Die Ära Bernie Ecclestone
Die Formel 1 steht vor einer Zäsur. Seit 2017 hört der F1-Zirkus nicht mehr auf das Kommando von Bernie Ecclestone. Der 86-jährige Diktator trat heimlich, still und nicht ganz freiwillig ab. Ein Rückblick auf 45 Jahre mit Bernie.
Er war der Fixpunkt im Fahrerlager. Auch wenn man ihn nur selten sah. Bernie Ecclestone versteckte sich meistens in seinem grauen Bus oder seinem Büro in der Rennleitung. Er war keiner, der gerne Hof hielt. Meistens tauchte er unvermittelt auf, und alle gingen in Habacht-Stellung. Weil er nur 1,62 Meter groß ist, mussten sich seine Gesprächspartner zu ihm runterbeugen. Es sah aus, als würden sie vor ihm niederknien.
Seine Gäste empfing der Formel 1.Pate in seinem Bus. Die Schlange der Wartenden teilte sich in zwei Kategorien. Die einen standen sich vor dem Motorhome die Beine platt. Die anderen durften schon im Vorzimmer warten. Bei Bernie waren alle gleich. Auch Konzernbosse, Politiker oder Celebrities wurden vertröstet. In der guten alten Zeit pflegte Bernie mit einem Augenzwinkern seinem Kettenhund Pasquale Latteneddu den Auftrag zu geben: „Sag ihnen, ich bin in einem Board Meeting.“ Mit „Board“ war nicht der Vorstand, sondern das Backgammon-Brett gemeint.
Ecclestones Wort war Gesetz
Bernie hielt das Zepter in der Hand. Sein Wort war lange Gesetz. Erst in den letzten Jahren haben sich die Teams und die FIA ein wenig aus seinen Fesseln befreit. Die großen Rennställe haben ihn und seinen Dienstherren CVC Capital Partners mit der Drohung erpresst, in einer eigenen Serie zu fahren, wenn es keine Bonuszahlungen und nicht mehr Mitspracherecht gibt. Es war der Anfang der Unregierbarkeit. Sie gipfelte in dem Wort „ Strategiegruppe“.
Bernie Ecclestone ist ein Mann der ersten Stunde. Er war schon beim allerersten Formel 1.Grand Prix am 13. Mai 1950 dabei. Als Teilnehmer im Formel Junior-Rahmenprogramm. Anfangs hatte Bernie nur lose Beziehungen zur Königsklasse. Er tauchte erst Ende der 50er Jahre wieder auf, als er den Connaught-Rennstall kaufte und selbst vergeblich versuchte, sich für den GP Monaco 1958 zu qualifizieren. Das trat unter der Nennung „BC Ecclestone“ an. Die Initialen stehen für Bernard Charles.
Gleichzeitig betreute er das englische Talent Stuart Lewis-Evans. Der schmächtige Rennfahrer zog sich bei einem Unfall beim GP Marokko so schwere Verbrennungen zu, dass er sechs Tage später starb. „Stuart hätte überleben können“, erinnert sich Ecclestone grimmig. „Die Marokkaner haben ihn in schmutzige Decken eingewickelt. Dabei zog er sich eine Infektion zu.“
Auch in den 60er Jahren hielt Ecclestone über Rennfahrer Kontakt zu der Szene, die den Gebrauchtwagenhändler wegen des Kampfes Mann gegen Mann und Maschine gegen Maschine magisch anzog. Er ist ein enger Bekannter von Roy Salvadori, einem der letzten britischen Herrenfahrer seiner Zeit. Und er berät seinen Freund Jochen Rindt in Finanzfragen, handelt für den charismatischen Österreicher die Start- und Preisgelder aus. Rindt war für Ecclestone der „Superstar schlechthin“. Weil er wie ein Rennfahrer aussah und wie ein Rennfahrer tickte.
