Extra-Tour zum 70. Geburtstag
Besonders schön sei es am Ende der Welt, behauptete der Renz. Man müsse dringend dorthin, und 1000 Euro reichten locker für die Reise – inklusive Autokauf. Es müsse aber schon ein Auto sein, das man mag, entgegnete der Dralle. Interessante Aussichten für eine Reise im Stil der legendären Extra-Touren zum 70. Geburtstag von auto motor und sport.
Prolog: Lange, bevor wir uns durch die Werke hochklassiger Literaten wie Shakespeare, Oscar Wilde und Ben Johnson wühlten, prägten andere Intellektuelle unser Weltbild: „Wir lernen mehr fürs Leben durch Rückschläge als durch Erfolge“, sagt Peppermint Patty. „ Das macht mich zum cleversten Menschen der Welt“, entgegnet Charlie Brown. An Lernmöglichkeiten mangelt es jedenfalls nicht auf dieser Reise – so wie jetzt in Ilminster, Grafschaft Somerset, gegen 22 Uhr.
Unsere zwei Wagen als Burg, wie sie die beiden Wurfzelte vor kaltem Wind und waagerechtem Regen schützen, und wenn es gerade nicht regnet, prasselt ein offenes Feuer. Oder wenigstens rauscht der Gaskocher unter einer Dose Ravioli. So der Plan. Doch der Campingplatz materialisiert sich als eine matschige Wiese irgendwo im Nirgendwo, für die uns die 18 Euro pro Person und Nacht nicht gerade angemessen erscheinen. Was wir lernen? Dass in einem geräumigen Zimmer in der Travelodge nebenan erstens bequem drei Personen nächtigen können und zweitens für nur 17 Euro pro Nase. Inklusive Wasserkocher, vielen Päckchen Instantkaffee und Teebeuteln, die das Wasser sofort tiefschwarz färben. „Typhoon“ heißt die Marke, offenbar zu Recht. Aber wenn wir gerade von Rückschlägen schreiben auf der Reise ans Ende der Welt, sollten wir vielleicht am Anfang beginnen. Ganz vorn.
1.000 Euro Budget für den gesamten Roadtrip
Sebastian Renz: Selbst mir fällt es schwer, die Tatsache wegzuargumentieren, dass ein grüner Seat Arosa kein blauer Renault Twingo mit Faltschiebedach ist. Der ist das Minimalziel meiner Autosuche für die 1.500 Kilometer weite Reise ans Ende der Welt – nach Land’s End in England. Zu Beginn träume ich von einem alten Feuerwehrauto, großen, schweren, ausländischen Limousinen, etwas Heroischem eben. Aber das gibt es alles nicht, nicht für die 1000 Euro, mit denen es ja auch noch gilt, Fähre, Kraftstoff, Übernachtung und Wegzehrung zu finanzieren. Und zudem auch nicht mit ein paar Monaten Rest-TÜV, die es für die Anmeldung braucht. Ich verbringe Stunden in automobilen Partnerschaftsbörsen auf der Suche nach einem passenden Auto. Und bin immer am falschen Ort.
In Bietigheim-Bissingen will mir ein zugedröhnter Opa gerade einen Twingo andrehen, bei dem unklar ist, wo das Orange der Farbe ins Braun des Rosts übergeht, als daheim ein rentnergepflegter Opel Omega verkauft wird. Im 700-Euro-Segment gibt es keine Klasse mehr. Es gibt nur weniger gute und schlechte Autos, aber dafür aus allen Fahrzeuggattungen. Ich schaue so viel Schrott an – verendende Saab 900, Ford Mondeo Turnier, Volvo V40 – und bin kurz vor der Verzweiflung. Dann: Jens vermeldet den Erwerb eines Mercedes. Der Dralle, der Sack.
