Interview mit Sebastian Vettel
Sebastian Vettel blickt auf ein Jahr zurück, in dem er auf einem guten Weg zum WM-Titel war, dann aber falsch abgebogen ist. Der Ferrari-Pilot spricht über die Hintergründe der Technikpannen und eine Serie unerklärlicher Ausrutscher.
Sie sind noch im Zeitplan. Michael Schumacher ist auch erst im fünften Jahr mit Ferrari Weltmeister geworden. Beruhigt Sie das?
Vettel: Ich kam ja schon mit zwei Titeln Vorsprung zu Ferrari. Damit will ich mich eigentlich nicht vergleichen, obwohl ich verstehe, dass der Vergleich irgendwo naheliegt. Beide deutsch, beide zu Ferrari, beide vier Jahre ohne Titel. Wenn wir dann mal gewinnen, dann können wir drüber reden. Dann wäre für mich die Hälfte der Titel vom Michael auch okay.
Wie sieht Ihr Resümée nach vier Jahren Ferrari aus?
Vettel: Das ist schwer auf den Punkt zu bringen. Das Team hat sich in dieser Zeit sehr entwickelt. Die Mannschaft von heute ist deutlich stärker und gefasster als vor vier Jahren. Anfangs war alles sehr zerstückelt, jetzt eine Einheit. Der Erfolg gibt uns gewisser Weise Recht, auch wenn der ganze große Erfolg noch ausgeblieben ist. Wir haben aber gerade in den letzten Jahren gezeigt, dass dieses Team Potenzial hat. Wir hatten schon 2017 ein sehr gutes Auto und haben dieses Jahr die Ziele so umgesetzt, wie wir uns das vorgenommen hatten. Im Rückblick hätte man sich sicher gewünscht, dass manches ein bisschen schneller geht, aber der Trend ist positiv, auch wenn wir noch nicht dort angekommen sind, wo wir hinwollen.
Waren sie letztes oder dieses Jahr näher am Titel dran?
Vettel: Man würde zu diesem Jahr tendieren, aber beide Jahre sind überraschenderweise sehr ähnlich. Letztes Jahr hat uns die Motorleistung gefehlt. Das Auto war gut, aber zu ineffizient auf gewissen Strecken. Dieses Jahr war die Aerodynamik effizienter. Mit dem Motor waren wir näher an Mercedes dran, aber vom Auto noch nicht da, wo wir hätten sein müssen.
In gewissen Phasen der Saison hatte Ferrari aber das bessere Paket.
Vettel: Was heißt dominant? So dominant wie Mercedes in Spanien, Frankreich oder Russland war, solche Rennen hatten wir leider nicht. Wir hatten keinen Doppelsieg und zwei Mal die erste Startreihe. Das war im letztes Jahr anders. Deshalb sind beide Saisons unter dem Strich doch recht ähnlich.
Waren es die drei Rennen in Singapur, Sotschi und Suzuka, die Ferrari das Genick gebrochen haben?
Vettel: Die haben uns natürlich viele Punkte gekostet, aber insgesamt war der Speed noch nicht so da, wie er hätte da sein müssen. Sonst wären wir auch nicht in Situationen gekommen, in die wir teilweise gekommen sind.
Ist es Zufall, dass es immer nach der Sommerpause passiert?
Vettel: Ich glaube schon. Natürlich müssen wir an uns arbeiten. Vielleicht war bei uns nach den Rennen, in denen es nicht so gelaufen ist, die Anspannung zu groß. So kommt dann schnell eines zum anderen. Wenn man einmal Probleme am Bein hat, ist es nicht so einfach, die wieder loszuwerden.
Mercedes schlägt nach jeder Niederlage sofort wieder zurück. Bei Ferrari hat es drei Rennen gedauert. Ist da die Reaktionszeit zu lang?
Vettel: Sicher ist da viel Zeit verloren gegangen, aber es war für uns auch schwer zu erkennen, wo der Fehler steckte. Wir mussten ja einen guten Schritt zurückgehen, damit wir auf der Strecke wieder die Leistung bringen können. Deshalb sind wir zuletzt auch nicht auf dem gleichen Entwicklungsstand wie unsere Gegner gefahren. Ich weiß nicht, wo die Probleme bei Mercedes lagen, wenn sie mal welche hatten. Vielleicht war es für sie einfacher, den Weg zurück zu finden.
War der Tod von Ferrari-Präsident Marchionne ein Einschnitt? Er war ja doch irgendwie die ordnende Hand im Hintergrund.