Ecclestones Erinnerung an den Rindt-Unfall
Der 5. September 1970 in Monza wurde für Ecclestone der schwärzeste Tag seiner Karriere. „Als ich von Jochens Unfall hörte, bin ich in die Parabolica gerannt. Man hat mir Jochens Helm in die Hand gedrückt. Weil sie ihn schon abtransportiert hatten, bin ich wieder ins Fahrerlager zurück. Die Organisation war grauenhaft, einfach unwürdig. Jochen lag auf der Pritsche eines VW-Busses, wo mehrere Leute hilflos damit beschäftigt waren, ihn wiederzubeleben. Auf dem Weg ins Krankenhaus haben sie sich auch noch verfahren. Als wir dort ankamen, war Jochen schon tot. Sie haben ihn auf einem Gang abgestellt und mich mit ihm alleingelassen.“
Ein Jahr später kaufte Bernie Ecclestone den Brabham-Rennstall. Für das Schnäppchen von 100.000 Pfund. Anfangs finanziert der umtriebige Geschäftsmann die Einsätze der Autos selbst. Dabei kam es zu Szenen, die gar nicht Ecclestone-like sind. „Einmal, in Nivelles hatten wir fünf Autos gemeldet, aber nur vier Motoren und zwölf Reifen im Gepäck.“ Erst als er 1978 den italienischen Milchproduktehersteller Parmalat als Sponsor gewinnt, zahlen andere die Zeche.
Zu dieser Zeit war Ecclestone bereits Verhandlungsführer der Teams. Ohne offizielles Mandat. „Die anderen fanden einfach, dass ich das am besten könne. Und sie haben mir vertraut.“ Bernie vertritt die Teams im Kollektiv. Vorbei die Zeiten, in denen die Veranstalter mit Teams und Fahrern individuell die Preisgelder aushandelten.
1975 kassierte die Vereinigung der Konstrukteure pro Rennen 220.000 Dollar. 1979 waren es schon 485.000, weitere vier Jahre später 940.000 Dollar. Einige Veranstalter klagten, sie könnten die Summen nicht mehr bezahlen. Ecclestone bot ihnen an, die Rennen selbst auszutragen und das Risiko zu übernehmen. Der GP Deutschland 1978 war der erste Grand Prix unter seiner eigenen Regie.
Bernies Verhandlungsgeschick
Eine Episode, die der frühere FIA-Präsident Max Mosley in seinem Buch erzählt, gibt einen Einblick in das Verhandlungsgeschick seines langjährigen Mitstreiters. Die Geschichte spielt beim GP Deutschland 1975. Hinter verschlossenen Türen verhandelten Ecclestone und Mosley mit dem Veranstalter des GP Kanada. Das Rennen in Mosport sollte in zwei Monaten stattfinden. Die Kanadier wollten das Startgeld nicht bezahlen und pokerten, indem sie eine letzte Frist verstreichen ließen. Ecclestone sagte daraufhin das Rennen offiziell ab. Worauf der Veranstalter panisch plötzlich allen Konditionen zustimmte. In einer hitzigen Sitzung der FOCA überzeugte Ecclestone seine Mitstreiter, dass es besser sei, hart zu bleiben. Um ein für allemal ein Exempel zu statuieren. Ab sofort wussten alle. Mit diesem Ecclestone ist nicht zu spaßen.
Sein Gespür für Geschäfte entwickelte sich bereits in der Schulzeit. „Ich habe morgens beim Bäcker das ganze Angebot an Brot und Kuchen gekauft, um es auf dem Schulhof in der Pause mit Gewinn weiter zu verscherbeln.“ An den Wochenenden treibt sich der junge Ecclestone regelmäßig auf einem Markt in der Londoner Petticoat Lane herum. „Ich erstand Stifte und Uhren, hauptsächlich Dinge, die wegen des Krieges knapp waren. Dann machte ich meinen eigenen Stand auf.“
Später arbeitet Bernie als Chemiker in einem Gaswerk. Bis der Chef der Firma draufkommt, dass er den Fahrradschuppen als Lager für seine Motorräder nutzte, die er nebenbei verkaufte. „Als meine Geschäfte besser liefen als die des Gaswerks, musste ich gehen.“ Das ist der Start in sein Leben als Gebrauchtwagenhändler. Damit verdient sich das Verkaufstalent seine erste Million.