Jens Dralle: Einmal cool sein. Ein Auto, um das sie mich alle beneiden. „Der Dralle, so ein Hund. Schau, was der geschossen hat. Für nur 500 Euro!“ Der Renault Safrane zum Beispiel, mit zahmem 2,2-Liter-Benziner, Automatik, 699 Euro Verhandlungsbasis. Der Verkäufer indes sagt: „Das Getriebe ist a bissele kabud.“ Und raus bist du. Dann der Lancia Lybra Station Wagon, dank Fünfzylinder-Diesel mit tiefroter Umweltplakette behaftet. Die Laufleistung von über 365.000 Kilometern schreckt alle, denen ich davon erzähle – mich nicht. Die Bilder versprechen ein akzeptabel gepflegtes Auto. Dass der Verkäufer gleich am Telefon ohne großes Bohren mit dem Preis von 800 auf 500 Euro heruntergeht, hätte Warnung genug sein sollen.
Mercedes C-Klasse mit hohem Nikotingehalt
Also kaufe ich als fünfter Besitzer jenen über 280.000 Kilometer alten Benz, der zwar schon länger auf meinem virtuellen und sogar auf einem sehr realen Parkplatz ganz in meiner Nähe stand. Ich kaufe ihn in einem Anflug von Panik, die Zeit rinnt. Probefahrt? So ein Quatsch. Jetzt, auf dem Weg zum Startpunkt unserer Reise, stimmt das Hinterachsdifferenzial das Lied vom Tod an. Und der Geruch des entsorgten Wunderbaums verfliegt, weicht dem vom kalten Rauch. Eine Jahresproduktion Marlboro muss einer der vier Vorbesitzer hier drinnen durchgequarzt haben. An einem Tag. „Auch im Kofferraum“, davon ist Fotograf Hardy fest überzeugt, als er ein Teil seines mädchenhaft üppigen Gepäcks in der C-Klasse verstaut. Weil es in Sebastians Arosa nicht mehr hineinpasst.
Renz: Dann kommt er also angeheult, Jens’ kleiner Rauchsalon. Und ganz ehrlich, dagegen schaut mein 700-Euro-Arosa dann doch sehr gut aus, tja, wie ein Arosa für 700 Euro eben. Obgleich ich Dach, Felgen und den neuen Kühlergrill (37 Euro beim Schrotti) mit mattschwarzem Sprühlack getunt habe. Wirklich, ich habe versucht, ein wilderes Auto zu finden. Aber ich weiß auch, dass ich Jens nicht mit gleichen Waffen schlagen kann, nur mit besseren. Um als Erster anzukommen, so wusste schon Ken Tyrrell (oder war es Hugh Hefner?), musst du erst mal ankommen. Es gibt hier zwei Möglichkeiten. Erstens: mit Stil scheitern oder mit Glück ankommen.
Und zweitens: sicher ankommen. Deshalb kaufe ich den Arosa, der einen sorgsamen Vorbesitzer hatte. Und danach vier weitere, weniger sorgsame. Er steht bei Mutlangen zum Verkauf – was auch fast eine Reise ans Ende der Welt ist. HU, AU, Auspuff sind neu, die Reifen profiliert, der Motor ist trocken. Auf der Probefahrt (ich weiß Jens, ist nur was für Luschen) lenkt und bremst der Seat, beschleunigt sogar etwas mit seinen 50 PS. In den letzten 20 Jahren besaß ich zwei Citroën BX, einen 2CV, zwei Opel Kadett E Cabrio und noch viel anderes Gerümpel. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass es nicht lustiger ist, lässig zu scheitern als zuverlässig anzukommen. Der Benz wird eher nicht ankommen, der Arosa schon. Das wird der sichere Sieg. Noch eine Butterbrezel und dann los, Jungs.
Geld, Öl und Proviant
Dralle: Na ja, und ein wenig Bargeld schadet auch nichts. Geldautomaten stehen (neben Blitzern) in Württemberg ja praktisch im 50-Meter-Abstand neben der Straße. Eine Münze befiehlt, dass wir über Karlsruhe und nicht über Heilbronn in Richtung Speyer fahren; die Gewohnheit, dass wir in Hockenheim die Autobahn verlassen. Heute ist schließlich Montag, und wir sind ja sozusagen mit Testwagen unterwegs. Der Renz und ich reden uns manchmal die sogenannten Messmontage herbei, bei denen wir uns als Pylonenaufsteller das Studentenbudget aufbesserten. Furchtbar viel gelernt haben wir dabei nicht gerade, andererseits hielten sich auch die Rückschläge in Grenzen. Und schön kann es schon sein, an so einem Montag in Hockenheim.