Vettel: Was man nicht machen darf, ist zu sagen: Ab dem Moment ging es bergab. Das wäre nicht fair gegenüber dem Team. Natürlich war der Präsident irgendwie eine ordnende Hand, doch das was uns nach der Sommerpause passiert ist, wurde ja schon vor dem Tod des Präsidenten geplant. Das Rennteam hat sich im Tagesgeschäft schon ziemlich abgekapselt und eigenständig gehandelt. Da wurde nachher nichts mehr abgewandelt oder gestoppt. Entscheidend wird sein, was in den nächsten Monaten passiert. Erst dann kann man sich von außen ein Bild machen, welchen Einfluss das Fehlen dieser zentralen Figur hatte.
Gab es diesen einen Augenblick der Wende im Titelkampf? Der Unfall in Hockenheim vielleicht, oder die Niederlage in Monza?
Vettel: Ich muss nach so einem Unfall wie in Hockenheim mit mir klarkommen. Das war wirklich dumm gelaufen. Ein kleiner Fehler mit riesigen Auswirkungen. Ich habe nicht versucht zu attackieren, hatte mir keine Gedanken gemacht, wer hinter mir fährt, wie groß mein Vorsprung ist, ob ich gewinne oder nicht. Ich habe mich einfach auf mein Rennen konzentriert, von Kurve zu Kurve geschaut, gerade bei den Umständen mit immer mal wieder Regen. Ich war da wirklich nur einen Tick zu spät dran, schalte runter, die Hinterachse bleibt stehen. Ich rutsche ein Stück geradeaus, konnte nur eine Korrektur machen, und dann war ich schon auf dem Grünstreifen und mit einem Rad im Kiesbett. Der Speed war ja auch nichts. Ich konnte es im ersten Augenblick nicht fassen. Klar, habe ich da viele Punkte liegengelassen. Ich glaube, dass die Stärke von Mercedes dieses Jahr darin lag, unsere Schwächen maximal auszunutzen und in genau den Rennen zurückzuschlagen. Gleichzeitig haben sie allen erzählt, dass unser Auto so dominant ist und so versucht, den Druck auf uns zu erhöhen. Ich sehe das anders. Unser Auto war nicht dominant. Wir hatten unsere Chancen. Die meisten davon haben wir genutzt. Doch unter dem Strich hat eben etwas gefehlt.
Welche Rolle spielt da die Psychologie zwischen den beiden Hauptdarstellern im WM-Duell?
Vettel: Ich halte nicht viel von diesen Psychoduellen. In den vergangenen Jahren habe ich mich aus diesem 1:1 Duell, wie es das in der Vergangenheit zwischen manchen Fahrern gab, ziemlich herausgehalten. Das hat mich nie so tangiert. Ich bin auch nicht der, der irgendwelche Giftpfeile abgeschossen hat.
Sie hatten für Ihre Verhältnisse relativ viele Ausrutscher. Was lief da schief?
Vettel: Viele der Situationen waren 50 zu 50. In Monza hätte es auch Lewis treffen können. Er hat zu dem Zeitpunkt nicht gesehen, dass ich schräg hinter ihm lag. Lewis ist ja auch nicht der Typ, der ohne Rücksicht auf Verluste reinsticht und die Tür zumacht. Ich wollte der Kollision aus dem Weg gehen, konnte mich aber nicht in Luft auflösen. Im Nachhinein hätte ich vielleicht lieber auf dem Gas bleiben und uns beide rausnehmen sollen. Dann drehe ich mich weg, und er kommt davon. Mein Auto ist beschädigt, seines nicht. So was passiert halt leider. Ich war in diesem Jahr öfter am falschen Ort.
Die Computer-Kids wie Verstappen fahren in ihrer Freizeit Rennen auf der Playstation. Die haben jede Rennsituation schon 1000 Mal durchgespielt. Ist das ein Vorteil in solchen Momenten?
Vettel: Das ist Blödsinn. Dann müsste ich ein super Fußballspieler sein. Wenn ich auf der Playstation etwas spiele, dann Fußball. Das hat mir bis jetzt noch nicht geholfen. Oder wer sich die ganze Zeit James Bond-Filme anschaut, müsste der geborene Geheimagent sein.
Die ganze Welt scheint nur noch digital zu funktionieren. Gut oder schlecht?
Vettel: Auf den Sport bezogen hilft uns die Rechenleistung des Computers enorm. Nur so können wir diese Autos so bauen, wie wir sie jetzt haben. Generell stehe ich dem Ganzen sehr skeptisch gegenüber. Das Modell ist nicht wirklich zukunftsweisend, wenn wir uns jetzt selber abschaffen. Das wird spannend, wie weit wir da gehen. Am Ende muss aber jeder selber entscheiden, in wie weit man sich dieser digitalen Welt hingibt oder auch nicht.