Weil sich sein Lebenslauf nicht lückenlos rekonstruieren ließ, kursierten schnell die wildesten Geschichten. Zum Beispiel die, dass er am englischen Postraub beteiligt gewesen sein soll. Ecclestone klärt den Zusammenhang auf. „Es gab da einen gewissen Roy James, ein Gelegenheitsrennfahrer. Der fuhr das Fluchtauto. Nach seiner Haftstrafe kam er zu mir und fragte, ob ich etwas zu fahren für ihn habe. Ich musste bedauern. Ich habe ihm trotzdem Arbeit verschafft. Er war Silberschmied von Beruf und hat für uns Pokale gebaut.“
Auch in der Formel 1 baute Ecclestone seine Macht durch die Hintertür aus. Er war schlau genug, es sich nicht mit seinen Kollegen zu verscherzen. Als die Konkurrenz nach dem Sieg des Staubsauger-Autos von Brabham beim GP Schweden mit Protest drohte, zog der Teamchef das Auto zurück. Vertrauen war wichtiger als Erfolg. Ecclestone erklärte seinem enttäuschten Konstrukteur Gordon Murray: „In zwei Rennen hätte jeder so ein Auto gehabt.“
Der große Krieg der Formel 1./strong>
Ecclestone sollte die Rückendeckung schon bald in Anspruch nehmen. Mit dem Turbo-Feldzug der Automobilhersteller begann der erste große Krieg der Formel 1. Auf der einen Seite standen die FIA und die Autokonzerne, auf der anderen die englischen Garagisten, Ecclestone und Mosley. Der Streit entzündete sich an den Groundeffect-Autros, die die englischen Teams als einzige Waffe gegen die Turbo-Power der Werke sahen. Die FIA wollte sie aus Sicherheitsgründen verbieten.
Zu Beginn der Saison 1981 eskalierte der Konflikt. Im Winter sah es nach zwei Meisterschaften mit einem gespaltenen Feld aus. Auf der einen Seite die Hersteller, auf der anderen die englischen Separatisten. Es kursierten sogar schon zwei Kalender. Die FIA drohte allen Streckenbesitzern mit Lizenzentzug, sollten sie Rennen für die Piratenserie veranstalten.
Der Saisonauftakt in Argentinien fiel aus. Am 7. Februar probten die Rebellen unter Ecclestones Führung in Südafrika den Aufstand. Sie hielten einen Protest-Grand Prix ab, nur um FIA-Präsident Jean-Marie Balestre zu zeigen, dass man auf die Sportbehörde verzichten konnte. Carlos Reutemann gewann das Rennen mit nur 18 Teilnehmern, bekam aber keine WM-Punkte dafür.
Die Werksteams von Renault, Ferrari, Alfa Romeo, Talbot-Ligier, der kleine Osella-Rennstall und Neuzugang Toleman waren dem Rennen ferngeblieben. Bernie Ecclestone und sein Kompagnon Max Mosley hatten hoch gepokert. „Wir hatten nichts in der Hand und wussten auch nicht, wer das alles bezahlen sollte. Das Rennen in Kyalami sollte den Eindruck erwecken, dass bei uns alles zum Besten stand. Zum Glück ist Balestre darauf hereingefallen“, erzählt Mosley.
Die goldene Ära der Formel 1./strong>
Als Goodyear im Dezember 1980 aus Verärgerung über die festgefahrenen Fronten seinen Rückzug verkündete, stand der GP-Sport am Rande des Abgrunds. In England befasste sich sogar das Parlament mit dem Thema. Michelin erklärte sich kurzfristig bereit, das ganze Feld auszurüsten. Auf Initiative von Ferrari setzten sich die Teams und die Funktionäre des Verbands am 19. Januar 13 Stunden lang in Maranello an einen Tisch. Enzo Ferrari hatte Balestre mit den Worten an den Verhandlungstisch gezwungen: „Lass es uns nicht mit Ecclestone verscherzen. Schließlich ist er derjenige, der das ganze Geld eintreibt.“
Das Ergebnis war ein Kompromiss. Die FOCA behielt die Hoheit über die Finanzen, die FIA über das Reglement. Das so genannte Modena-Abkommen führte Ende Februar zu einem Friedensgipfel in Paris auf dem Place de la Concorde. Dort entstand der erste Grundsatzvertrag zwischen den Teams und der FIA. Das Dokument wurde Concorde Agreement genannt. Es wurde bis heute sieben Mal verlängert.