In Weilerswist dagegen nicht so sehr, wenngleich die Infrastruktur nur schwer zu überbieten ist. Bevor die Benzinpumpe des Arosa noch mehr Luft zieht, müssen wir raus. Ich könnte ja mal den Ölstand kontrollieren, finde ich, bevor der spritzige (warum muss sich der C 180 eigentlich als Zäh-180 beschimpfen lassen?) Vierzylinder-Motor trocken läuft. Ja, so einen halben Liter könnte er schon vertragen, bestätigt auch der rheinisch-fröhliche Tankwart, der sich gar nicht mal so sehr darüber wundert, dass Hardy fleißig die beiden nur betrunken sehr attraktiven Wagen fotografiert. Ob das Rückschlüsse darauf erlaubt, was hier sonst so tankt? Egal. Nebendran wartet ein Supermarkt darauf, von uns geleert zu werden, ich bestehe auf eine Maxi-Packung Tropifrutti, Sebastian kauft lieber echte Frutti. Widerliche Sandwiches nehmen wir beide, das erste mit Blick auf das Braunkohlekraftwerk Weisweiler – ein stilvolles Arrangement, finden wir.
Nein, es geht uns nicht darum, eine besonders schöne Route zu unserem Ziel zu entdecken, an den Spargelfeldern der Pfalz entlang und durch das Ahrtal hindurch etwa. Wir fahren direkt, das Ziel ist das Ziel, der Weg möglichst schnell abzuarbeiten, denn Zeit- und Geldbudget halten sich in ihrer Opulenz die Waage. Daher drängt sich Belgien mit seinen mautfreien Autobahnen geradezu auf, mit allem anderen nicht so sehr. Bevor Belgien zu Ende ist, purzelt der Arosa dann doch noch in Middelkerke von der Autobahn, der Mercedes heult hinterher, doch selbst nach diesem Schlenker soll nur wenig in Erinnerung bleiben. Außer dass in Frittenbuden zwischen 14.30 und 17.30 Uhr niemand Fritten frittiert. Mehr fällt uns nicht gerade ein, was unseren kulturellen Horizont erweitern könnte, wir probieren es noch mal auf der Rückfahrt, versprochen.
Mit 5.000 Touren durch Belgiens Einöde
Renz: Zu den Besonderheiten des Arosa zählt …, nein, womöglich sollte ich anders beginnen. Die Besonderheit des Arosa besteht in der extrem kurzen Getriebeübersetzung. Damit es überhaupt vorangeht, quirlt der Einliter-Vierzylinder bei Tempo 140 mit 5.000 Touren, saugt dann den 34-Liter-Tank eilig leer. Was meine Berechnungen bedrängt, wonach ich wegen geringerer Kraftstoffkosten am Ende gewinne. Erst im tempolimitierten Belgien wird das besser. Zu Belgiens Besonderheiten, … nein, wir sollten da, Sie wissen schon. Wir durchstreifen die Regionen Lüttich, Wallonisch- und Flämisch-Brabant, Ost- und Westflandern und können zwei Wikipedia-Erkenntnisse über das Land bestätigen. Erstens ist das Land weitgehend eben, und zweitens leben 95 Prozent der Belgier in der Stadt. Zudem stellt sich der Belgier beim Autofahren sehr ungeschickt an. Wirklich dauernd liegen Autos im Graben oder auf der Überholspur auf dem Dach.
Dabei ist alles so gerade hier. Das Navi hat nicht viel zu tun: Nach Belgien rein, immer geradeaus, vor Ostende links und dann wieder geradeaus bis Belgien in Frankreich mündet, was der Landschaft allerdings nichts von ihrer Plätte nimmt. Bald sieben Stunden sind wir jetzt unterwegs, seit sieben Stunden dröhnt das Differenzial an Jens’ C-Klasse. Langsam glaube ich nicht mehr, dass er liegen bleibt. Man solle als Notreparatur Bananen ins Differenzial drücken, hatten uns die Kollegen neben vielen weiteren unnützen Ratschlägen auf den Weg gegeben. Vielleicht stimmt das mit den Bananen ja, denke ich, und dass du gegen Jens nicht mit Nettigkeit gewinnst. Und esse schnell die letzten beiden Bananen aus Weilerswist, als wir auf den Kai von Calais fahren. Da wartet die „Pride of Canterbury“ auf uns. Hardy und ich rollen problemlos durch den Zoll, Jens ziehen sie raus. Hehe.
