Fahrbericht Ferrari 360 Spider

Ein offenes Cockpit, ein ebenso starker wie musikalischer Achtzylindermotor und das Handling eines straßentauglichen Rennwagens machen den neuen Ferrari 360 Spider zu einem Gourmet-Erlebnis der besonderen Art.
Die paar Schritte zum neuen Ferrari 360 Spider gleichen einem Marsch auf dem Laufsteg der Eitelkeiten. Die Kameras der Touristen klicken wie ein kränkelndes Anlasser-Relais, als der Autor zur Fahrertür schreitet, betont cool in den Fahrersitz gleitet und das schwarze Stoffverdeck verschwinden lässt. Tatort ist Monaco. Die kleine Welt der Schickis und Mi-ckis am Mittelmeer erscheint der feinsten Sportwagen.abrik gerade recht, um ihre neueste Kreation der internationalen Presse zu präsentieren. Der noble Rahmen freilich taugt allenfalls, um sich sehen zu lassen im abgasgeschwängerten Stop-and-Go.
Auto fahren, im eigentlichen Sinn des Wortes, können in Monaco nur ein paar Auserwählte während des Formel 1-Wochenendes. Die Spielplätze für Sportwagen liegen außerhalb des knapp zwei Quadratkilometer großen Grimaldi-Felsens. Oben bei La Turbie beispielsweise, auf der Anfahrt zum Col de la Madonne, der auch als Sonderprüfung bei der Rallye Monte Carlo dient. Hier reiht sich Spitzkehre an Spitzkehre, dazwischen kurze Geraden mit einem Fahrbahnbelag, der buckliger ist als der Glöckner von Notre Dame. Dabei zeigt der neue Spider, dass sein Aufbau trotz des fehlenden Blechdachs eine unerschütterliche Steifigkeit aufweist. Kein Zittern, keine Karosseriegeräusche, als der Ferrari die Steigungen hinaufschießt und dabei von Bodenwellen der gemeinsten Sorte malträtiert wird. Der Aluminium-Space-Frame, der das Rückgrat des Ferrari 360 bildet, war von Anfang an so ausgelegt, dass darauf neben dem Coupé ein Spider aufgebaut werden konnte. Er musste nur an wenigen Stellen verstärkt werden, um eine Verwindungssteifigkeit zu erreichen, die Ferrari schlicht als die beste der Welt bezeichnet. Die im Bereich des Scheibenrahmens und der seitlichen Schweller vorgesehenen Verstärkungen sowie die beiden Überrollbügel bilden die einzigen spider-spezifischen Merkmale des Aluminiumrahmens, weshalb auch das Gewicht nur geringfügig angestiegen ist.
50 kg mehr als beim Coupé nennt Ferrari – eine leichte Bürde, wenn 400 Pferde im Ölsumpf mit den Hufen scharren. Da ist es nicht mehr als Chronistenpflicht, darauf hinzuweisen, dass die Beschleunigung von null auf 100 km/h im offenen 360 eine Zehntelsekunde längert dauert als im Coupé. Für die Höchstgeschwindigkeit gilt Ähnliches. Das Textildach verschlechtert die Aerodynamik der Pininfarina-Karosserie geringfügig. Statt 0,33 beim Coupé beträgt der cw-Wert des Spiders 0,36.
