Ferrari-Pleite bei Malaysia-Finale

In ihren Grand Prix-Tagebüchern liefern die auto motor und sport-Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 15 berichtet Michael Schmidt, was hinter den Kulissen beim GP Malaysia los war.
Malaysia war ein Grand Prix mit Hindernissen. Zwei Tage vor unserer Abreise hatte ich mir den kleinen Zeh am linken Fuß gebrochen. Das Malheur sollte mich fünf Wochen beschäftigen. Die langen Wege im Fahrerlager von Sepang habe ich nur humpelnd zurückgelegt. Als mich Toto Wolff am Freitag sieht, besteht er darauf, dass Teamarzt Luc den Schaden untersucht. Er bestätigt, was ich auch ohne Arzt schon weiß. Der Zeh ist gebrochen, und man kann nicht viel tun, außer ihn mit Tape fixieren.
Zuerst aber mussten wir einmal in Malaysia ankommen. Unsere Reise führt uns über Wien und Bangkok nach Kuala Lumpur. Dort das übliche Chaos am Gepäckband. Es dauert wieder mal ewig, bis Kollege Tobias Grüner und ich unsere Koffer und das Mietauto haben. Wir wissen aber: Es würde das letzte Mal sein.
Finale in Malaysia
Ich war nie ein großer Fan dieses Rennens. Und ich habe alle 19 seit dem Debüt 1999 gesehen. Die Strecke ist okay, vielleicht der beste Retortenkurs der Moderne. Aber irgendwie fehlte dem Rennen in all den Jahren immer die Atmosphäre. Die veröffentlichten Zuschauerzahlen waren alle frech gelogen. Beim letzten Mal waren die Tribünen zum ersten Mal anständig gefüllt. Obwohl ich mir die angegebenen 56.000 Zuschauer auch bei viel Phantasie nicht vorstellen kann.
Die Bedingungen in Malaysia haben sich geändert. Die aktuelle Regierung hat mit Motorsport nichts mehr am Hut. Sie will die Irrsinnspreise, die das Formel 1-Management aufruft, nicht mehr subventionieren. Zum Abschied kommt sogar so etwas wie schlechte Stimmung auf. Der Veranstalter erklärt, er wolle den Grand Prix nicht mal mehr geschenkt. Die MotoGP biete für weniger Geld mehr.
Der neue Formel 1-Chef Chase Carey kontert: „Es gibt noch andere Schauplätze in Asien.“ Das hört sich nach endgültiger Scheidung an. Wie gesagt, ich bin nicht traurig. Schon die 40-minütige Fahrerei vom Hotel zur Rennstrecke und zurück ging mir auf den Wecker. Irgendwie sind wir ja selber schuld. Wir haben das Hotel in all den Jahren aus Bequemlichkeit nie gewechselt.
Neues Maut-System sorgt für Ärger
Neu ist das Mautsystem. Bislang mussten wir immer pro Fahrt 5,40 Malaysische Ringgit berappen, was knapp über ein Euro ist. Ich werde nie verstehen, warum die Mautstationen nicht runde Summen kassieren. Immerhin, man bezahlte Cash. Das gefällt mir. Ich mag den ganzen elektronischen Kram mit Karten und Automaten nicht so.
Ausgerechnet zum Abschied gibt es eine böse Überraschung. Wir müssen eine Mautkarte kaufen und sie so weit vollladen, damit wir fünf Tage über die Runden kommen. Kollege Tobias Grüner von der jüngeren Generation ist sofort begeistert. Ich weniger. Tobi triumphiert zwar, weil sich in den Tagen darauf an den verbliebenen Zahlstellen lange Schlangen bildeten, doch das liegt nur daran, dass jeder seine Karte individuell aufladen lässt, was am Schalter für entsprechend lange Diskussionen und Wartezeiten sorgt.
Das große Thema im Fahrerlager war die Kündigung von FIA-Technikchef Marcin Budkowski. Es wurde gemunkelt, er würde zu einem Team gehen. Doch zu welchem? Am Donnerstag wurden alle Pavillons abgeklappert. Das halbherzigste Dementi kam von Renault. Als die anderen Teams eine Dringlichkeitssitzung bei Williams einberaumten, war klar, dass der in Paris lebende Pole bei den Franzosen anheuern würde. Die Konkurrenz war wenig begeistert.
Bei Ferrari streikt die Technik
Auf der Rennstrecke erwartete uns ein heißer Dreikampf zwischen Mercedes, Ferrari und Red Bull. Mercedes ist am Freitag indisponiert. Die Ferrari fliegen. Sie wollen unbedingt die Schlappe von Singapur wettmachen. Teamchef Maurizio Arrivabene baut schon vor: „Sollten wir diese WM am Ende noch mit Glück gewinnen, haben wir uns das verdient.“
Er wird nicht Glück, sondern Pech haben. Schon am Samstag geht es los. Bei Sebastian Vettel muss nach dem dritten Training wie in Barcelona und Baku der Motor raus. Das vierte Triebwerk streikt nach 7 Kilometern im Q1. Es baut sich kein Ladedruck auf. Ein Riss im Luftsammler ist schuld. Der ist neu, weil Ferrari die Kühlung und die Airbox umgebaut hat, zum dem Motor mehr PS zu entlocken.
