Kompakte Campingbusse im Gigantenduell
Die Giganten unter den kompakten Campingbussen treffen sich zum Duell. Der neue VW California gegen den Mercedes Marco Polo.
Die Automobilindustrie durchlebt harte Zeiten. Die großen Marken Mercedes-Benz und VW geraten etwas ins Wanken und schärfen deshalb ihre Profile. Mercedes soll die besten Autos bauen und Volkswagen endlich wieder günstige. Gelten diese Ansprüche auch für die kompakten Campingbusse Mercedes Marco Polo und VW California? Beide Testwagen sind maximal ausgestattet und kosten mehr als 100.000 Euro. Positiv formuliert, sind es Traumvans! Automatisch aufstellende Dächer, vier Schlafplätze, Küche, Kühlbox und Basisfahrzeuge, die in der Van-Klasse State of the Art sind, die besten ihrer Gattung.
Die V-Klasse ist schon einige Jahre auf dem Markt, aktuell noch mal aufgehübscht worden: Die Karosserie hat ein Facelift bekommen und innen wartet ein neues Armaturenbrett mit modernem Display. Dazu gibt es optional ein Luftfahrwerk. VW hat sich unter den T6.1-Nachfolgern entschieden, den Multivan als Ausbauplattform für den California zu nehmen und nicht den New Transporter auf Ford-Basis. Für Bulli-Fans könnte der aktuelle Multivan nicht in ihr Bulli-Weltbild passen. Aber er verfängt durchaus. Man sitzt integrierter, der Komfort ist besser, und die Ausstattungsoptionen sind vielfältiger als beim bisherigen Transporter. Wer allerdings meint, die V-Klasse sei damit abgehängt, irrt. Sie hält erstaunlich leicht dagegen, das zeigt unser Test.
Daten und Fakten zu den Testfahrzeugen
Für den schnellen Überblick: Die Basisdaten zu den zwei Test-Campervans.
VW California Ocean
- Grundpreis: 84.399 Euro
- Testwagenpreis: 102.289 Euro
- Länge: 5,17 m
- Zul. Gesamtgewicht: 2580 kg
- Gurt-/Schlafplätze: 2-6/2-4
Mercedes Marco Polo
- Grundpreis: 72.865 Euro
- Testwagenpreis: 104.512 Euro
- Länge: 5,14 m
- Zul. Gesamtgewicht: 3200 kg
- Gurt-/Schlafplätze: 2-4/2-4
Wohnraumkonzepte: kompakt und funktional
Der allgemeine Trend zum Zweiteingang dank zweiter Schiebetür zieht auch bei VW ein. Bei Mercedes immerhin beim Marco Polo Horizon, der abgespeckten Version des kompakten Campingbusses. Der echte Mercedes Marco Polo hat weiterhin nur eine Schiebetür. So gut wie alles beim Alten bleibt beim Campingausbau, den Westfalia bisher für Mercedes übernimmt. Historisch ausgehend vom Westfalia Joker, der seinerzeit dann das Vorbild für den ersten California wurde: Küche links, umklappbare Sitzbank und Aufstelldach.
Frisches Blut bekommt der VW New California, was im Namen durch das vorangestellte "New" deutlich wird. Ein neues Basisfahrzeug, keine Schlafbank mehr, dafür Einzelsitze und eine neue Bettlösung unten, eine zweite Schiebetür und damit ein verändertes Raumkonzept. Die klassische Küche links samt ihrem Stauraum wird kleiner, die Kühlbox wandert nach vorn unten in der Möbelzeile. Der Herd schrumpft auf eine Flamme. Cali-Fahrer müssen sich beim Stauraumangebot umgewöhnen. Wo bisher der Küchen-Kram unterkam, ist der Durchgang zur linken Schiebetür und die Kühlschublade. Es bleibt nur noch eine Besteckschublade unter dem Spülbecken und neben dem Elektroblock etwas Raum für ein paar Kleinigkeiten. Der Rest muss dann in den Schrank nach hinten. Beim Stauraum im Küchenbereich unterscheiden sich die beiden Campingbusse also deutlich.
Der Esstisch im Innenraum hat beim Volkswagen nur noch die Größe eines besseren Vesperbretts. Dafür lässt er sich an drei verschiedenen Stellen am Küchenblock einhängen: nach vorn als Arbeitsflächenerweiterung, zur Sitzgruppe hin als Mini-Esstisch und – bei geöffneter Schiebetür – nach außen. Wer drin zu viert essen will, baut besser den Campingtisch innen auf, der im Heck mitreist. Beim Marco Polo bleibt es bei dem großen, eleganten Schiebetisch, der seitlich flach angelegt neben der Schlafbank verschwindet – und bei Bedarf nach vorn gezogen und aufgeklappt wird.
