Herzschlagfinale Bottas gegen Stroll

Wer auf diesen Zieleinlauf in Baku gewettet hätte, hätte viel Geld verdient. Für Valtteri Bottas und Lance Stroll war das Rennen erst auf dem Zielstrich zu Ende. Bottas flog mit einem Überschuss von 34 km/h heran.
Auf diese drei Männer hätte kein Mensch gewettet. Der Zieleinlauf mit Daniel Ricciardo vor Valtteri Bottas und Lance Stroll hätte eine dreistellige Quote gegeben. Ricciardo kam vom 10. Startplatz. Bottas war nach der Startrunde Letzter. Mit einer Runde Rückstand. Und Stroll stand vielleicht als Punktekandidat auf einigen Tippzetteln, nie und nimmer aber als ein Mann für das Podest.
Bei Ricciardo lässt sich immerhin eine gewisse Regelmäßigkeit feststellen. Der Australier feierte jeden seiner fünf Siege von hohen Startplätzen: 6 – 4 – 5 – 4 -10. Herauszufinden, bei welchem Rennen der letzte Fahrer mit einer Runde Rückstand nach der Startrunde noch auf das Podium gefahren ist, wäre eine schöne Knobelaufgabe für Statistikfreaks. Im Fall Stroll herrscht immerhin Klarheit. Der Kanadier ist mit 18 Jahren und 239 Tagen der zweitjüngste Fahrer nach Max Verstappen, der auf das Podium gefahren ist.
9,5 Meter trennten Bottas und Stroll
Der zweite Platz in Baku entschied sich erst auf den letzten Metern. Bottas entschied das Highspeed-Duell mit einem Vorsprung von 0,105 Sekunden oder 9,5 Metern. Warum der Finne den Williams noch abfangen konnte, ging im Jubel über die Platzierungen unter. Lance Stroll schien es ziemlich egal zu sein, ob er Zweiter oder Dritter geworden ist. „Ich bin sprachlos. Ein Traum ist wahr geworden.“ Der Kanadier ist endgültig in der Formel 1 angekommen. Keiner wird ihn mehr nach den Milliarden seines Vaters fragen.
Bottas strahlte im Ziel. „Ich wusste eingangs der Geraden, dass ich Stroll noch kriegen konnte.“ Ab da galt: Augen zu und durch. „ Ich wusste nicht genau, wo der Zielstrich liegt. Deshalb bin ich die ganze Gerade voll auf dem Gas geblieben.“ Zur Erklärung: Der Zielstrich auf den Baku City Circuit liegt 104 Meter vor der Startlinie.
Bottas erreicht Stroll erst 115 Meter vor dem Ziel
Die Mercedes-Ingenieure erklärten das Überholmanöver in letzter Sekunde mit drei Faktoren: Bottas aktivierte die Power aus einem vollgefüllten Elektrospeicher, er profitierte vom Windschatten und er hatte auf den letzten 610 Metern vor dem Zielstrich den Vorteil von DRS. In Kurve 20 war der Mercedes-Pilot zum ersten Mal in das DRS-Fenster von Stroll geraten. 347 Meter später durfte er den Heckflügel flachstellen. Doch die gleichen Parameter galten auch für Lewis Hamilton im Duell mit Sebastian Vettel. Der Ferrari-Pilot wehrte den Angriff von Hamilton locker mit 0,212 Sekunden Vorsprung ab.
Wir haben uns die Geschwindigkeiten der letzten Runde auf dem Zielstrich besorgt. Stroll wurde dort mit nur 311,9 km/h gemessen. Bottas dagegen mit 346,0 km/h. Der Mercedes liegt erst 115 Meter vor dem Zielstrich gleichauf mit dem Williams und gewinnt auf der kurzen Restdistanz noch 0,105 Sekunden auf ihn. Obwohl er da wieder den vollen Luftwiderstand abkriegt. Gab es da etwa noch einen dritten Faktor, der erklären würde, warum der Kanadier auf so kurzem Raum so viel Zeit verliert, oder anders gesagt, warum der Mercedes um 10 Prozent schneller ist als der Williams?
In ihren Bestwerten lagen Bottas und Stroll auf dem Zielstrich gar nicht so weit auseinander. Bottas wurde mit 354,4 km/h gemessen, Stroll mit 348,8 km/h. Deshalb wirkt die Speed-Differenz von 34,1 km/h auf den ersten Blick verdächtig hoch. Der DRS-Vorteil erreicht mit der Flügelversion von Montreal kaum die 20 km/h. Wo also ging die Zeit verloren? Da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder war der Energiespeicher im Williams leer, oder Stroll ging zu früh vom Gas.