Idealisten oder Spinner?
Sie hießen Serenissima, Rocchi, Neotech, Heidegger, Nègre, Motori Moderni. Auch bekanntere Namen wie Talbot und Subaru gehören dazu. Nur wenige bekamen diese Motoren je zu Gesicht. Einige scheiterten schon am Prüfstand. Alle am fehlenden Geld. Waren ihre Erfinder Idealisten oder Spinner?
Es gab eine Zeit, da war der Motor den Regelhütern wichtiger als das Auto. Bis zur Einführung der Dreiliterformel 1966 betrafen die großen Regeländerungen hauptsächlich den Motor. Auf dem Weg dorthin wurde vier Mal die Hubraum-Grenze geändert. Und die Autos? Erst ab 1961 galt ein Mindestgewicht. Über die Abmessungen machte sich noch keiner Gedanken.
In den 70 Jahren Formel 1 haben 62 Motorkonstrukteure ihr Glück versucht. Nur 19 von ihnen gelang ein GP-Sieg. Es gab Motoren mit 16, 12, 10, 8, 6 und 4 Zylindern, mal in V-Konfiguration, mal in Reihe, auch in der Anordnung eines W, mit und ohne Kompressor, mit Turboaufladung und ohne, mit Kers und Ers und als absoluter Exot eine Gasturbine.
Ein Punkt für den Serenissima
Wir wollen nicht die Technik der einzelnen Triebwerke beleuchten. Dafür ist an anderer Stelle Platz. Hier sollen die Hersteller zu Wort kommen, die keiner kennt, die nur selten oder gar nie am Start standen, weil die rührigen Bemühungen ihrer Konstrukteure am Prüfstand scheiterten. Oder am Geld.
Der beste jener Exoten war ein Motor, der auf den schönen Namen Serenissima hörte. Dabei handelte es sich um einen Rennstall aus Modena, den ein gewisser Graf Volpi Ende der 50er Jahre gegründet hatte. Für 1966 entwickelte Serenissima einen V8-Motor für die Formel 1. Weil McLaren mit dem umgebauten Indy-Triebwerk von Ford auf keinen grünen Zweig kam und frei verfügbare Motoren in der neuen Dreiliter-Formel Mangelware waren, griff der Rennstall nach jedem Strohhalm. Der Achtzylinder aus der Feder von Alberto Massimino mobilisierte zwar nur 280 PS, doch er verhalf Bruce McLaren beim GP England 1966 zu seinem allerersten WM-Punkt.
In eine ähnliche Kategorie gehört der ATS V8-Motor. Die Ferrari-Deserteure Carlo Chiti und Giotto Bizzarini traten 1963 und 1964 vom Wunsch beseelt an, es Ferrari zu zeigen. Es blieb beim Wunsch. Die Abtrünnigen machten sich das Leben dadurch schwer, dass sie nicht nur das Auto, sondern auch den Motor selbst bauten. Der 1,5-Liter-ATS-V8 leiste 185 PS und hinkte den Klassenbesten dieser Zeit etwa 20 PS hinterher. Der Motor war noch das beste in diesem Paket.
Ein Ungetüm mit 72 Zentimeter Breite
Ähnlich mutig war ein weiteres Projekt von Carlo Chiti. Der frühere Ferrari- und Alfa Romeo-Konstrukteur wollte in der Turbo-Ära den großen Herstellern die Stirn bieten und baute einen V6-Turbo unter dem Namen Motori Moderni. Minardi mühte sich zwischen 1985 und 1987 drei Jahre lang mit dem ehrgeizigen Projekt ab, sah aber selten die Zielflagge. Motori Moderni fehlten die Mittel, den Motor nach dem Standard der Werksmotoren zu entwickeln. In seiner besten Version gab der MM VTC-2 Motor 920 PS im Training und 750 PS im Rennen ab. Nicht schlecht für einen privaten Einsatz, aber völlig ungenügend, um damit auf der Rennstrecke zu reüssieren. Zwei achte Plätze waren das beste Ergebnis für die Kombination Minardi-Motori Moderni.
Die gleiche Firma schwatzte Subaru im Jahr 1990 die Entwicklung eines Zwölfzylinder-Motors auf, fand aber zunächst kein Team, weil der 180-Gradmotor eine Breite von stattlichen 72 Zentimeter aufwies. Schließlich schlossen sich zwei Hoffnungslose zusammen. Coloni implantierte das Ungetüm, das Motorentuner Hein Mader einst abfällig „das Kinderbett“ taufte, in sein C3-Chassis. Der Coloni-Subaru schaffte kein einzige Mal die Qualifikation. Der Motor wurde auf 600 PS taxiert. 80 PS weniger als ein Cosworth-DFR.
Genauso aussichtslos war der Versuch des früheren Ferrari-Ingenieurs Franco Rocchi, mit dem ersten W-Motor der Formel 1 Geschichte zu schreiben. Die drei Zylinderreihen à vier Zylinder standen sich im Winkel von je 60 Grad gegenüber. Mit den Abmessungen 578x595x483 war das Triebwerk schön kompakt, allein es fehlte an der Leistung. Rocchi gab 550 PS an. Tatsächlich sollen es 400 PS gewesen sein. Der Rennstall Life gab das Experiment mitten in der Saison 1990 auf und sattelte auf einen Judd-V8 um.
Der Spaßvogel aus der Provence
Die Motoren von Nègre, Neotech und Heidegger sahen nie eine Rennstrecke. McLaren machte bei der Suche nach einem Motorenpartner, der einen Turbo-Motor bauen würde, auch in Liechtenstein Halt. Der Schweizer Motorentuner Max Heidegger hatte in Eigenregie einen aufgeladenen Sechszylinder-Reihenmotor gebaut. Schön schmal, wie es sich McLaren-Chefkonstrukteur John Barnard wünschte. Das Projekt zerschlug sich, weil McLaren mit Porsche eine bessere Lösung fand.
Guy Nègre war ein französischer Motorentüftler, der die Formel 1 1990 mit einem völlig neuen Konzept beglücken wollte. Die 12-Zylinder waren wie ein W angeordnet, und der Motor kam ohne Ventile aus. Den Gasaustausch erledigten Walzenschieber. Es war wohl ein bisschen Louis de Funes bei Monsieur Nègre im Spiel, als er der Formel 1 eine Revolution androhte. auto motor und sport war im Februar 1989 vor Ort in einem Provence-Dorf, als Négres 12-köpfige Mannschaft den W12 auf dem Prüfstand zündete. Der Motor kreischte und dampfte und machte den Eindruck, jede Sekunde auseinanderzufliegen. Bevor es soweit kam, drehte Guy Nègre den Strom ab. Angeblich hätten erste Versuche eine Leistung von 500 PS ergeben.
Das Neotech-Projekt aus Österreich war da schon eine Spur ernsthafter. Rolf-Peter Marlow hatte im Auftrag der Brüder Harald und Manfred Pehr einen V12 mit einem Bankwinkel von 70 Grad und Mittelabtrieb zur Prüfstandsreife entwickelt. Der ehemalige BMW-Rennleiter Dieter Stappert begleitete die Mission seiner Schulfreunde. Angeblich wurden drei Triebwerke gebaut, finanziert vom Windradhersteller Villas-Styria. Walter Brun wollte den 650 PS starken Motor sowohl in den Sportwagen als seinen Formel 1.Autos einsetzen. Doch die dafür benötigten Geldgeber traten nie auf.
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