Audi R8 Spyder im Test
Nach geschlossen kommt offen – wie immer. Ob der Audi R8 Spyder mit 540 PS starkem V10-Saugmotor-Orchester hinter den Sitzen genauso hinterlistig um die Ecken feuert wie das Coupé? Wir klären die Frage im Test.
Kommen Sie rein, nehmen Sie Platz. Hinlegen? Gerne. Dafür haben wir doch die sport auto-Couch. Wir zeigen Ihnen jetzt ein Bild, und Sie sagen uns, was Sie damit assoziieren. Ja, richtig erkannt, der neue R8 Spyder. Ein offener Mittelmotor-, nun ja, doch, Supersportwagen. Aha, ein harter Hund, sagen Sie. Brachiale Fahrleistungen, irrer Klang, am Rande des kammschen Kreises ein abenteuerliches Fahrverhalten, bis dahin aber auf maximale Querbeschleunigung gebürstet, absurd schnell, frei von Komfort. Ein Auto für Mutige, die zu den Härtesten im Nehmen zählen. Was das über Ihre Psyche aussagt? In aller Kürze: Sie leiden unter Realitätsverlust. Was vor allem für die Realität bedauerlich ist, denn ihr wäre zu wünschen, dass Sie mit Ihrer Assoziation richtig lägen. Doch der neue Audi R8 Spyder fährt weiter in seiner eigenen Realität, was sich recht bald auf der Anreise nach Hockenheim offenbart.
5,2-Liter-V10-Triebwerk eskaliert in 2 Stufen
Dass du inzwischen recht ordentlich, wenngleich noch nicht hundertprozentig perfekt darin sitzen kannst, freut dich natürlich. So lässt es sich arbeiten. Schön, dass Audi das Interieur aufgeräumt hat, die Mittelkonsole entrümpelte, alle Funktionen im animierten Instrumentendisplay versammelt. Dafür schaffst du dir schon mal die etwas kniffelige Bedienung drauf, irgendwann klappt es gut, vieles lässt sich eh per zuverlässiger Sprachsteuerung befehlen. Viel lieber befiehlt jedoch der rechte Fuß die Ansprache des 5,2-Liter-V10-Triebwerks, jener irrwitzig drehende Saubär, dessen Motivation in zwei Stufen eskaliert. Stufe eins: ab 4.000 Umdrehungen. Stufe zwei: ab 6.000/min. Schluss: jenseits von 8.000/min.
Jetzt donnerpröttelt der Direkteinspritzer im Test gerade zwischen Stufe eins und zwei herum, ergänzt vom energisch über das Softtop rauschenden Fahrtwind, das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe serviert stets schnell und sanft die passende Übersetzung, das Durchschnittstempo ist hoch.
Derweil suchst du verzweifelt einen Grund, warum du jetzt unbedingt noch nach Hamburg musst. Oder nach Dresden. Weil's gerade so nett ist hier drin, weil der Audi R8 Spyder selbst Querfugen locker verfrühstückt, sogar jene fiese Verwerfung, die irgendjemand in die A 6 kurz nach der Ausfahrt Rauenberg geknetet hat. Ein Mittelmotor-Sportwagen? Wirklich? Na, dann nehmen wir uns doch 20 Sekunden Zeit, um auf der Landstraße das Verdeck unter die CFK-Abdeckung zu falten. Es reicht selbstverständlich, eine Taste zu drücken, die Hauptarbeit übernehmen die neun Stellzylinder des elektrohydraulischen Antriebs.
Audi opfert verlässliches Fahrverhalten für Komfort
Jetzt potenziert sich die Dramatik des fantastischen Antriebs, der mit konzeptbedingter Ansatzlosigkeit zubeißt, um sofort durch das breite Drehzahlband zu toben, ungeduldig dem Getriebe den nächsten Gang entreißt, um sich erneut zu entleiben. Rechtzeitig, kurz bevor wir uns um Kopf, Kragen und Führerschein fahren, biegt der Spyder auf unsere Hausstrecke ein. Der 1.781 Kilogramm schwere Zweisitzer (112 kg mehr als das Coupé) lässt sich in unserem Test noch eben Sommerräder aufziehen, das Verdeck krempelt sich wieder aus der Versenkung hoch. Und als du dann nach einer lockeren Aufwärmrunde aus der Südkurve auf Start-Ziel herausbeschleunigst, der R8 immer noch mit emporgereckter Schnauze am Starterhäuschen vorbeidonnert, ahnst du es.
Beim Anbremsen der Nordkurve, wenn du etwas länger als gedacht nach dem Druckpunkt der an sich gut verzögernden Bremse fischst, weißt du es. Als dann in der Querspange beim Lastwechsel das Heck stärker drängt, als es dein Mut verträgt, willst du eigentlich gar nichts mehr wissen. Da steht es längst fest. Wie schon beim Coupé opfert Audi auch beim Spyder ein verlässliches Fahrverhalten auf dem festlich beleuchteten Altar des Komforts.
Vielleicht haben sie bei Audi Sport ein bisschen zu viel Wilhelm Busch gelesen: „Gehabte Schmerzen, die hab ich gern.“ Es hilft nichts. Also erneut das Lenkrad mit spitzen Fingern anfassen, auch in der Hoffnung, dass sich so die auf der Landstraße ausreichende Rückmeldung um jenen Faktor erhöht, der deiner Sensorik das für die Rennstrecke nötige Gefühl überträgt. Doch das passiert nicht, vielleicht ginge es mit der serienmäßigen Lenkung ohne variable Übersetzung (die sogenannte Dynamiklenkung variiert zwischen 10,0 : 1 und 17,5 : 1) besser, wir wissen es nicht – und es ist auch nicht das größte Problem.
Die Karosserie bewegt sich zu sehr
Stattdessen hält dich der R8 mit seiner beständigen Unbeständigkeit auf Trab, watscht dich sofort mit einem hinterlistigen Lastwechsel ab, wenn du das Untersteuern am Kurveneingang mit leichter Gasrücknahme korrigieren möchtest. Jetzt schön im Drift halten? Puh, ebenfalls knifflig, zumal der Audi R8 Spyder dann schon auch so auskeilt, dass die Runde eh für die Katz ist. Dass Audi stolz darauf verweist, dass die Dynamiklenkung den R8 mit leichten Gegenlenkimpulsen auf der schnellen Linie zu halten versucht, hättest du am liebsten überhört.
Spätestens jetzt kommt natürlich auch die an sich hervorragend abgestimmte Regelelektronik an ihre Grenzen, denn nun muss sie selbst im Performance-Trocken-Modus mit harter Hand den R8 vorm Abseits bewahren. Die bei dieser Karussellfahrt in der straffsten Fahrwerkseinstellung erheblichen Karosseriebewegungen illustrieren eindrucksvoll die Unentschlossenheit des R8. Dass er dennoch die Rundenzeit des Coupés um zwei Zehntel unterbietet, lässt sich mit der etwas ausgeglicheneren Gewichtsverteilung sowie den durch die niedrigere Lufttemperatur noch motivierteren V10 erklären. Dafür dürfen Sie den R8 auch weiterhin lieben, ihn im Spyder wirklich pur genießen.
Für seine gespaltene Persönlichkeit allerdings muss der Audi mal auf unsere Couch. Machen Sie also bitte Platz. Danke.