Volvo V60 Polestar im Fahrbericht
Mit einer tief greifenden Leistungssteigerung und Öhlins-Fahrwerk kitzelt Polestar einen echten Sportler aus dem braven V60. 1.500 werden gebaut, 150 kommen nach Deutschland.
Das Potenzial eines Sportmodells hängt immer auch von seiner Grundlage ab. Sprich: Egal was man dranbaut, reinprogrammiert oder ausweidet, irgendwann ist das Limit erreicht – der Punkt, an dem es nicht mehr schneller, höher und weiter geht. Sind die Gene gut, liegt dieser Punkt in weiter Ferne, sind sie für dynamische Belange eher suboptimal, fällt der Apfel am Ende eben nicht besonders weit vom Stamm – auch dann nicht, wenn man die Brechstange auspackt.
Nun ist das mit der Regel aber bekanntermaßen ja so, dass sie von Ausnahmen bestätigt wird. Und das hier dürfte so eine sein – im positiven Sinn. Denn: Polestar hat mit seinem ersten offiziell in Deutschland angebotenen Komplettmodell einen Kombi-Knaller aufgezogen, obwohl seiner Ausgangsbasis Performance nicht gerade in die Wiege gelegt worden war. Okay, der V60 T6 AWD hat 306 PS, aber seine Plattform ist betagt, die Achslastbalance fürchterlich und der Vierzylinder dank Kombinationsaufladung aus Kompressor und Turbo zwar unmittelbar im Reaktionsvermögen, aber ganz sicher nicht das, was man unter einem gewetzten Drehzahl-Messer versteht. Kurzum: Der Wagen mochte ein flinker Kombi sein, ein Dynamiker würde aus ihm aber nicht zu machen sein – so die Überzeugung, die ursprüngliche.
Turbo, Pleuel und Nockenwellen sind neu
Doch dann packen sie dich hier hinters Lenkrad der High-End-Stufe, verraten dir den gut versteckten Zugang zum Sport-Plus-Modus, der vor allem die leicht schläfrige Achtstufenautomatik etwas wachrüttelt, und scheuchen dich den Großglockner hoch – bis du am Ende unweigerlich zu dem Schluss gelangst, dass sie offenbar mehr rausgeholt haben, als eigentlich drinstecken kann.
Ganz herauskürzen konnte man die limitierenden Faktoren der Basis natürlich nicht, jedoch haben die Polestars offenbar Mittel und Wege gefunden, sie gehörig zu entkräften. Der Motor bekam einen größeren Turbolader, neue Pleuel und Nockenwellen und geht nun mit 367 PS und 470 Nm gegen die gut 1.700 Kilogramm vor, gleichzeitig ersetzte man das etwas latschige Serienfahrwerk durch eine mechanisch einstellbare Öhlins-Lösung, die mit ihren extrem fix und feinfühlig reagierenden Doppelströmungsventil- Dämpfern und den Michelins in 20 Zoll wohl das Geheimnis hinter dem beachtlichen Kurvenfeeling ist.Selbst mit dem gemäßigten Set-up, das angesichts der teils hubbeligen Alpenstraßen als Kompromiss aus Handling und Komfort eingestellt wurde, lässt sich der Volvo richtig schnell und vor allem richtig straff über die Linie ziehen.
Kein Wegsacken um die Längsachse, kein Schunkeln beim Umsetzen, kein Stolpern auf Bodenwellen, sondern nur Grip, Grip, Hurra. Und dabei gehe da sogar noch einiges mehr, sagen sie bei Polestar, wenn man das Fahrwerk auf die härteste seiner Set-up-Vorgaben klicke. Ach was? Im Ernst? Das wollen wir genau wissen und – so viel sei gelüftet – wissen wir im nächsten Heft dann ganz genau.
Untersteuern bleibt ein Problem
Dennoch: Auch wenn er seinen pomadigen Ursprung damit vielleicht sogar noch besser verschleiern kann, komplett leugnen können wird auch er ihn nie – zumindest nicht in den engen Kehren. Beim Anbremsen ist noch alles prima: die Brembo-Anlage mit Schwimmscheiben vorn verzögert blitzsauber am ABS entlang, sobald man jedoch zackig einbiegen will, kippt ihm die Querdynamik aus den Fugen. Yep, Untersteuern, und zwar schon eins der ausgeprägteren Sorte. Das liegt einerseits natürlich an der klobigen Frontpartie und zum anderen daran, dass der Hang-on-Allrad nicht in der Lage ist, entscheidend dagegen vorzugehen. Im Sport- Plus-Modus wird die Hinterachse zwar bereits während des Einlenkvorgangs angedockt, jedoch gelangen konzeptbedingt maximal 50 Prozent der Antriebskraft ans Heck – und die sind mangels Torque-Vectoring-Support nicht genug, um eine Hebelwirkung zu erzeugen.
Erst hinterm Scheitelpunkt, wenn der Motor wieder richtig hinlangen darf, die rauchige Note der Abgasanlage nach und nach das Vierzylinderjaulen überdeckt und sich der Achtstufen- Wandler redlich eines sportlichen Eindrucks bemüht, entfernen sich Ausgangs- und Endpunkt wieder voneinander. Wobei die Frage sein wird, ob die Abspreizung groß genug ist, um auch die modernere Konkurrenz – also Audi S4 und Konsorten – zu triezen.