Ecclestone hatte damals schon ein Bild, wie die Formel 1 einmal aussehen sollte. Eine weltweite Show auf Augenhöhe mit den Olympischen Spielen und der Fußball-Weltmeisterschaft. Ein Premium-Produkt, das für Weltfirmen, Stars und Sternchen zum Laufsteg werden sollte. Die Teams wurden verpflichtet an allen Rennen anzutreten und ihre eigenen Autos zu bauen. Veranstalter wurden auf fünf Jahre festgenagelt. TV-Anstalten wurde die Sendezeit vorgeschrieben. Weil Bernie mit der Übertragungsqualität nicht zufrieden war, gab er den Fernsehanstalten Nachhilfeunterricht. Im Mai 1980 wurde auf seine Initiative ein Budget von 150.000 Dollar freigegeben, um Onboardkameras in den Autos zu entwickeln.
Mit dem Frieden von Paris begann die goldene Ära der Formel 1. Sie führte 1991 zu einem Dreamteam. Max Mosley löste Jean-Marie Balestre als FIA-Präsident ab. Jetzt hatten die beiden Kompagnons freie Fahrt. Bernie und Max führten die Geschäfte auf ihre Art. Mit kleinen und großen Taschenspielertricks. Teile und herrsche. Drohe mit dem Schlimmsten, um das weniger Schlimme zu bekommen.
Der Sport florierte, die TV-Zahlen gingen durch die Decke, die Tribünen waren überall gut gefüllt. Die Formel 1 wurde zum Markenzeichen. Sie steht für Perfektion, Hightech, für Glamour und viel Geld. Das System macht Fahrer, Teamchefs und Technikdirektoren zu Millionären. Das ungebremste Wachstum bringt auch Probleme. Die Neureichen wollen noch höher hinaus. Und sie beginnen Ecclestone seine hohen Provisionen zu neiden.
F1-Teams rebellieren
1997 wird zum ersten Mal ein Börsengang diskutiert. Er scheitert. Die FIA überträgt die TV-Rechte für die nächsten 14 Jahre an Ecclestone. Sie spielen in dieser Zeit 5,5 Milliarden Pfund ein. 1999 verkauft Ecclestone 50 Prozent des Geschäfts an die Banken Hellman&Friedman und Morgan Grenfell. Den Rest verlagert er in eine Treuhand mit Sitz in der Schweiz. Er nennt sie Bambino Trust. Ecclestone hat Angst, dass seine Familie eine Erbschaftssteuerschuld statt eines Vermögens erbt, wenn er mal stirbt. Die Sorge ist nicht unbegründet. Ecclestone bekommt in diesem Jahr mehrere Bypässe eingesetzt.
Einige Teamchefs fühlen sich verraten. Ken Tyrrell beginnt jede Sitzung der Konstrukteure mit einer Anklage. „Du hast unser Geschäft gestohlen“, herrscht er Bernie an. Der gibt jedesmal gelassen zurück: „Lieber Ken. Ich habe dir vor Jahren angeboten, dich zu beteiligen. Du wolltest nicht ins Risiko gehen, sondern lieber einen fixen Anteil am Gewinn.“
Auch die Hersteller begehren auf. Sie wollen einen größeren Anteil am Kuchen, und sie wollen mitbestimmen. Es missfällt ihnen, wie sie von einem Autohändler und einem Juristen am Nasenring durch die Manege geführt werden. Sie verbünden sich in einer Interessensgemeinschaft namens GPWC und planen ernsthaft eine eigene Serie.
