Der Fluch des Spitzenreiters
Der GP Spanien war ein Fest für Taktik-Fans. Wir klären auf, warum der Plan vom Einstopp-Rennen in die Hose ging, warum Hamilton nicht auf den Verstappen-Fehler beim ersten Boxenstopp reagierte und warum Red Bull doch hätte gewinnen können. Wenn auch mit Fragezeichen.
Die verkürzten Trainingszeiten am Freitag sind ein Segen. Weil auf der Strecke mehr Action geboten wird, und weil den Teams zwei Mal 30 Minuten verloren gehen um sich auf das Rennen vorzubereiten. Das führt zu Fehlern am Sonntag. Und zu Überraschungen. Mercedes.Chefingenieur Andrew Shovlin erklärt warum: "Die Longruns am Freitag sind kürzer und die Simulationen damit nicht mehr so aussagekräftig. Das vergrößert die Chance von Fehleinschätzungen."
In Barcelona saßen alle Teams einer Fehleinschätzung auf. Obwohl dieser Grand Prix traditionell eher ein Zweistopp-Rennen war, bereiteten sich alle auf einen Stopp vor. Die Daten vom Freitag gaben es her. "Die Abnutzung der Reifen war überraschend gering. Dazu kamen am Sonntag niedrige Temperaturen."
Ein klares Indiz dafür ist, dass nur Williams und Alfa Romeo das Safety-Car in der siebten Runde zu einem geschenkten Boxenstopp nutzten. "Wer mit zwei Stopps plant, hätte sich diese Gelegenheit eigentlich nicht entgehen lassen dürfen", erklärt Shovlin.
Zu dem Zeitpunkt ahnten die Teams noch nicht, was auf sie zukommen würde. Die ersten sechs Runden im Renntempo zeigten keine verdächtigen Werte. Das änderte sich schnell nach dem Re-Start. Die Temperatur in den Reifen sank stärker als erwartet. Damit war klar, dass der Verschleiß zunahm. Weniger Gummi bedeutet weniger Hitze und weniger Grip.
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Nach dem ersten Boxenstopp war allen bis auf Alpine klar: Mit einem Stopp wird es eng. Die ersten Reifen.ätze waren komplett runtergefahren. "Wer immer noch von einem Stopp träumte, musste mindestens bis Runde 27 oder 28 kommen", hieß es bei Mercedes. Und warum kam es ganz anders als gedacht? Die Ingenieure hatten nur eine Erklärung: "Das Renntempo war höher als gedacht."
Verstappen-Fehler rettet Führung
Hamilton kam so weit. Und trotzdem wäre ein Einstopp-Rennen für ihn nur die allerletzte Option gewesen. Nur Red Bull hätte ihn dazu zwingen können, wenn man mit Max Verstappen auch den zweiten Undercut antizipiert hätte. Dann wäre es relativ sinnlos gewesen, das gleiche zu tun. Hamilton hatte so oder so nichts zu verlieren. Mit Valtteri Bottas auf dem dritten Platz war Mercedes doppelt abgesichert.
Doch wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen. Nach einem Kilometer war der schöne Start-Plan von Mercedes im Eimer. Hamilton sollte Bottas im Windschatten an Verstappen vorbeiziehen. Dafür musste er auf der Außenspur bleiben. So öffnete er innen die Tür für Verstappen.
Weil Bottas wegen des Duells vor seiner Nase kurz irritiert war, zog Charles Leclerc auch noch außen in Kurve 3 vorbei. Die neue Reihenfolge Verstappen-Hamilton-Leclerc-Bottas war aus Sicht von Red Bull ein Geschenk des Himmels.
Mit dieser Konstellation durfte man plötzlich wieder vom Sieg träumen. Auch wenn Sergio Perez als Schattenmann für Verstappen ausfiel. Der Mexikaner, der vom achten Platz gestartet war, schaffte es nie bis auf Rang vier.
Schon der erste Stint zeigte, wohin die Reise ging. 21 Runden lang konnte Verstappen seinen Verfolger aus dem DRS-Fenster halten. Dann kam Hamilton wie der Wirbelwind. Am Red Bull brachen die Reifen ein. Wie schon in Imola, wie in Portimao. Ab Runde 23 ging das Boxenstopp-Fenster zu Perez auf. Zuerst für Verstappen, eine Runde später auch für Hamilton.