Sie sind der einzige Fahrer, der nicht auf diesen digitalen Plattformen unterwegs ist. Keine Lust selbst zu steuern, wie man sich ins Schaufenster stellt?
Vettel: Die Plattform machen genau das Gegenteil dessen, was sie vorgeben. Sie zeigen ja nicht das wirkliche Bild. Wenn man mal Millionen Follower hat, dann geht kein Foto mehr unzensiert raus. So als würde man glauben, die Personen aus dem Fernseher zu kennen. Es ist eine Selbstdarstellungsbühne, mit der sich Geld verdienen lässt. Der Nutzer erfährt nicht wirklich etwas. Es fällt in die Sparte Unterhaltung.
Wundert es Sie, dass ausgerechnet ihr sonst so introvertierter Teamkollege Kimi Räikkönen plötzlich dieses Spiel mitspielt?
Vettel: Ja, schon. Mittlerweile lässt sich da offenbar sehr viel Geld verdienen. Es ist eine Art Währung geworden.
Wollen Sie da nicht mit verdienen?
Vettel: Ich habe kein Bedürfnis mich mitzuteilen. Warum soll ich den Leuten sagen, wo ich jetzt gerade bin? Das frisst nur Lebenszeit. Ich will keinen kritisieren, der das macht. Jeder hat die Freiheit, das zu tun, was er will, aber meine Welt ist das nicht. Bei diesem Wettlauf mache ich nicht mit.
In der Formel 1 hat die Datenflut ihre Vorteile. Wäre dieser Sport ein anderer, wenn er sich nur auf das Feedback der Fahrer und der Rundenzeiten verlassen müsste?
Vettel: Ich denke schon. Natürlich geben uns die Daten die Möglichkeit, alles viel schneller zu erörtern und schneller zu einem konkreten Bild zu kommen. Ist das immer besser? Will man das? So hat sich die Welt entwickelt, und der Sport kann sich dem nicht verschließen. Nicht nur die Formel 1, die ja immer sehr Technik affin war. Auch andere Sportarten sind mittlerweile eine Wissenschaft geworden. Jetzt, wo dieses Wissen da ist, kann man sich dem nicht mehr entziehen. Ich bin trotzdem der Meinung, dass es dem Sport gut tun würde, wenn man ihn vereinfachen würde.
Stehen die technischen Möglichkeiten den Ingenieuren nicht manchmal im Weg, weil man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht? Wäre Ihr Aerodynamikproblem früher entdeckt worden, wenn man mit gesundem Menschenverstand rangegangen wäre?
Vettel: Ja und nein. Wenn viele Parameter wegfallen, verlässt man sich auf das, was übrig bleibt. Das Feedback des Fahrers würde dann eine zentralere Rolle spielen. Es kann schon sein, dass man das Gesamtbild mal aus dem Auge verliert, wenn man zu viele Informationen hat und sich auf jedes Detail konzentriert. Anderseits kann man auch argumentieren, dass wir gar nicht an diesen Punkt gekommen wären, hätten wir die technischen Möglichkeiten nicht. Für die einzelne Entscheidung hier und da wäre es aber schon der schnellere Weg, dass man mehr dem Fahrer zuhört. Der Input des Fahrers gibt dem ganzen etwas, was der Sensor nicht geben kann. Gefühle kann man nicht messen.
Ihnen sind zwölf Zylinder lieber als 120 Kilowatt aus der Batterie. Haben Sie Angst, dass wir in zehn Jahren nicht mehr mit den Autos fahren dürfen, mit denen wir aufgewachsen sind?
Vettel: Irgendwann werden diese Autos, die wir lieben, nicht mehr gebaut werden. Damit muss man sich abfinden. Ich glaube aber trotzdem, dass man mit den alten Autos noch herumfahren darf. Alles andere wäre ja ein Verbrechen.
Sind Sie schon mal ein Elektro-Auto gefahren?
Vettel: Ja, vor ein paar Jahren mal. Ich bin jetzt auch kein Gegner davon, was den Transport von A nach B angeht. Ich glaube aber nicht, dass Elektroautos alle Probleme dieser Welt lösen. Meiner Meinung nach ist es die falsche Technologie. Zu aufwendig, zu teuer, auch nicht so sauber wie man sie macht. Denken Sie an das Problem der Entsorgung der Batterien. Weil es vor Ort nicht stinkt, gefällt es im Moment. Aber es stinkt halt woanders.
Und im Motorsport?
Vettel: Man muss das trennen. Was wir machen, ist Unterhaltung. Und da gehören Emotionen dazu. Wenn auf einem Rockkonzert nur eine Laser-Show geboten wird, fehlt etwas. Ich gehe da wegen der Musik hin. Es ist dann die Frage, welche Show jeder einzelne sehen will.