Ecclestone und Mosley gewinnen auch diese Schlacht. „Wenn wir es schon nicht geschafft haben uns abzuspalten, wie sollte es ihnen dann gelingen“, bilanzierte Mosley. Ecclestone hatte im Untergrund geschickt Ferrari, Williams, Red Bull und Renault mit Extrazahlungen abgeworben. Auf die Frage, ob das nicht mafiöse Geschäftsstrukturen seien, antwortete Ecclestone triumphierend: „ Wir sind die Mafia.“
Formel 1-Verkauf war ein Fehler
Heute gibt Ecclestone zu, dass der Verkauf sein großer Fehler war. Damit passierte das, was er immer verhindern wollte. Es kamen branchenfremde Unternehmen ins Geschäft. Banken, Träumer, Investmentfonds. Der Chef verlor die Kontrolle. Die Anteile wurden immer weiter gereicht, bis sie am Ende bei CVC landeten. Und die hatten plötzlich alle Stimmrechte.
Die letzte Transaktion von der Bayerischen Landesbank an CVC verfolgte Ecclestone noch Jahre danach. Der Formel 1.Pate stand in Deutschland ein Jahr lang wegen Bestechung vor Gericht. Er sollte den Banker Gerhard Gribkowsky mit 44 Millionen Dollar geschmiert haben, damit der Wunschpartner CVC den Zuschlag bekommt. Den Kaufpreis von 831 Millionen Dollar empfanden die Kläger als verdächtig niedrig. Mosley widerspricht: „Es war das beste Angebot auf dem Tisch, und die Bank war happy. Bernie hat lange gesucht, bis er überhaupt einen gefunden hat.“ Das Verfahren wurde gegen eine Zahlung von 100 Millionen Dollar eingestellt.
Noch ein Coup erregte das Misstrauen der Zweifler. Ursprünglich sollten alle kommerziellen Rechte Ende 2011 an die FIA zurückgehen. Der Weltverband hat aber die große Cash-Cow lieber für die nächsten 100 Jahre an die derzeitigen Rechteinhaber vermietet. Die FIA wollte sich Ärger mit Ecclestone ersparen, der im Fall einer Rücknahme durch den Verband Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, dies zu verhindern. Mit guten Erfolgsaussichten, wie Mosley einmal erzählt hat.
Ecclestone quetschte die Cash-Cow aus
Ab 2003 war Bernie nur noch ein Angestellter. Für kolportierte 83 Millionen Dollar Jahresgehalt. Die Aktienmehrheit lag nicht mehr in seiner Hand. Gribkowsky drohte schon 2005 damit, den Zampano zu entlassen. Weil Ecclestone der Landesbank nicht die Stimmrechte zubilligte, die ihr zugestanden hätten. CVC ließ Ecclestone dagegen an der langen Leine gewähren. Solange er so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich einspielte, war er genau der richtige Mann. Eine langfristige Strategie steckte nicht wirklich dahinter. Außer die der bestmöglichen Geldvermehrung.
Bernie wurde ein Gefangener seines eigenen Systems. CVC belieh den Sport drei Mal für insgesamt 6,4 Milliarden Dollar. Um die Summe wieder einzuspielen, presste Bernie alle Geldquellen wie eine Zitrone aus. Nicht immer zum Wohle des Sports. Die Preispolitik trieb viele Veranstalter und Teams in den Ruin. Um die Big Shots bei Laune zu halten, wurden sie mit Bonuszahlungen geködert. Mit dem Ergebnis, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderging, die Rennen immer berechenbarer wurden und einzelne Teams den Sport über Jahre dominierten.
Nachdem auch ein zweiter Versuch die Formel 1 an der Börse zu platzieren scheiterte, intensivierte CVC die Verkaufsgespräche. Die Kuh war gemolken. Das Publikumsinteresse schrumpfte. Die Formel 1 taumelte von einer Regeländerung in die andere. Ihr Geschäftsführer stand mit einem Bein im Gefängnis. Bernie zog seinen Kopf aus der Schlinge. Und als ihn CVC bereits 2014 beurlauben wollte, da drehte er einen Tag vor der Pressekonferenz das Ruder herum. Bis heute weiß keiner, wie Ecclestone seine Dienstherren davon überzeugte, ihn besser zu behalten.