Das Aufstelldach im Vergleich
Die Fenster im Zeltbalg des Marco-Polo-Aufstelldachs lassen sich nicht komplett öffnen. Die Fliegengitter sind fest vernäht. An dieser Stelle merkt man dem Marco-Polo-Ausbau sein Alter an. Seit Jahren hat die Konkurrenz in Sachen Öffnungsmöglichkeiten des Zeltbalgs allerlei Fortschritt erzielt, Mercedes ist das nie angegangen. Wenn das Aufstelldach vor allem für die Stehhöhe im Campingbus dienen soll, reicht die Mercedeslösung.
Im VW California ist es nicht nur die zusätzliche Schiebetür, die Luft und Licht hereinbringt, sondern auch der Zeltbalg im Aufstelldach, der sich öffnen lässt. Von oben eröffnen sich so je nach Standort hübsche Aussichten. Wer sich unten auf der Sitzbank aufhält oder auf dem Bett liegt, während das obere Bett im Aufstelldach hochgeklappt und der Balg offen ist, erlebt eine wunderbare Luftigkeit, auf die Camperinnen und Camper im Mercedes verzichten müssen.
VW California punktet beim Nächtigen
Beim Schlafkomfort oben schenken sich die beiden kompakten Campingbusse nicht viel. Tellerfedern und eine mitteldicke Matratze bieten auf den Betten in den Aufstelldächern guten Liegekomfort. Unten sieht das ein wenig anders aus. Im Marco Polo liegt man auf der Sitz- und Lehnenfläche der Bank. Zwar kann die Konturierung der Seitenwangen per Luftablassen eingeebnet werden, doch die weiter vorhandene Zerklüftung der Liegefläche ist so, dass eine Nacht oder ein Nickerchen darauf okay ist. Spätestens ab Nacht zwei im Urlaub braucht es einen Topper, den Mercedes optional anbietet.
Anders im VW. Hier liegt die separate Matratze auf den umgelegten Sitzen und bietet hohen Liegekomfort. Wer mit dem Kopf in Richtung Heck liegt, schläft auf dem Bett im Innenraum prima. Das Fußteil ist etwas weicher als die beiden Matratzenteile für Schulter und Hüfte.
Die Schlaf-Bewertung geht deshalb an den VW California. Insgesamt gewinnt der Mercedes das Kapitel Wohnen. Der hohe Nutzwert punktet gegen die neue Freiheit im VW.
Mercedes-Benz Marco Polo bietet mehr Zuladung
Seit Jahren steht sich das Konzept des Marco Polo in einem entscheidenden Punkt selbst im Weg: bei der Unterbringung der Campingmöbel. Früher schon hat der California den Tisch in der Seitentürverkleidung gelagert und die Stühle, wie bis heute, in der Heckklappe.
Bei Mercedes finden wir eine Aufbewahrungstasche unter der Bettverlängerung, die optional erworben werden kann und in die dann die Stühle kommen. Weil diese Lösung fast den kompletten Heckstauraum einnimmt, wäre es fast besser, auf die Tasche zu verzichten und die Möbel zusammen mit anderem Gepäck hinten hineinzupuzzeln.
Dafür punktet Mercedes immerhin mit einer großen Schublade vorn unter der Sitzbank. Beim VW finden sich immerhin jeweils in den Einzelsitzen kleine Schubladen. In beiden Campingbussen befinden sich quer im Heck große Hängeschränke. Sie sind jeweils groß, praktisch und schenken sich nicht viel. Es passt mehr rein als ein paar Bücher, unter anderem ein Schlafsack, ein kleines Kissen oder Handtücher.
Bei der Multifunktionalität setzt VW mit dem neuen California tatsächlich Maßstäbe. Der New California ist mehr als ein Campingbus. Alle Schlaf- und Sitzgelegenheiten lassen sich mit ein paar gekonnten Handgriffen ausbauen. Die Einzelsitze sind zwar immer noch keine Federgewichte, lassen sich jedoch von einer Person aus den Schienen heben, am besten durch das Heck, und auch vernünftig wieder einsetzen. Das Bett selbst besteht aus einem Gestell (in das der Campingtisch integriert ist) und der dreiteiligen, gefalteten Matratze. Diese Einzelteile lassen sich gut entnehmen und bei Nichtgebrauch zu Hause lagern.
Beim Marco Polo ließ sich die sehr schwere Sitzbank beim Testlauf nur unter großer Mühe und Anstrengung durch zwei bis drei Personen aus dem Fahrzeug entfernen. Noch kniffeliger war dann der Wiedereinbau in den Campervan. Dabei blieb es nicht aus, dass die Gummis verletzt und die Schienen selbst ziemlich zerkratzt wurden. Wo er dagegen punkten kann, ist bei der Zuladung. Seine Gene als Transporter bringen 3200 kg zulässige Gesamtmasse und trotz höherem Gewicht damit mehr Zuladung. An der Vorderachse sind die Reserven allerdings schnell aufgebraucht – schweres Gepäck sollte ins Heck.
