es aber die Vorderreifen, die bei Ferrari vorschnell in die Knie gegangen sind. "Das Problem von Frankreich ist noch nicht vollständig gelöst", stellte auch Teamchef Binotto klar. "Das Auto hat ein paar Schwächen, die sich dieses Jahr auch nicht mehr abstellen lassen. Ich erwarte, dass Silverstone, mit den vielen schnellen Kurven, wieder eine schwierige Strecke für uns werden wird."