Dralle: Es soll nicht das einzige Mal sein, dass mich der Zoll herausfischt. In Calais allerdings werte ich es als Geste des Mitleids, dass die Kontrolleure wirklich jedes Fahrzeug zur Inspektion des Kofferraums bitten, wirklich jedes – bis auf Sebastians Arosa. Und auch Hardy zeigt Mitleid, denn bevor er uns an einen der Spielautomaten auf den Decks fürs Fußvolk verliert, lädt er uns in die Club-Lounge ein, natürlich nur der Bilder wegen. Was anderes kann es kaum sein, denn das Mobiliar steckte vermutlich schon in Schiffen der britischen Flotte, als es noch galt, die Kolonien fügsam und zusammenzuhalten. Sebastian döst im patinierten Sofa allmählich weg, betäubt vom offenbar nach dem Hochdrehzahlkonzept aufgebauten Motor des Seat. Das Daimler-Triebwerk kommt mit etwa 1.500/min weniger aus, dafür benebeln mich allmählich die Ausdünstungen. Wenigstens höre ich das Differenzial nicht mehr klagen, denn die Lautsprecher und das Panasonic-Kassetten-Radio halten wacker dagegen.
Wilkommen zu Hause-Gefühl im Daimler
Tatsächlich dümpele ich das erste Mal auf einer Kanalfähre herum, die Reise bleibt ohne Rückschläge. Ich frage mich, weshalb ich erst jetzt einfach nur so auf die Insel fahre. Sebastian ist mir da voraus, verbrachte unter anderem ein Auslandssemester hier. Auslandssemester kann ich ebenfalls vorweisen, vier sehr schöne sogar, allerdings in Niederbayern, doch das ist eine andere Geschichte. Diese Geschichte hier sorgt noch bei der Einreise für Erheiterung, ich erzähle sie der Zollbeamtin, während einer ihrer Kollegen einen Opel Zafira auseinandernimmt. Möge die C-Klasse davon verschont bleiben, es könnte nicht absehbare Folgen haben, denn vermutlich lackierte der freundliche Händler, von dem ich den Wagen erwarb, nur die offensichtlichen Roststellen mit der Sprühdose über. Als mich die Zoll-Garage wieder ausspuckt, freue ich mich fast schon auf die noch rund 210 Meilen, die wir heute noch abreißen wollen.
Ja, mein Daimler empfängt mich mit jenem „Willkommen zu Hause“ -Gefühl, das in der Werbung einst der smarte Geschäftsmann in einem W-124-Mietwagen in irgendeinem Schurkenstaat empfinden sollte. Großer Tacho, Sitze, deren Polster gekonnt die Grenze zwischen durchgesessen und bequem aufrechterhalten, die langen Wege des Fünfganggetriebes, das Wiegen der Karosserie (Ob ich die Stoßdämpfer überprüft habe? Ach …) – alles wird gut.
Jetzt will Sebastian schon wieder an die Tanke, er muss, der Arosa braucht Sprit, ich nicht. Tanke aus Solidarität mit. Und aus Solidarität nimmt Sebastian anschließend den Kreisverkehr ebenfalls in der falschen Richtung. Eine Stunde später heult das Differenzial den Rest der C-Klasse und mich an London vorbei, Hardy, die Mimose, hockt im Seat, weil es da besser riecht. Soll er sich doch zudröhnen lassen. Während der 122-PS-Vierventiler entspannt bei 3.500 Touren vor sich hin vibriert, stelle ich mir vor, wie Sebastian versucht, den Geräuschpegel im Arosa per MP3-Spieler und Bluetooth-Lautsprecher zu übertönen. In der Büchse muss gerade ein Höllenradau herrschen.
