Spacetop: Laptop mit 100 Zoll Display
Warum überhaupt ein Laptop mit virtuellem Display?
Bevor wir uns mit dem von Sightful angebotenen Spacetop näher beschäftigen, möchten wir kurz allgemein auf die Vorzüge von virtuellen Bildschirmen eingehen. Schließlich kommen Laptops seit Jahrzehnten ohne dieses Feature aus: manchmal aber mehr schlecht als recht. So sind die Bildschirme von klassischen Notebooks oft für das Auge zu weit entfernt und zu klein. Das liegt daran, dass sie bestenfalls ein Kompromiss aus Mobilität und Darstellungsqualität sind. Bei ungünstigen Lichtverhältnissen und beim Arbeiten an sonnigen Arbeitsplätzen lassen sich vor allem kostengünstige Modelle oft nur schlecht ablesen. Zudem kann jede Person, die nahe genug an Ihrem Bildschirm vorbeikommt, sehen, was sie gerade tun. Das ist besonders bei sensiblen Daten und dem Arbeiten in öffentlichen Bereichen ein Problem. Es gibt also definitiv gute Gründe für einen Laptop mit virtuellem Display - wenn dieses ansprechend umgesetzt ist.
Wer steckt hinter Sightful und dem Spacetop?
Der Geschäftsführer von Sightful ist Tamir Berliner. Dieser ist Mitgründer des Unternehmens PrimeSense, das unter anderem für die Face ID des Apple iPhones und für Microsoft Kinect verantwortlich war. Technischer Leiter von Sightful ist Tomer Kahan. Der arbeitete zuvor bei der später von Microsoft übernommenen Firma N-Trig, die dann den Surface Pen entwickelte. Zusammen waren beide bei Magic Leap tätig - einem Unternehmen, das sich auf Technologien im Bereich Mixed Reality und Head-Mounted Displays konzentriert. An fachlichem Know-how dürfte es bei Sightful also nicht mangeln.
Das Äußere
Von außen sieht das Gehäuse des Spacetop gar nicht so revolutionär aus, auch wenn die Silhouette sich etwas von herkömmlichen Laptops unterscheidet. Die Formgebung erinnert etwas an eine zusammengeklappte italienische Pizza im fast quadratischen Format. Die Breite und Tiefe von 27 bzw. 25 cm sind dabei nichts Ungewöhnliches. Mit rund 4 cm ist das Gerät allerdings etwas dicker als herkömmliche Modelle. Dafür ist das Gewicht von rund 1.500 g durchaus üblich - und hier ist das Headset, mit dem wir uns gleich noch näher beschäftigen, bereits inkludiert.
Das Innere
Nach dem Aufklappen des Spacetop fallen sofort die Unterschiede zu einem herkömmlichen Laptop. Es fehlt nämlich etwas: das klassische Display. Dafür befindet sich dort etwas anderes. Hierbei handelt es sich um ein Headset für die Augmented Reality (AR). Genau das ist auch das besondere Alleinstellungsmerkmal des Sightful Spacetop. Das lässt sich von den sonstigen technischen Daten kaum behaupten. So dient als Prozessor etwa ein Snapdragon 865. Der ist jetzt bereits vier Jahre alt und kann mit neueren Modellen - beispielsweise dem Snapdragon 8 Gen 2 - nicht mithalten. Dennoch ist die optimierte ARM-CPU für viele Anwendungsprofile ausreichend. Auch der 8 GB große Hauptsprecher sowie der Speicherplatz von 256 GB dürften niemand von den Sitzen reißen. Das alles ist im Jahr 2023 bestenfalls (unterer) Standard. Immerhin bietet die integrierte Webcam mit 2.560 × 1.920 Pixeln eine überdurchschnittlich hohe Auflösung. Als Sicherheitsfeature und Zugangsbeschränkung verfügt der Spacetop über einen Fingerabdruckleser. Als Betriebssystem dient ein AOSP-OS (Android Open Source Project).
Die Konnektivität
Bezüglich der Anschlüsse und Verbindungsmöglichkeiten bleiben beim Sightful Spacetop hingegen kaum Wünsche offen. Das gilt vor allem für die drahtlose Kombination. Der Spacetop unterstützt nämlich nicht nur Bluetooth 5.1 und Wi-Fi 6, sondern auch 5G NR Sub-6. Zudem finden sich am Gehäuse zwei USB-C-Anschlüsse, die mit einer Übertragungsrate von 10 Gbit pro Sekunde aufwarten können. Diese unterstützen den Verbindungsstandard DisplayPort 1.4. So lassen sich bei Bedarf sogar externe Bildschirme anschließen.
