Grand Prix Tagebuch Belgien 2016

In ihren Grand Prix Tagebüchern liefern die auto motor und sport Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 13 berichtet Michael Schmidt, was hinter den Kulissen beim GP Belgien abgegangen ist.
Die Sommerpause tut gut. Endlich mal 4 Wochen keine Formel 1. Ich treibe mich in der Woche vor dem GP Belgien in Pocono herum. Da soll das 500 Meilen-Rennen der Indy-Cars stattfinden. Soll, ist der richtige Ausdruck. Zehn Tage lang lähmt eine Hitzewelle die Ostküste der USA. Nur 4 Stunden lang regnet es. Der Regen beginnt eine Stunde vor dem Start. Bei nasser Fahrbahn dreht sich im Oval kein Rad. Also wird das Rennen auf Montagmittag verlegt.
Ich habe Glück. Mein Rückflug von New York geht um 17 Uhr. So kann ich wenigstens noch die ersten 90 Minuten des Rennens sehen, bevor ich zum Flughafen abdüsen muss. Von Pocono nach New York sind es knapp 2 Stunden Fahrt. Ich bete, dass kein Stau auf dem Weg lauert.
Von Pocono zur Verstappen-Party
Es tröstet mich nicht, dass Mario Andretti das gleiche Problem hat. „Ich muss das Rennen starten. Dann haue ich ab. Mein Flug geht schon um 15 Uhr“, erzählt er mir. Ich sage ihm: „Aber du bist Mario Andretti. Wenn sie dich mit zu hoher Geschwindigkeit erwischen, winken sie dich durch. Mich halten die Cops auf.“ Außerdem hat Mario einen Privatparkplatz direkt am Terminal in Newark. So weit bin ich noch nicht.
Das Rennen in Pocono ist das surrealste, was mir in 35 Jahren Motorsport passiert ist. Ein echtes Geisterrennen. Keine Fahrerpräsentation, keine Paraden, kein Rahmenprogramm, kein Streckensprecher, kein Ticketverkauf. Nur 5.000 Unentwegte auf der riesigen Haupttribüne. Sie hatten offenbar am Montag noch freigenommen.
Um es kurz zu machen: Ich schaffe den Flieger. Einen Tag nach meiner Ankunft fahre ich mit Kollege Grüner im BMW-Testwagen nach Spa. Wir sind schon Mittwochnachmittag an der Strecke. Die ersten Fotos müssen ins Internet. Es kommt uns gleich verdächtig vor, dass uns strahlend blauer Himmel und Temperaturen um die 30 Grad erwarten. Daran ändert sich auch die nächsten Tage nichts. Sind wir wirklich in Spa.
Es fühlt sich an wie Abu Dhabi. An Regen ist gar nicht zu denken. Doch Spa ohne Regen ist wie Oktoberfest ohne Bier. Apropos Bier. Nach der Arbeit am Mittwoch fahren wir zu unserem Supermarkt und kaufen unser belgisches Lieblingsbier ein. Was in diesem Jahr logistische Probleme mit sich bringt. Im Kofferraum des BMW X3 herrschen geschätzte 60 Grad. Dort können wir die Six-Packs unmöglich lagern.
Unser Hotel ist nur unwesentlich besser. Wir wohnen ohne Klimaanlage direkt unterm Dach. Trotzdem schleppen wir das Bier in unsere Zimmer im dritten Stock. Natürlich ohne Aufzug. Da sind sie immer noch besser aufgehoben als im Kofferraum.
Hotel gut versteckt in den Ardennen
An der Eingangstür des Hotels hängt ein Schild „a vendre“. Das heißt „zu verkaufen“. Wir hoffen inständig, dass die Besitzer keinen Käufer finden. Nicht so sehr wegen der Unterkunft. Wir würden hauptsächlich das Essen vermissen. Es ist so gut, dass auch dieses Jahr wieder viele Kollegen besuchen, obwohl die Anfahrt zu dem Hotel selbst mit Navigation ein Suchspiel ist.
Wir mussten schon so manchen die letzten Kilometer per Telefon fernsteuern. Irgendwann wird der Weg so eng, der Wald so dunkel, dass man glaubt, es komme nichts mehr. Und dann kommt erstmal ein Friedhof.
In Spa ist in diesem Jahr nicht nur das Wetter komisch. Es sind auch so viele Leute da, wie ich sie seit 1983 nicht gesehen habe. Max Verstappen macht‘s möglich. Schon am Mittwoch machen wir einen Abstecher auf die Campingplätze. Sie sind voller Holländer. Die sind mit Mann und Maus im Anmarsch. Es sieht aus wie auf einer Outdoor-Messe. Überall Wohnwagen und Zelte. Dazu Frittenbuden, Zapfanlagen, orange Fahnen, sogar ein Swimmingpool.
Mein Kumpel Kees van de Grint, der frühere Bridgestone-Rennleiter, erzählt mir am Freitag, dass er von seinem holländischen Wohnort bis Spa nur im Stau gestanden hat. Normalerweise ist er mit dem Auto schneller in Monza als diesmal in Spa. Wir brechen jeden Morgen sehr zum Leidwesen von Kollege Grüner rechtzeitig auf, damit uns genau das nicht passiert. Die schlimmsten Staus bleiben uns so erspart.
Holländer-Invasion in Belgien
Am Sonntagabend müssen wir solange arbeiten, dass wir das Schlimmste gar nicht miterleben. Unser Fotograf Wolfgang Wilhelm erzählt mir, dass ihn die belgische Polizei zuerst kreuz und quer durchs Land geschickt hat, nur nicht auf die Autobahn. Erst der Formel 1.Ausweis hat die Ordnungshüter überzeugt. Er durfte eine Abkürzung zur Autobahn nehmen.
Das Rennen wird dadurch gewürzt, dass Lewis Hamilton wegen neuer Motoren von ganz hinten starten muss. Zusammen mit Fernando Alonso stehen 5 WM-Titel in der letzten Startreihe. Beide schaffen es in die Punkte. Hamilton auf Platz 3, Alonso auf Rang 7.
Ihnen hilft ein böser Unfall von Kevin Magnussen, der das Rennen für 17 Minuten unterbricht. Nationalheld Verstappen hat keinen guten Tag. Er legt sich mit den Ferrari-Fahrern an und wird nur Elfter. Es ist der Beginn einer langen Feindschaft. Die Zuschauer sind trotzdem happy. Es war eine wunderbare Motorsport-Party. Fast so wie in den alten Tagen.
In der Galerie finden Sie noch einige persönliche Impressionen der auto motor und sport-Reporter vom Geschehen hinter den Kullissen.