Der läuft deshalb, so räumt der Prospekt ein, nur „über 290 km/h“, nicht „über 295 km/h“ wie die geschlossene Variante. Für Entwicklung und Bau des Spider-Dachs zeichnet die Firma CTS in Stuttgart verantwortlich, die auch Cabrioverdecke für Porsche, Saab und Mercedes fertigt. Das Dach für den 360 Spider wird als komplettes Modul in Maranello angeliefert. Das Öffnen, veranstaltet durch die konzertierte Aktion von sieben Hydraulikzylindern, ist eine Show für sich. Die Verdeckklappe hebt sich und fährt nach hinten. Kleine Deckel in den beiden Höckern, die an klassische Rennwagen mit dem springenden Pferd erinnern, geben das Gestänge frei. Dann faltet sich das Verdeck auf kleinstem Raum zusammen und verschwindet zwischen Innen- und Motorraum. Vollautomatisch, Knopfdruck genügt. Das Ganze dauert 20 Sekunden. Sauber verarbeitet und mit einem Stoffhimmel gefüttert, verleiht das Verdeck dem geschlossenen Spider gemütlichen Coupé.Charakter. Aber der richtige Spaß, der beginnt erst, wenn der Ferrari offen ist. Denn dann werden Ansaug- und vor allem Auspuffton zu einem ungefilterten Konzert. Heiser röchelnd bei niedrigen Drehzahlen, durchdringend und hell den Triumphmarsch eines reinrassigen Rennmotors blasend, entwickelt der 3,6 Liter große Achtzylinder eine elektrisierende Geräuschkulisse. Sie kommt im Spider naturgemäß noch viel besser zur Geltung als im Coupé, und sie lässt den Verdacht keimen, dass bei den Akustiktests der Zulassung die Hilfestellung des Vatikans in Anspruch genommen wurde. Ansonsten ist das Offenfahren im Ferrari eine eher zivile Angelegenheit. Die hohe Gürtellinie und die flache Windschutzscheibe umhüllen die Insassen wie ein Kokon. Sogar ein Windschott gibt es als Zugeständnis an die verwöhnte Kundschaft. Sind dann noch die Seitenscheiben oben, bleibt das Cockpit bis weit oberhalb von 200 km/h eine sturmfreie Bude. All dies macht deutlich, dass der Spider kein Auto ist für Roadster-Puristen, die es als höchsten Genuss empfinden, wenn sich die Haarwurzeln nur noch mühsam in der Kopfhaut festkrallen.
Ein Ferrari bleibt, auch offen, in erster Linie Sportwagen. Zwar beherrscht der fünfventilige V8, der auf eine spezifische Leistung von 112 PS pro Liter kommt, das genießerische Dahintrödeln problemlos. Selbst bei nur 1000 Umdrehungen im sechsten Gang läuft er sauber und nimmt spontan Gas an. Der Reiz liegt aber in den geöffneten Drosselklappen, wenn der Motor gierig jede Bewegung des Gaspedals beantwortet, wenn er jubelnd hochdreht und für eine Beschleunigung sorgt, die der Antriebsschlupfregelung gut zu tun gibt. Obwohl der Ferrari mit seinem feinfühligen Handling, seinen rasiermessserscharfen Reaktionen auf Lenkbefehle und seinem bis in den extrem hoch liegenden Grenzbereich neutralen Kurvenverhalten ein sehr hohes Maß an aktiver Fahrsicherheit zu bieten hat, bleibt die Auslegung der Schlupfregelung auf der konservativen Seite. Sie greift sehr früh ein – gut auf rutschigem Untergrund, aber frustrierend für den routinierten Fahrer, der das Eigenlenkverhalten gern mit dem Gaspedal beeinflusst. Der kann die Schlupfregelung ganz ausschalten oder per Knopfdruck das Sportprogramm anwählen. Damit wird ein leichter Slide möglich, doch ASR bleibt als willkommene Hilfe in Grenzfällen aktiv. Im Sportmodus werden die Schaltvorgänge des F1-Sechsganggetriebes mit elektro-hydraulischer Betätigung, das über 60 Prozent der 360-Kunden der H-Schaltung vorziehen, schneller und härter. Zudem stellt sich, und das ist die eigentliche Kehrseite der Medaille, eine straffere Dämpferkennung ein, womit vom ansonsten bemerkenswert harmonischen Federungsverhalten nicht mehr viel übrig bleibt. Für die Zukunft, so versichert der deutsche Ferrari-Chefentwickler Harald J. Wester, ist deshalb eine Trennung der Sport-Funktionen vorgesehen. Auch an einem Ferrari, der die stolze Summe von 269.700 Mark kostet, gibt es eben immer noch etwas zu verbessern.