Das AR-Headset
Kommen wir zur wirklichen Besonderheit des Sightful Spacetop - dem AR-Headset. Dieses wirkt im Vergleich zu vielen Modellen anderer Hersteller erstaunlich klein und dünn. Nach dem Aufklappen messen wir dann auch ziemlich kompakte Maße von 14,6 * 17,5 * 4,4 cm. Auf die Waage bringt das Headset nur 106 Gramm. Zum Vergleich: Die Microsoft HoloLens 2 ist mehr als fünfmal so schwer. Das AR-Headset des Sightful Spacetop bietet bei einer Bildwiederholungsrate von 72 Hz eine Auflösung von 1.080p pro Auge. Dabei unterstützt es Augenabstände zwischen 5,6 und 7 cm. Das Headset besitzt sogar integrierte Lautsprecher. Diese sind allerdings nicht nur sehr leise, sondern auch wegen ihres blechernen Sounds keine klangliche Offenbarung.
Das Aufsetzen
Nach dem Aufsetzen der AR-Brille erscheint ein gigantisch wirkender virtueller Bildschirm vor den Augen. Dieser ist nicht eben, sondern - wie bei einigen Monitoren neuerer Bauart - gewölbt. Das satte 100 Zoll große Display erstreckt sich dabei in praktisch alle Richtungen: nicht nur zu den Seiten, sondern auch nach oben und unten. Der Eindruck lässt sich am besten mit einem ultrabreiten, einstellbaren Monitor wie dem Corsair Xeneon Flex vergleichen. Allerdings ist hier alles noch gigantischer. Wer ohnehin mit mehreren Monitoren arbeitet, dürfte daran besonders Gefallen finden. Um den User wölben sich Fenster in unterschiedlichen Größen. Der größte Teil des virtuellen Displays befindet sich im oberen Bereich. So bleibt der Überblick im unteren Teil gewahrt und die Tastatur sichtbar. Erkennbar ist der Bildschirminhalt natürlich lediglich für die Person, welche die AR-Brille gerade trägt. Es handelt sich also auch in der Öffentlichkeit um ein absolut privates Display. Dementsprechend lässt sich das Spacetop im Café, am Strand oder in der Lounge des Flughafens auch beim Umgang mit privaten Daten bedenkenlos nutzen.
Die Nutzung
Wie auf einem klassischen Bildschirm, lassen sich auch auf dem virtuellen Display verschiedene Apps in Fenster verschieben. Im Test sind alle Texte gut lesbar. Bei Kopfbewegungen ergeben sich zudem keine oder bestenfalls geringe Verzögerungen. Dadurch führt das Arbeiten nicht so schnell zu Ermüdungen. In der Standardansicht ist der Hintergrund abgedunkelt - ähnlich wie beim Blick durch eine Sonnenbrille. Für einen sichtbaren Kontrast empfehlen wir deshalb einen hellen Desktop-Hintergrund.
Die Navigation erfolgt via Trackpad. So lassen sich über den Cursor etwa Apps anwählen und Fenster neu anordnen oder deren Ausmaße modifizieren. Das funktioniert ganz ähnlich wie bei einem klassischen Laptop, sodass die Umstellung schnell gelingt. Durch das Wischen mit drei Fingern auf dem Touchpad lässt sich das gewölbte Display näher heranholen oder nach hinter verschieben. So können Sie einzelne Fenster genauer betrachten oder sich einen besseren Überblick verschaffen. Über die Nutzerliste in der Bildschirmmitte lassen sich weitere Fenster hinzufügen und Apps auswählen. Praktisch ist auch die Möglichkeit, den Bildschirm an einen spezifischen Bereich anzuheften und später durch das Drücken der beiden Umschalttasten wieder zurückzuholen.
Derzeit liegt beim Programmangebot der Fokus auf Büroanwendungen und Produktivitätssoftware. Neben Gmail, Word und Microsoft Teams ist aber beispielsweise auch YouTube verfügbar. Mithilfe der Spacetop-Logotaste lassen sich einfach Links zu von mehreren Usern verwendeten Dokumenten erstellen. Trotz seines geringen Gewichts wirkt das AR-Headset etwas frontlastig. Hier sollen kleine Gewichte Abhilfe schaffen. Schwindelgefühle stellten sich im Test - anders als bei einigen ähnlichen Produkten in diesem Bereich - nicht ein. Um kurz in die Realität zurückzukehren, genügt ein Klick auf das Spacetop-Emblem.