Technische Ausstattung auf dem neuesten Stand
Bei Mercedes Marco Polo und VW California handelt es sich um die Speerspitze der kompakten Campingbusse von zwei großen Automobilherstellern. Sichtbar wird das daran, dass die digitale Bedientechnik nicht nur beim Basisfahrzeug, sondern auch für den Ausbau zum Einsatz kommt. Mercedes wie VW haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten moderne Steuerzentralen für alle Camperfunktionen. Die Menüs finden sich bei beiden auf dem großen Zentraldisplay und lassen sich außerdem per App auf dem Smartphone installieren. Die Grundfunktion bietet Anzeigen wie Füllstände der Frisch- und Abwassertanks und der Bordbatterie. Nur der Füllstand der kleinen Gasflasche wird nicht detektiert; wenn die leer ist, ist sie leer.
Wie heute oft bei Campervans typisch: Eine Dieselheizung beheizt den Innenraum. Eher untypisch ist, dass sich über die App an- und ausschalten lassen. Bei Mercedes können Camper zudem die Temperatur einstellen, die dann per Thermostat gehalten wird. Beim VW müssen Camperinnen und Camper die verschiedenen Heizstufen einschätzen lernen. Kleiner Vorteil bei VW: Zusätzlich zum Display und Handy gibt es im Wohnraum an der C-Säule noch ein Bedienpanel.
Eine der wichtigsten Funktionen ist das Hoch- und Runterfahren des Dachs. Bei Mercedes geht das über das Display, bei VW über Knöpfe am Armaturenbrett oder bei beiden per App. Bei Ersterem arbeitet ein rein elektrischer Motor, bei VW ein elektrohydraulisches System, beide Aufstelldächer funktionieren einwandfrei.
Bei der Stromversorgung des Ausbaus hat der VW die Nase vorn. Mit zwei Lithium-Ionen-Akkus bietet er nicht nur mehr Kapazität, sondern auch die modernere Batterietechnik. Allerdings gingen die Batterien – unerklärlicherweise – während der Testfahrten kaputt und legten dabei den gesamten Campingbus still, sodass der California abgeschleppt werden musste. Obwohl selbst die Starterbatterie noch Spannung hatte, ließ sich nicht einmal mehr eine Tür öffnen oder schließen, das Fahrzeuge war zu 100 % lahmgelegt. In der Werkstatt wurden die Batterien getauscht und alles war wieder gut. Vielleicht eine Kinderkrankheit oder einfach kaputte Batterie.
Der California verfügt stromtechnisch über die Gnade der späten Geburt, was die Art und Anzahl der Steckdosen beweist. In fast jeder Ecke befindet sich eine USB-C-Ladebuchse, da schaut es beim Mercedes ganz anders aus. Der hat insgesamt weniger Stromanschlüsse, und sie fehlen vor allem an neuralgischen Stellen, wo Camper heutzutage welche benötigt. Außerdem hat der VW serienmäßig im Küchenmöbel einen Inverter, der Gleichstrom aus den Bordbatterien in 230 Volt Wechselstrom umwandelt, der zumindest Laptop und Kamera laden kann, auch wenn kein Landstrom verfügbar ist.
In Sachen Verarbeitung des Möbelbaus begegnen sich beide kompakten Campingbusse voll auf Augenhöhe. Da gibt es nichts zu meckern. Spaltmaße, Scharniere, Funktion von Türen, Klappen – all das passt. Die Möbel machen kaum Geräusche, wobei der Mercedes noch ein wenig leiser ist als der VW. Da der Cali die zweite Schiebetür hat, ist am Testwagen linksseitig eine Markise montiert. Der Gedanke dahinter: Rechts kann ein Vorzelt stehen, links sitzen Camperinnen und Camper unter der Markise. Die ist ziemlich clever konstruiert. Ihre Kurbel verschwindet im Gehäuse. Sie wird einfach vorn hineingesteckt und bei Bedarf herausgezogen. Damit sie niemand klaut, ist alles abschließbar – typisch Hersteller Thule. Abnehmen lässt sich die Markise mit wenigen Handgriffen – was für den Alltag sehr praktisch ist. Die Halterungen können dabei in der C-Schiene verbleiben oder mit zwei Inbusschrauben entfernt werden.
Auch der Marco Polo hat ein besonderes Feature, bei dem der California nicht wirklich mithalten kann. Wer das Luftfahrwerk mitbestellt, kann den Mercedes per Knopfdruck nivellieren. Bei unebenem Untergrund gleicht das Fahrwerk den Luftdruck in den Federbälgen so an, dass der Campingbus automatisch eben steht. Beim VW gibt es immerhin eine Anzeige, die über die genaue Schräglage in Längs- und Querrichtung informiert, damit man präzise auf Ausgleichskeile rangieren kann.
Beide Fahrzeuge haben Frisch- und Abwassertanks – der Mercedes mit rund 40 Liter jeweils etwa zehn mehr als der VW. Beide haben eine Außendusche im Heck, mit der man sich schnell mal abspritzen kann, oder Hund oder Bike. Beim New California wurde der Einfüllstutzen fürs Frischwasser nach innen ins Heck verlegt – angeblich, weil in der Vermietung zu viele Leute in den früher außen liegenden Stutzen versehentlich Diesel eingefüllt haben.