Verstappens Stopp in Runde 24 war zwar ein Versehen, doch im Rückblick hat es dem Holländer wahrscheinlich die Führung gerettet. Trotz der Standzeit von 4,2 Sekunden. Nicht alle Reifen lagen bereit, als der Fahrer unplanmäßig in die Boxengasse abbog. "Wir wollten eigentlich erst eine Runde später stoppen", verrät Teamchef Christian Horner.
Die Wiederholung von Budapest 2019
Der Mercedes.Kommandostand hätte exakt in dieser Runde 24 den Undercut versucht, hätte Verstappen nicht eigenmächtig die Boxengasse aufgesucht. Als der Red Bull mit der Nummer 33 zwei Sekunden länger stand als üblich, war das wie eine Einladung für Mercedes sofort darauf zu reagieren. "Wollten wir auch, aber als Lewis in Kurve 10 war, lagen wir schon wieder hinter Max. Er ist seine OUT-Runde extrem schnell angegangen", erzählt der Chefstratege des Teams.
Damit lag Hamilton. weitere Taktik auf der Hand. "Wir wollten uns ein Reifen.Offset von vier Runden holen und haben Lewis dann gesagt, dass er Max unter Druck setzen soll, damit der sich seine Medium-Reifen möglichst schnell kaputtfährt. Wir wollten sie in das Budapest-Szenario von 2019 treiben."
Hamilton brauchte nur vier Runden, dann saß er dem Red Bull wieder im Getriebe. Dort blieb er wie ein Schatten, und alle Welt fragte sich, warum bei der Hinterherfahrerei nicht die Reifen am Mercedes litten. Hier handelt es sich um eine Spezialität Hamilton.. Keiner kann einem Auto so dicht und so lange folgen, ohne dass die Reifen leiden. "Das zeigt, dass er einfach viel schneller fahren konnte als ich. Es war unfassbar, wie viel mehr Grip er hatte", ärgerte sich Verstappen.
Das ist nur die halbe Wahrheit. Ein Mercedes.Ingenieur erzählt: "Keiner hat so viel Gefühl für die Reifen wie Lewis. Er spürt welchen Reifen er belasten darf, welchen Reifen er schonen muss. Er weiß, wie viel Rutschen er jedem Reifen zumuten kann. Er belastet zum Beispiel in Barcelona die rechtsseitigen Reifen mehr als jeder andere Fahrer. Dabei müssen die normalerweise viel weniger aushalten als die linken, die er dadurch automatisch entlastet."
Falsche Reifen.ahl für das Rennen
Um den GP Ungarn von 2019 zu wiederholen, musste Hamilton spätestens in Runde 43 an die Box kommen, unter der Vorgabe, dass Verstappen versucht mit einem Stopp durchzukommen. "Nur dann hätte Lewis nach unserem Rechenmodell Max noch vor der letzten Runde eingeholt." Runde 42 war sogar noch besser. Leclerc war aus dem Boxenstopp-Fenster gefallen, und für Red Bull war es zu früh die Reißleine zu ziehen. Man hatte nur noch je eine frische Garnitur Soft und Hart im Angebot.
Der Soft wäre bei einer Restdistanz von 24 Runden eine riskante Option gewesen. Auf dem harten Reifen traute man sich wegen des schlechten Aufwärmverhaltens nicht zu, einen Undercut zu lancieren oder abzuwehren. So büßte Red Bull auch ein bisschen dafür, die falschen Reifen für das Rennen gewählt zu haben.
Eine Stimme aus dem Lager des Gegners: "Den Fehler hat Red Bull schon in Bahrain gemacht. Sie richten ihre Reifen.ahl zu stark auf die Qualifikation aus. Wir heben uns tendenziell lieber härtere Reifen für das Rennen auf. Die Punkte werden am Sonntag eingefahren."
Zur Ehrenrettung von Red Bull muss man sagen, dass sie wahrscheinlich auch bei einem Medium-Satz nicht den ersten Zug gemacht hätten. "Wir wären in Führung liegend wahrscheinlich auch nicht an die Boxen gegangen. Dazu ist die Position auf der Strecke in Barcelona zu wichtig", leistete Mercedes.Teamchef Toto Wolff Beistand.
Red Bull musste auch noch die Angst haben, dass Mercedes Bottas als strategische Waffe einsetzt. An dem Finnen hätte Verstappen auf seiner Jagd auf Hamilton zuerst vorbei gemusst, und das hätte ihn Zeit und Reifen.ummi gekostet. Red Bull-Chef Christian Horner bedauerte: "Wir hätten mit jeder Taktik verloren. Mercedes war einfach zu schnell für uns und hatte den geringeren Reifen.erschleiß."