Der Akku
Beim Akku zeigt sich eine potenzielle Schwachstelle des Spacetop. Dessen Laufzeit beträgt nämlich nur gut fünf Stunden. Das ist im Vergleich mit klassischen Laptops ziemlich wenig - vor allem, wenn diese ebenfalls über einen nicht besonders leistungsstarken ARM-Prozessor verfügen. Immerhin ist das Spacetop schnell wieder aufgeladen. So erreicht der Akku nach knapp zwei Stunden Ladezeit bereits wieder 85 Prozent seiner Kapazität.
Die Vergleiche
Im Vergleich mit der vom Facebook-Konzern angebotenen Meta Quest schneidet das AR-Headset des Spacetop gut ab. Denn dieses ist nicht nur leichter. Die Darstellung von Texten wirkt im Vergleich auch schärfer. Allerdings bietet die Meta Quest mit 1.720 × 1.890 Pixeln pro Auge nicht nur eine bessere Auflösung. Auch die Bildwiederholfrequenz ist mit 72 bis 120 Hz höher. Allerdings fällt das kaum ins Gewicht, da die Meta Quest nicht für die Augmented Reality, sondern für die Virtual Reality gedacht ist. Hier ergeben sich einfach andere Ansprüche. Auch verglichen mit der HoloLens von Microsoft hinterlässt Sightfuls AR-Brille einen positiven Eindruck. Ein Vorteil ist hier vor allem das Sichtfeld. Bei Microsoft erinnerte dieses mit 30 Grad horizontal und 17 Grad vertikal eher an den Blick durch das Bullauge eines Ozeandampfers. Bei der Brille des Spacetop weitet sich der Blick dagegen dank des 53 Grad diagonalen Sichtfelds spürbar
Spacetop und Brillenträger
Die schlechte Nachricht zuerst: Anders als einige VR-Brillen lässt sich das AR-Headset von Spacetop nicht zusammen mit einer herkömmlichen Brille tragen. Für interessierte Brillenträgerinnen und -träger hat Sightful aber auch eine gute Nachricht: Sie können dem Unternehmen einfach Unterlagen bezüglich Ihrer Fehlsichtigkeit schicken und erhalten im Gegenzug angepasste Gläser. Diese lassen sich ganz einfach magnetisch am Rahmen des Spacetop befestigen. Das Beste: Dieser Service ist komplett kostenlos.
Der Preis
Wie zu erwarten war, ist der Spacetop nicht besonders günstig. Das dürfte auch daran liegen, dass der Anbieter Sightful diesen nicht selbst in Eigenregie fertigt, sondern den Prozess outgesourct hat. Die Herstellung übernimmt nämlich das chinesische Unternehmen ODM. Dieses ist als Produzent von Laptops für verschiedene Marken bekannt. Weil Sightful so keine eigenen Fertigungskapazitäten aufbauen muss, sinkt das Risiko. Dafür steigt allerdings der Preis. Apropos Preis: der liegt beim Spacetop bei 2.000 US-Dollar. Bei uns soll sich der Gesamtbetrag auf 1.850 Euro zuzüglich Steuern belaufen.
Die Verfügbarkeit
Wenn Sie ein Spacetop zeitnah nutzen möchten, sollten Sie schnell sein. Sightful bietet den ungewöhnlichen Laptop nämlich zunächst nur 1.000 Early Adoptern an. Interessentinnen und Interessenten können sich dafür auf der Webseite des Unternehmens registrieren. Zuvor müssen Sie allerdings eine ganze Reihe von Fragen beantworten. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Feedback zu geben, um kommende Versionen des Spacetop und andere Produkte von Sightful zu verbessern. Leider versendet das Unternehmen das Spacetop derzeit nur an Adressen innerhalb der USA.
Das Fazit
Macht der Spacetop klassische Laptops überflüssig? Damit ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Dafür weist der von Sightful angebotene Laptop noch zu viele Schwächen - etwa die kurze Akku-Laufzeit, die nicht flächendeckende Verfügbarkeit oder die leistungsschwache Hardware - auf. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen spannenden Ansatz, der im Vergleich zu klassischen Notebooks zahlreiche Vorzüge bietet. Das beginnt beim riesigen Display, das bei allen Lichtverhältnissen gut ablesbar ist und reicht bis zu einer besser geschützten Privatsphäre. Damit könnte das Sightful Spacetop vor allem für Geschäftsreisende, die unterwegs sensible Daten nutzen, künftig eine interessante Option sein.
Das könnte der Beginn einer bahnbrechenden Technologie im Bereich der Laptops, eine hilfreiche Produktivitätslösung oder eben auch nur ein Spielfeld für Nerds sein. Zeigen werden das die Zeit und die Zahl der Käufer. Wer sich für das Sightful Spacetop interessiert, sollte aber wegen des begrenzten Angebots schnell sein und über eine US-Adresse bestellen können.