Das heißt für Vettel: Keine Rundenzeit, Start von ganz hinten. Ferrari muss Antriebseinheit Nummer 5 zum Einsatz bringen. Wenigstens hat Vettel jetzt genug Motorkomponenten im Pool. Immerhin fährt Kimi Räikkönen auf Startplatz 2. Nur geschlagen von Lewis Hamilton, der sich selbst nicht erklären kann, wie er seinen störrischen Silberpfeil auf die Pole Position stellt.
Brisante Fotos in der Startaufstellung
Die zwei Red Bull fahren im Dunstkreis der Favoriten, etwas näher als sonst. Noch nimmt sie keiner als ernste Siegkandidaten wahr. Doch am Sonntag geht das Drama bei Ferrari weiter. Räikkönen meldet auf der Fahrt zum Startplatz Ladedruckverlust. Vor aller Augen muss Ferrari die Motorabdeckung öffnen. Die Höchststrafe für alle Geheimniskrämer.
Zum ersten Mal sieht man den Motor offen da liegen. Was heißt da Motor? Den V6 erkennt man vor lauter Kabeln, Leitungen, Hitzeschilden und Elektronikboxen gar nicht. Während die Mechaniker bei 32 Grad schwülwarmen Temperaturen verzweifelt nach dem Fehler suchen, richten Fotografen und TV-Kameraleute ihre Linsen unerbittlich auf die Innereien des Ferrari.
Auch Mercedes-Ingenieure schauen interessiert zu. Sie verraten uns später, dass der Ferrari.Sechszylinder noch besser im Auto verpackt ist als ihr eigener Motor. Tobi macht von allen die besten Fotos. Natürlich versuchen die Mechaniker den Fotografen so gut wie möglich die Sicht zu verstellen, doch als Kampfjets der malaysischen Luftwaffe über den Platz donnern, schauen alle Italiener in den Himmel. Und für einen kurzen Moment ist der Blick auf die Herz/Lungenmaschine frei. Trotz aller Anstrengungen muss Räikkönen zuschauen. Die rote Pleitenserie geht weiter.
Hamilton-Siegesserie wird beendet
Im Rennen wird schnell klar, dass Red Bull das beste Auto hat. Max Verstappen bremst Lewis Hamilton nach drei Runden aus und fährt auf und davon. Daniel Ricciardo wird nach einem mittelprächtigen Start noch Dritter. Er wehrt den Angriff von Vettel ab, der sich im Rekordtempo durch das ganze Feld wühlt, am Ende aber massiv Sprit sparen muss.
Ferrari bleibt nur die Erkenntnis: Mit einem normalen Startplatz hätten wir gewonnen. Dass Vettel in der Auslaufrunde noch mit Stroll zusammenstößt und sein Ferrari als Dreirad zum Stehen kommt, setzt dem Pannen-Wochenende die Krone auf. Red Bull hat ab jetzt ein Siegerauto. Erst vier Wochen später erfahren wir warum. Eine unsichtbare mechanische Änderung lässt die Aerodynamikplattform besser arbeiten.
Für uns wird es wieder eine lange Nacht. Als wir endlich im Hotel sind, ist es schon ein Uhr morgens. Zum Glück gibt es gegenüber noch eine Reisküche, die die halbe Nacht Essen serviert. Das Bier müssen wir uns allerdings beim 7 Eleven-Supermarkt nebenan kaufen und unter dem Tisch deponieren. Die Alkohol-Lizenz sparen sich viele Restaurants in dem mehrheitlich muslimischen Land.
Die böse Überraschung kommt, als ich ins Hotelzimmer zurückkehre. Mein Computer hat einen Wasserschaden. Er ist auch am Montag nicht mehr zum Leben zu erwecken. Ich muss mir das iPad von Kollege Grüner ausleihen. Diese Dinger sind leider nicht für meine Finger gebaut. Ich brauche für jede Geschichte doppelt so lang wie üblich.
Am Nachmittag drehen wir noch unsere nächste Folge von „Formel Schmidt“ am Pool des Hotels. Sieht ein bisschen nach Urlaub aus. Aber warum sollen die Daheimgebliebenen nicht mal neidisch sein? Sie wären es nicht, wenn sie unser Programm wüssten. Abgesehen von der halben Stunde für das Video sitzen wir den ganzen Tag im Hotelzimmer und schreiben. Weil wir uns den Dienstag für den Flug nach Japan und den Abend in Tokio freihalten wollen.