Alle Karten auf Leclerc
Die Wege von Ferrari und Sebastian Vettel trennen sich. Beim Fahrer fehlte der Glaube, dass er mit Ferrari noch einmal Weltmeister wird. Bei Ferrari setzte sich die Erkenntnis durch, dass man mit zwei Alphatieren auf keinen grünen Zweig kommt. Die Verpflichtung von Carlos Sainz spricht Bände.
Der eine Satz sagt alles. "Es gab keinen speziellen Grund für diese Entscheidung, außer der gemeinsamen und freundschaftlichen Erkenntnis, dass die Zeit gekommen ist, in Zukunft getrennte Wege zu gehen." Das ist die freundschaftliche Umschreibung dafür, dass sich Ferrari und Sebastian Vettel auseinandergelebt haben.
Jeder hatte seinen persönlichen Grund dafür, die Zusammenarbeit am Ende des sechsten Jahres zu beenden. Bei Vettel fehlte der Glaube, dass Ferrari mit diesem Team und dieser Struktur auf absehbare Zeit noch einmal Weltmeister werden kann.
Ferrari zweifelte daran, dass die Kombination Charles Leclerc mit Sebastian Vettel die optimalen Ergebnisse abwerfen wird. Das Experiment 2019 hat gezeigt, wie problematisch Fahrerpaarungen sind, in der zwei Alphatiere aufeinandertreffen. Mercedes und Red Bull fahren besser mit einem anderen Modell.
Ferrari hat Sebastian Vettel offenbar mit Bedacht ein Angebot gemacht, dass er ablehnen musste. Das bezieht sich nicht auf das Gehalt, wie Vettel in seinem Statement ausführt. Da geht es wohl eher um das Management der Fahrer im Rennen und die Stimmungen im Team für den einen oder den anderen.
Sieben Mal Stallregie
Ferrari hat im letzten Jahr schlechte Erfahrungen mit zwei Fahrern gemacht, die sich nicht in einen Käfig sperren lassen wollten. Der ursprünglich ausgerufene Nummer eins-Status von Vettel war in dem Moment Makulatur, in dem Leclerc dem vierfachen Weltmeister auf der Rennstrecke Konkurrenz machte.
Vettels Formkrise zu Saisonmitte drehte das Bild. Plötzlich war Leclerc Everybody‘s Darling und nicht mehr der Mann, der 14 Rennen für Ferrari gewonnen hat. Leclerc musste für seine eigene Karriere die Galionsfigur stürzen, und Vettel musste genau das verhindern. Und das führte zu Konflikten. Auf und neben der Strecke.
Sieben Mal musste Ferrari zu Stallorder greifen und sie hinterher dem einen oder anderen erklären. Sieben Mal gab es Diskussionen am Funk und schlechte Stimmung danach. In Brasilien kulminierte der interne Wettstreit in einer Kollision, die beide Ferrari aus dem Rennen riss.
Die Fahrer gelobten Besserung, doch Ferrari wusste ganz genau: Es wird wieder passieren. Weil diese Konstellation – junger Löwe gegen alten Platzhirsch – einfach danach schreit. Leclerc ist in seiner zweiten Ferrari-Saison kein ganz so junger Löwe mehr. Er wird seine Interessen noch deutlicher einfordern. Und Vettel ist nicht der Typ, der nachgibt.
Treueschwur an Leclerc
Mit der Vertragsverlängerung für Leclerc bis Ende 2024 setzte Ferrari ein erstes Zeichen. Der Treueschwur über eine so lange Zeit heißt übersetzt: Du bist unser Mann der Zukunft. Das hat auch Vettel so verstanden. Die Besetzung des zweiten Cockpits nach der Trennung von Vettel schreibt die Geschichte fort.
Dem vierfachen Weltmeister und 53-fachen GP-Sieger folgt mit Carlos Sainz ein Mann, der noch nicht einmal einen Grand Prix gewonnen hat. Lewis Hamilton. Das war nur ein kurzes Flunkern zwischen Fiat-Chef John Elkann und dem Superstar. Daniel Ricciardo? Es gab Gespräche, doch die verliefen sich im Sande.
Der achtfache GP-Sieger ist wie Vettel keiner, der sich mit der Nummer zwei-Rolle zufrieden gibt. Dass Ricciardo auch austeilen kann, zeigte er in seinem letzten Red Bull-Jahr. So einen wollte Ferrari nicht. Sainz wird sich erst einmal in das Team seiner Träume einfügen müssen.
Hamilton klare Nummer eins
Wenn Ferrari die Saison 2019 noch einmal Revue passieren lässt und nachrechnet, wie viele WM-Punkte durch interne Zweikämpfe, eingeforderte oder nicht befolgte Stallorder verloren gegangen sind, dann kommen sie bei Vettel auf 18 und bei Leclerc auf 32 Zähler.
Max Verstappen nahm der Teamkollege nur vier Punkte weg. Red Bull musste vom Kommandostand auch nur ein Mal eingreifen, als Pierre Gasly in Silverstone Teamkapitän Verstappen eine Runde zu viel im Weg herumstand. Mit anderen Worten: Leclerc wäre bei optimalem WM-Verlauf im letzten Jahr wenigstens noch Dritter geworden.
Auch bei Mercedes ist die Hackordnung relativ klar. Toto Wolff muss nichts bestimmen. Sie ergibt sich einfach durch die Klasse und die Präsenz von Lewis Hamilton. Der Engländer ist die Nummer eins. Daran muss niemand zweifeln. Valtteri Bottas darf gewinnen, wenn er einen sehr guten Tag erwischt und Hamilton einen nicht ganz so guten.
Das summiert sich für Hamilton über die Saison 2019 gesehen in einem Verlust von 24, für Bottas von 49 Punkten. Doch Mercedes konnte es sich in den letzten sechs Jahren leisten, auf diese Weise Punkte zu verschenken. Wer das beste Auto im Feld baut, hat diesen Luxus.
Schumacher ohne interne Konkurrenz
Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte der Formel 1. Zwei Alphatiere in einem Team gingen immer nur dann gut, wenn das Auto haushoch überlegen war. Wie bei Lotus 1978. Oder bei McLaren 1984, 1988 und 1989. Oder bei Williams 1980 und 1987.
Meistens scheiterte der Versuch, zwei Top-Piloten zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Emerson Fittipaldi und Ronnie Peterson 1973 bei Lotus. Alan Jones und Carlos Reutemann 1981 bei Williams. Nelson Piquet und Nigel Mansell 1986 im gleichen Team. Fernando Alonso und Lewis Hamilton 2007 bei McLaren.
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto wird sich auch an seine frühen Tage bei Ferrari erinnert haben. In den frühen 2000er Jahren arbeitete der 50-jährige Italiener in der Motorenabteilung. Es war die erfolgreichste Zeit der Scuderia mit sechs Konstrukteurs-Titeln und fünf Fahrer-Weltmeisterschaften in Folge.
Ein Baustein zum Erfolg war, dass Michael Schumacher sich um interne Konkurrenz keine Gedanken machen musste. Eddie Irvine, Rubens Barrichello und Felipe Massa waren bestenfalls eine Nummer 1B. Der beste Fahrer kämpfte im besten Auto gegen eine Konkurrenz, die sich selbst zerfleischte. David Coulthard nahm Mika Häkkinen Punkte weg, Juan Pablo Montoya und Ralf Schumacher neutralisierten sich. Was bedeutet das für die Zukunft von Ferrari? Leclerc muss nur noch ein neuer Schumacher werden.