Ecclestone wird durch Führungstrio ersetzt
Das Tafelsilber musste trotzdem weg. Weil Ecclestone Verkaufsgespräche torpedierte, traf sich CVC-Chef Donald MacKenzie zum Schluss heimlich mit potenziellen Investoren. Am 7. September 2016 übernahm Liberty Media 18,7 Prozent der Formel 1.Holding Delta Topco. Ecclestone bekam erst wenige Tage zuvor Wind davon. Zu spät für die üblichen Störfeuer.
Am 17. Januar 2017 wurde die Beteiligung von Liberty auf 35.3 % aufgestockt. Damit gehörten dem Medienunternehmen aus Colorado auch die Stimmrechte. Insgesamt bezahlten die Amerikaner 4,1 Milliarden Dollar. Da die Firma noch mit rund vier Milliarden Dollar belastet ist, wird der Wert der Formel 1 auf rund acht Milliarden taxiert.
Es dauerte nur fünf Tage, da passierte das Undenkbare. Liberty plant einen Neubeginn, und das erste Signal dafür ist die Neubesetzung des Chefsessels. Die Arbeit, die Bernie Ecclestone über 40 Jahre im Alleingang stemmte, verteilt sich nun auf die Schultern von Chase Carey, Ross Brawn und Sean Bratches.
Ecclestones Verdienste wurden mit einer Art Ehrendoktor-Titel gewürdigt. Der Pate der Formel 1 kann sich nicht so recht damit anfreunden: „Ich führe diesen Titel ohne zu wissen, was er bedeutet.“ Er ahnt, dass es jetzt einsam wird am Londoner Princes Gate. Die neuen Chefs werden ihren Kommandostand in neuen Büros in London installieren.
In der einstigen Machtzentrale der Formel 1 residiert dann ein 86-jähriger Mann ohne Befehlsgewalt. Er wird keine Deals mehr machen, nicht mehr am großen Rad drehen, nicht mehr um Fahrerlager.Tickets angebettelt. Man werde ihn um Rat fragen, wenn man ihn brauche, wirft sein Nachfolger Carey ein. „Warum sollten sie das tun? Ich glaube sie werden ihr eigenes Ding machen“, gibt der alte Hausherr zurück. Seine Situation sieht er nüchtern: „I am gone.“ Frei übersetzt könnte man übersetzen: „Ich bin jetzt mal weg.“
Bernie ist keiner, der sich bei einem Glas Bier zurücklehnt und die gute alte Zeit Revue passieren lässt. Er war trotz seines hohen Alters immer einer, der nach vorne geblickt hat und von der Vergangenheit nichts wissen wollte. Die Formel 1 war sein persönlicher Spieltisch, der Verhandlungspoker sein Nervenkitzel. Jetzt hat er Spielverbot in seinem Casino.
Der kleine Mann mit den zerknitterten Gesichtszügen unter der grauen Pilzkopf-Frisur hat zu seinem Abtritt scherzhaft oft gesagt: „Ich glaube, sie werden mich eines Tages tot aus dem Fahrerlager tragen.“ Jetzt hat er das Ende doch erlebt.In der Szene wird bereits gemunkelt, dass sich der abgelöste Zampano nicht so einfach geschlagen geben wird. Dass er eine eigene Serie plant, mit dem Ziel der Formel 1 zu schaden. Er könnte sie GP1 nennen, doch dazu braucht er erst Teams, Fahrer, Rennstrecken und Personal. Und die richtigen Mitstreiter. Es wäre ein langer Weg, bis so eine Serie funktioniert. Und nicht mal Bernie Ecclestone wird jünger.
In der Galerie zeigen wir noch einmal, wie Bernie Ecclestone die Formel 1 zum großen Geschäft machte.