Da würden die Strategen von Mercedes widersprechen: "Wenn Red Bull Verstappen zuerst an die Box holt, hätten sie wahrscheinlich gewonnen. Weil wir dann in ihrer Position gewesen wären. Irgendwann wären auch bei uns die Reifen eingebrochen."
Pingpong-Spiel um die Spitze
Mit Hamilton. Boxenstopp war Red Bull schachmatt. Keine Chance zu reagieren. Man konnte nur beten, dass die eigenen Reifen halten und die des Gegners irgendwann Grip verlieren. "Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, ich hätte vom Reifen.eben her immer einen Vorsprung von 18 Runden gehabt", rechnete Hamilton nach. Das Überholmanöver im Kampf um die Spitze war nur Formsache. Hamilton hatte das erforderliche Überhol-Delta von 1,2 Sekunden.
Kaum war das Rennen um den Sieg gelaufen, begann wieder das alte Pingpong-Spiel um die schnellste Runde. Bottas legte mit einem Wechsel auf weiche Reifen in Runde 53 vor, fiel dabei aber hinter Leclerc zurück. Länger konnte Mercedes aber nicht warten, weil Bottas auf Hinterbänkler auflief. Damit war die Hoffnung dahin, die Lücke zu Leclerc auf die erforderlichen 23 Sekunden zu bringen.
Bottas musste erst einmal am Ferrari vorbei, bevor er loslegen konnte. Gegen Verstappen auf frischen Soft-Reifen hatte die Nummer zwei von Mercedes aber keine Chance. Der Extra-Punkt für schnellste Rennrunde ging nach Holland.
Alpine verzockte mit Einstopp-Rennen
Nur drei Fahrer im Feld hielten an ihrem Plan eines Einstopp-Rennens fest. Bei Kimi Räikkönen war er durch die Wahl des Startreifens vorgegeben. Der Alfa Romeo-Pilot begann das Rennen als einziger auf der Medium-Mischung, streichelte 37 Runden lang seine Reifen und fuhr dann das Rennen auf den Soft-Gummis zu Ende. Räikkönen startete auf Platz 17 und kam als Zwölfter ins Ziel. Bei ihm muss man sagen: Operation gelungen.
Für Alpine ging der Schuss nach hinten los. Esteban Ocon verlor gegenüber seiner Startposition vier Plätze. Zwei gleich in der Startrunde. Der Franzose konnte von Glück reden, dass er überhaupt noch in den Punkterängen landete. Er verlor in den letzten sechs Runden auf total ausgelutschten Medium-Gummis über 20 Sekunden auf Lando Norris und Pierre Gasly. Der Alpha Tauri-Pilot hatte im Ziel nur noch 0,19 Sekunden Rückstand.
Hätte Alpine wie die Gegner zwischen den Runden 46 und 50 zum zweiten Mal Reifen getauscht, hätte Ocon wenigstens noch Platz 8 retten können. Alpha Tauri machte es mit einem Stopp in Runde 47 vor, wie es geht. In der 58. Runde lag Gasly noch auf Platz 14. Acht Runden später feierte er den letzten Punkt. Seine Gegner hatten alle viel ältere Reifen.
45 Überholmanöver ein guter Wert für Barcelona
Barcelona hielt sich an die Tradition. Das Rennergebnis weicht selten von der Startaufstellung ab. Dabei sind 45 Überholmanöver für den Circuit de Catalunya ein ordentlicher Wert. Nur einer von außen fuhr sich in die Top Ten. Das war Gasly. Und einer fiel raus. Das war Fernando Alonso, der ebenfalls ein Opfer der Einstopp-Strategie seines Teams wurde. Als kein Land mehr in Sicht war, reagierte Alpine mit einem Reifen.echsel in der 61. Runde. Das ist so sinnlos wie beim Fußball ein Spielerwechsel in der 90. Minute.
Für die Zweistopper gab es keine Bauanleitung, wie man Plätze gewinnt. Sergio Perez gewann zwei Positionen in der Startrunde, und einen gegen Daniel Ricciardo auf der Rennstrecke. Carlos Sainz verlor in der ersten Runde zwei Positionen gegen Daniel Ricciardo und Perez. An Ocon kam er mit dem früheren Boxenstopp vorbei. Nach der Serie der ersten Stopps war das Feld schon ziemlich sortiert. Nur Ocons Überlebenskampf und Gaslys Aufholjagd brachten noch etwas Leben in die Bude.