Vorbei an London und Stonehenge
Renz: Ist doch gar nicht so laut, brülle ich gegen das Drehzahlwüten an. Hardy setzt sich jedes Mal, wenn er kurz in den Benz reingeschnuppert hat, wieder ganz begeistert in den Arosa, der zudem das Navi hat. Also prinzipiell, denn als ich es daheim an die Scheibe patschte, dachte ich nicht dran, dass kein britisches Kartenmaterial drauf sein könnte. Jens und Hardy gucken streng und ich kaufe leise für neun Pfund eine Straßenkarte. Aber so ist alles noch mehr wie 2001, als ich das erste Mal durch Britannien kurvte – mit einem VW T3 Caravelle, dessen 1,7-Liter-Saugdiesel viel Krach und 57 PS zusammennagelte.
Dagegen ist der 99er-Arosa ein Temperamentsbolzen, jaja, -bölzchen. Er hat kuschelige Sitze, federt trotz drei bar Reifendruck bemüht und hat etwas, das der Idee des Handlings nicht komplett widerspricht. Prachtwagen!, denke ich, als wir hinter London der untergehenden Sonne hinterherjagen. Dieser Tage feiert die Queen hier ihren 500. und das Reinheitsgebot daheim seinen 90. Geburtstag. Oder andersherum? Du weißt es nicht mehr so recht, 14 Stunden nach dem Start und hinter Andover auf der A 303. Sie hügelt sich durch die Grafschaft Wiltshire und vorbei an Stonehenge. 3.100 vor Christus hat der Steinzeitbrite da Felsen aufgetürmt. Und einen Tag danach hat wohl das steinzeitbritische Tourismusbüro ein Kassenhäuschen danebengestellt. Wir müssen weiter. Die Sonne ist schon auf dem Weg nach Amerika, wir schaffen es heute nur nach Somerset. Der Arosa befunzelt die spärlichen Wegweiser. Da, ein Schild für einen Campingplatz. Hardy guckt, als hoffe er auf einen Irrtum, während ich mich schon in meinem Wurfzelt sehe. Kreisverkehr, zweimal rechts, einmal links. Und dann: Irrtum. Rückschlag.
Dralle: ... der nicht besonders heftig ausfällt, denn so eine Travelodge-Bude kann dann doch mehr als ein Wurfzelt vom Sportartikel-Discounter. „Aus Mäßigkeit entspringt reines Glück“, sagt der imaginäre Goethe, und Johann Wolfgang von behält recht, so wie meistens. Dass der angeschlossene Burger-Brater um diese Uhrzeit eben keine Burger mehr brät, hilft uns, denn es spült uns in das Zentrum von Ilminster, in dem noch ein richtig gutes britisches Restaurant geöffnet hat. Der Inder jedenfalls freut sich, dass so spät noch Leben in die Bude kommt, wenngleich eher mattes, sehr hungriges Leben. Niemand spricht über das Budget, so teuer kann ein Chicken Tikka ja wohl nicht sein. Ist es nicht, neun Euro verrechnen sich irgendwie in der Bilanz. Sie sind es wert. Die Nacht zu dritt im Travelodge-Zimmer, ja nun, ach, lassen wir das. Am nächsten Morgen versucht Hardy damit Eindruck zu schinden, dass er gleich vier der Instantkaffee-Tütchen in einer Tasse heißen Wassers auflöst, doch Sebastian und mich hat der Typhoon-Tee bereits hinters Lenkrad unserer Boliden beschleunigt. Das Ende ist nahe.
Cornwall – der Anfang vom Ende
Renz: Noch nicht! Hinter Exeter biegen wir ins Dartmoor ab, weil es eben da ist. Die Strecke (Straße wäre ein zu großes Wort) ist so schmal, dass einem dauernd einer auf der eigenen Seite entgegenkommt – mag auch am Linksverkehr liegen. Der Arosa lässt seine Kurbelwelle jetzt rotieren, als habe ihm einer Koks in den Luftfilter geschüttet, die Winterreifen (die guten 2009er im Format 155-70 R 13 von Matador) grippen sich in den Asphalt und die servolose Lenkung, tja, lenkt. Wir fahren uns so schwindelig über all diese Kuppen, die sich Hänge hinunterstürzen, grob asphaltierten Trassen, die sich an Berge und Wälder klammern, dass wir uns schließlich recht effektiv im Moor verirren. Wir durchtoben ein paar Forste, erschrecken mit dem heulenden Differenzial das Rotwild. Als uns das auch mit einigen Golfern gelingt, ahnen wir, dass wir wieder auf dem rechten Weg sind. Dem nach Plymouth. Wir sortieren uns wieder auf der A 38 ein. Dann Hängebrücke, Emblem mit Wappen. Wir sind in Cornwall, dem Anfang vom Ende.
