Deutschlands längste Autobahn-Ruine
Mit fast 70 Kilometern Länge gilt die sogenannte Strecke 46 als das längste eingetragene Technikdenkmal Deutschlands.
Die nie in Betrieb genommene Reichsautobahntrasse zwischen Bad Hersfeld und Würzburg ist eines der auffälligsten Relikte der NS-Verkehrsplanung – ein technisches Großprojekt, das kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen und nie vollendet wurde. Heute zeugt die Trasse mit ihren teils monumentalen Überresten von einem ambivalenten Kapitel deutscher Geschichte.
Ursprung und Planung im Nationalsozialismus
Die Strecke 46 war als rund 70 Kilometer lange Nord-Süd-Verbindung durch die südliche Rhön und den Spessart geplant. Der Streckenverlauf wurde ideologisch überhöht: Der Fokus lag weniger auf verkehrstechnischer Effizienz als auf landschaftsästhetischen und propagandistischen Gesichtspunkten. Die geplante Trasse sollte dem sogenannten "Autowandern" dienen und dem Fahrer "die Schönheit der deutschen Heimat" erschließen – eine typische Ausprägung der NS-Bauideologie.
Bereits im Jahr 1937 begannen erste Vermessungen und Bauarbeiten. Die Projektierung reichte vom bayerischen Seifriedsburg (Landkreis Main-Spessart) bis in den hessischen Raum bei Bad Hersfeld. Die Trasse sollte über den Höhenzug der Rhön und entlang der fränkischen Saale geführt werden, teils mit gezielten Blickachsen auf landschaftliche Motive wie die Burgruine Homburg.
Bauphase, Technik und Stillstand
Die Arbeiten an der Strecke 46 begannen mit hohem Personal- und Maschineneinsatz. Bis zu 4.500 Arbeiter waren direkt auf den Baustellen beschäftigt, unterstützt von weiteren rund 4.000 Beschäftigten in Zulieferbetrieben. Es kamen moderne Baumaschinen der Zeit zum Einsatz: Dampf- und Dieselloks, Bagger, Kipploren und Raupenfahrzeuge.
Der Bau konzentrierte sich vor allem auf Brückenbauwerke, Dämme, Entwässerungsanlagen und Unterführungen. Rund 30 Kilometer der geplanten Strecke wurden bis zum Herbst 1939 im Rohbau weitgehend fertiggestellt, oft fehlte lediglich die Deckschicht. Insgesamt entstanden dabei 47 Bauwerke, von denen viele noch heute im Gelände sichtbar sind.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurde der Autobahnbau zugunsten militärischer Prioritäten gestoppt. Der offizielle Baustopp erfolgte am 4. Oktober 1939. Die Trasse blieb ungenutzt, viele Materialien wurden abgezogen oder geplündert, teils durch die US-Armee, teils durch die Bevölkerung.
Verlauf und erhaltene Bauwerke
Die Trasse beginnt im unterfränkischen Seifriedsburg und endet bei Rupboden nahe der bayerisch-hessischen Grenze.
Besonders markant ist der hohe Brückenpfeiler bei Schonderfeld an der fränkischen Saale, der als Landmarke der Trasse gilt. Weitere Bauwerke zeigen typische Bautechniken der 1930er-Jahre, darunter Gewölbedurchlässe mit Natursteinverkleidung und aufwändig gemauerte Tunnelröhren. Die technische Ausführung folgt dabei den Standards des Reichsautobahnbaus, jedoch mit für heutige Verhältnisse unzulässig steilen Steigungen von bis zu 6,25 Prozent.
Gründe für das endgültige Aus
Nach 1945 wurde die Wiederaufnahme des Baus mehrfach diskutiert, letztlich jedoch verworfen. Entscheidende Gründe waren:
- Die veraltete Trassenführung mit zu engen Radien und starken Steigungen
- Geänderte verkehrspolitische Schwerpunkte der jungen Bundesrepublik
- Der Verlauf durch das Gebiet der US-amerikanischen Besatzungszone
- Die spätere Planung der A 7 rund 20 Kilometer weiter östlich
Statt die Strecke 46 zu reaktivieren, wurde in den 1960er-Jahren die A 7 als leistungsfähigere Nord-Süd-Achse durch Hessen und Nordbayern gebaut.
Denkmalstatus und heutige Nutzung
Seit 2003 steht die Strecke 46 unter Denkmalschutz. Sie gilt als das längste zusammenhängende Teilstück einer nie in Betrieb genommenen Autobahntrasse in Europa. Einzelne Abschnitte sind heute für Wanderer zugänglich, an markanten Punkten wurden Informationstafeln aufgestellt. Ortsgruppen bieten regelmäßig Führungen an, bei denen die baulichen Überreste erklärt werden.
Einzelne Initiativen bemühen sich um den Erhalt und die Vermittlung der historischen Bedeutung der Strecke, auch mit Blick auf die ideologischen Hintergründe ihrer Entstehung.
Erhaltungszustand und Bedeutung
Die Bauwerke befinden sich trotz mehr als acht Jahrzehnten weitgehend in stabiler Substanz. Die Autobahntrasse hat sich in das Landschaftsbild integriert, teilweise als Biotop, teilweise als Wanderweg. Ihr dokumentarischer Wert liegt in der baulichen Ausführung, aber auch in der ideologischen Zielsetzung des NS-Regimes. Die Strecke 46 steht damit exemplarisch für das Spannungsfeld zwischen technischer Moderne, totalitärer Planung und historischer Erinnerungskultur.