Finger weg? Warum wir uns so oft ins Gesicht fassen

Unbewusste Berührungen: Wie oft fassen wir uns ins Gesicht?
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie oft Sie sich täglich ins Gesicht fassen? Der Psychologe Julian Packheiser von der Ruhr-Universität Bochum erforscht die Gesundheitseffekte von Berührungen und berichtet im Magazin "Spektrum Psychologie" (Ausgabe 01/2025), dass Menschen das durchschnittlich 50 Mal pro Stunde tun – was bis zu 800 Berührungen pro Tag ergibt. Einige dieser Berührungen haben praktische Zwecke, wie das Richten der Frisur oder das Reiben müder Augen, doch die meisten erfolgen ohne ersichtlichen Grund.
Die Rolle von Berührungen bei der Stressreduktion
Packheiser erklärt, dass unbewusste Gesichtsberührungen eine wichtige Funktion erfüllen könnten: "Laut neueren Theorien dienen unbewusste Gesichtsberührungen zur Stressreduktion und helfen, den Gefühlshaushalt zu regulieren." Berührungen im Allgemeinen fördern bekanntermaßen die Gesundheit. Sie können Ängste lindern, Traurigkeit mindern, Schmerzen reduzieren und sogar den Blutdruck senken. Dies gilt nicht nur für den Kontakt mit anderen: Forschende der Goethe-Universität Frankfurt fanden 2021 in einer randomisierten kontrollierten Studie heraus, dass sowohl Berührungen von anderen als auch von einem selbst das Stresslevel der Teilnehmer vor einer Stresssituation senken können. Sowohl die von anderen Berührten als auch die Selbstberührer hatten niedrigere Cortisolwerte im Blut als die "Unberührten".
Gesichtsberührungen in stressigen Situationen
Auch wenn Teilnehmer der Selbstberührungsgruppe nicht immer das Gesicht wählten, fanden andere Forschungen, dass Gesichtsberührungen in stressigen oder kognitiv anspruchsvollen Situationen besonders häufig vorkommen, so Packheiser. Eine systematische Übersichtsarbeit des Paul-Flechsig-Instituts an der Universitätsklinik Leipzig, veröffentlicht 2021, zeigt, dass das Berühren des eigenen Gesichts Stress mildern könnte, obwohl es noch wenig Forschung zu Selbstberührungen gibt.
Die Wissenschaft hinter der Gesichtsberührung
Joe Navarro, ehemaliger FBI-Verhaltensanalyst, erklärt im Magazin "Psychology Today", dass die Vorliebe unseres Körpers für Gesichtsberührungen in der Anatomie liegt. Unsere Gesichter sind besonders reich an empfindlichen Nervenenden, die direkt mit dem Gehirn verbunden sind. Diese Nerven – insbesondere der Trigeminusnerv und der Facialisnerv – ermöglichen, dass Berührungen im Gesicht das Gehirn schneller und effektiver erreichen als an anderen Körperstellen. Ein sanftes Streichen über die Wange oder das Berühren der Lippen sendet beruhigende Signale schnell ins Gehirn, was entscheidend ist, da wir in stressigen Momenten schnelle Erleichterung brauchen. Das Ins-Gesicht-Fassen beruhigt das Gehirn und hilft, die innere Balance wiederherzustellen. So kann es auch für andere ein Hinweis darauf sein, ob jemand gestresst ist und Unterstützung braucht, so Navarro.
Vorsicht bei der Gewohnheit: Infektionsrisiko
"Sich nicht ins Gesicht zu fassen, wäre manchmal besser – Stichwort Krankheitserreger –, ist aber gar nicht so leicht", sagt Packheiser. "Die aktive Vermeidung von Berührungen im Gesicht zur Verringerung von Infektionen erfordert geistige Anstrengung", schreiben die Leipziger Forscher. Dies müssen wir also ganz bewusst tun. Wenn Sie also bemerken, dass sich Ihr Partner oder Ihre Kollegin häufig ins Gesicht fasst, könnte es ein Zeichen für inneren Stress sein, wie Julian Packheiser rät: "Fragen Sie ruhig einmal nach, ob alles in Ordnung ist."