Dralle: Während für viele ZDF-Zuschauer jeden Sonntag hier um 20.15 Uhr der Anfang vom Ende des Wochenendes beginnt, fahren wir hier wirklich herum. Jeden Moment könnte hinter einer der Hecken ein fescher Jüngling im leichten Sommeranzug – oder wenigstens mit einem leger über das blaue Hemd geschwungenen, pastellfarbenen Kaschmirpullover – hervorspringen und seiner Liebsten hinterhereilen, wenigstens aber das Familienunternehmen retten. Oder beides. Doch niemand springt. Aber der Renz hatte recht. Schön hier. Wirklich schön. Die Straßenführung ähnelt eher Wertungsprüfungen, jedenfalls scheinen C 180 und Arosa die denkbar ungünstigsten Fahrzeuge für diesen Winkel der Insel. Dann jedoch entdecken wir vorm Pub Gurnard’s Head ein kleines Wohnmobil auf Citroën-C15-D-Basis, der Nutzfahrzeugvariante des Visa. Fühlen uns wie Colin McRae, jeder für sich. Noch bleiben die meisten Touristen in ihrer Heimat, alles so schön ruhig hier, kein Geschiebe, kein Stau. Natürlich bläst der Wind, ein paar Wolkenfetzen treiben am tiefblauen Himmel, der Stern hält Kurs auf Land’s End.
Renz: Das zweite Mal der zwei Mal war ich mit einem Land Rover Defender hier. Dagegen ist der Arosa ein Rallyeauto. Wobei jetzt kurz vor Schluss die hinteren Trommelbremsen auf einmal schleifen. Egal, viel zu bremsen gab es beim Arosa bisher ja nicht, die letzten Meilen die Küste entlang werde ich noch schaffen. Jens aber auch. Ich sollte ihn jetzt überholen, damit ich wenigsten sagen kann, als Erster angekommen zu sein. Ob es darauf nach 1.500 Kilometern noch ankommt? Na aber sicher doch. Mist, da vorn, die Einfahrt, das Tickethäuschen. Ende. Aus. Wir sind da.
Ein Ausflug in einer etwas anderen Ausprägung
Dralle: Nicht dass Sie jetzt glauben, dass wir meinen, wir hätten etwas Unglaubliches geleistet. Einen schönen Ausflug wollten wir unternehmen, vielleicht in einer etwas anderen Ausprägung, als es in einer Assistenzsystem- und adaptiv gedämpften Autowelt üblich wäre. Hardy bekommt sein Sektduschen-Bild, niemand stört es, außer uns vielleicht, hier ist Großbritannien, ein Land, das Seltsamkeiten bis heute gekonnt zur Kultur erhebt. Die frische Seeluft pustet das Dröhnen aus den Gehörgängen und den Mief aus den Klamotten, Andenken wollen gekauft, Aufkleber aufgeklebt werden. Wir beschließen, noch ein wenig am Ende der Welt herumzustromern, finden beinahe hinter jeder Kurve ein Motiv, und hinter einer einen Eisverkäufer. Seinen Eiswagen sehen wir uns nicht zu genau an, sonst erschiene der Verzehr der Süßigkeit mutiger als die Reise mit Seat und Mercedes.
Renz: Später werden die uns gut nach Stuttgart zurückbringen. Für Rückschläge, aus denen wir rein gar nichts lernen, sorgt nur das britische Straßenbauwesen.
Dralle: Was wir aber von dieser Reise lernen: Wenn Rückschläge nicht eintreten, mit denen man gerechnet hat, ist das sehr wohl als Erfolg zu werten, liebe Patty, lieber Charlie.