Kommentar zum Abschied von Audi aus WEC und Le Mans
Nun ist es also raus: Audi steigt aus der Sportwagen-WM aus und verabschiedet sich damit auch vom größten technologischen Schaufenster im weltweiten Motorsport, dem 24h-Rennen in Le Mans – nach 18 Jahren. Wir analysieren die Gründe für den Ausstieg und die Folgen für die Sportwagen-WM.
Nichts ist so beständig wie der Wandel – das gilt auch im Motorsport. Wobei gerade Audi im Langstreckensport dieses eherne Grundgesetz außer Kraft gesetzt zu haben schien: Unfassbare 18 lange Jahre startete die Ingolstädter Sportabteilung in der Top-Prototypenklasse LMP1. Dabei wurden in Le Mans 13 Gesamtsiege errungen, dazu insgesamt mehr als 100 Rennsiege, und dutzende Meisterschaften eingefahren, darunter auch zwei WM-Titel. Jetzt ist also plötzlich Schluss damit ( Artikel).
Audi-Rückzug war absehbar
Plötzlich? Nein, denn der Rückzug war absehbar, auch wenn das von Audi in den letzten Wochen immer wieder bestritten wurde. In Summe sprechen drei Gründe gegen eine Fortsetzung: Warum soll der VW-Konzern erstens zwei Marken – Audi und Porsche – in Le Mans gegeneinander antreten lassen? Das bedeutet im Optimalfall, dass man 150 Millionen Euro für den Gesamtsieg beim wichtigsten Langstreckenrennen der Welt investiert hat, und weitere 150 Millionen für eine Niederlage. Dasselbe gilt für die Sportwagen-WM.
Warum soll man zweitens weiter mit Diesel in Le Mans antreten? Die Dieseltechnik steht nicht nur wegen des VW-Abgasskandals (und des Audi-Abgasskandals beim 3-Liter-TDI) unter Druck ( Artikel), sondern auch deshalb, weil die Diesel-Ära wegen der NOx-Belastung schneller vorbei sein könnte, als viele denken oder hoffen. Experten behaupten, dass der Diesel ab 2024 tot ist – spätestens. Folglich macht es keinen Sinn, im Rennsport weiter die Werbetrommel für die Dieseltechnik zu rühren. Und auf den Benziner kann man nicht wechseln, sonst würde man mit einer Porsche-LMP1-Kopie fahren.
Und warum soll drittens eine Firma wie Audi, die mit rasender Geschwindigkeit von der gefeierten Cash-Cow im Premium-Segment zum Schwarzen Schaf der Branche abstürzte, weiter in Le Mans die Kohle verballern? Audi steht aktuell viel stärker unter Druck, als es der Öffentlichkeit bekannt ist, vor allem finanziell. Da sind erstens die Belastungen aus dem Abgasskandal, zweitens die nachlassende Attraktivität der Modellpallette und drittens schwebt über Ingolstadt die schwarze Rußwolke des Niedergangs, wenn der angesprochene Paradigmenwechsel bei der Dieseltechnik durchschlägt – aktuell liegt die Dieselquote bei Audi-Neuwagen im Bereich von über 60 Prozent. Da helfen also nur zwei Sachen: Eine radikale Umorientierung und extreme Sparmaßnahmen. Gespart wird bei Audi aktuell flächendeckend und radikal – eben auch im Motorsport.
Audi: Haltlose Zukunftsstrategie?
Es macht also Sinn, dass Audi jetzt den Stöpsel zieht, so bedauernswert die Entscheidung auch aus sportlicher Sicht sein mag. Das alte Konstrukt Audi steht vor dem größten Umbruch der Unternehmensgeschichte, darauf verweist auch Audi-Boss Rupert Stadler in der offiziellen Begründung für den WM-Ausstieg. Leider ist jedoch die angebliche radikale Umorientierung im Motorsport bestenfalls als fadenscheinig einzustufen. Man macht jetzt werksseitig Formel E statt Sportwagen-WM. Wirklich?
Erstens liegt Audi bei der angeblich unausweichlichen Elektrifizierung des Automobils weit hinter Hauptkonkurrenten wie BMW zurück, Leuchtturmprojekte wie der Audi R8 e-tron wurden eingestellt. Zweitens lernt man in meinen Augen in der Formel E wenig bis gar nichts über Elektrifizierung, weil die zentralen Komponenten Einheitsbauteile sind und eine technische Entwicklung in weiten Bereichen untersagt ist. Ironischerweise lernt man in der LMP1-Klasse mehr über die Hybridisierung als in der Formel E über die Elektrifizierung. Und in Wahrheit wechselt Audi nur, weil die Formel E viel günstiger ist.
Und drittens ist die Elektrifizierung im Straßenverkehr nicht der alleinige Heilsbringer für die Umwelt. Der Autoverkehr ist für 12 Prozent der Umweltbelastungen in Deutschland verantwortlich, 60 Prozent gehen aufs Konto der Großindustrie, über 20 Prozent wird von den privaten Haushalten erzeugt. Die Akzeptanz der Elektrifizierung verharrt in Deutschland nahe der Null-Linie, der Marktanteil liegt bei weit unter einem Prozent. Und die CO2-Bilanz ist nicht so günstig, wie Zero-Emission vermuten lassen würde, weil die gesamte CO2-Bilanz stark am Kraftwerkmix des entsprechenden Landes hängt. Und so weiter, und so weiter…
Audi-Boss Stadler behauptet: „Wenn unsere Serienautos mehr und mehr elektrisch werden, müssen das unsere Motorsport.agen als technologische Speerspitze von Audi erst recht sein.“ Ich behaupte: Wenn der Satz stimmen sollte, was ich bezweifle, dann hätte man als erstes das DTM-Programm einstellen müssen, denn dort wird mit Steinzeit-V8-Saugmotoren aus der Vor-Downsizing-Ära gefahren, die noch nicht einmal über eine Direkteinspritzung verfügen. Die Einführung von Turbomotoren wurde auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben, und eine Hybridisierung steht gar nicht erst auf der Agenda. In einem Satz: Die „neue“ Audi-Strategie entbehrt jeder Logik, ergo handelt sich um Marketing-Phrasen. Audi hat kein Geld mehr, um es in der LMP1-Klasse zu verballern – das ist die Wahrheit.
Wackelt jetzt auch die Sportwagen-WM?
Was bedeutet nun der Ausstieg für die Sportwagen-WM und für Le Mans? Ganz sicher ist der Wegfall von Audi als massiver Rückschlag zu werten – formal, faktisch und emotional. Formal, weil der WM-Vertrag zwischen dem Le-Mans-Veranstalter ACO und der Weltmotorsportbehörde FIA ein Minimum von drei LMP1-Herstellern vorsieht – jetzt sind mit Porsche und Toyota aber nur noch zwei Marken vertreten.
Der Audi-Rückzug ist auch ein faktischer Rückschlag für die WM. Zwar steht mit Peugeot ein weiterer Interessent parat, doch der kann jetzt dem ACO die Bedingungen für den Einstieg diktieren. In Summe verliert die 2012 neu etablierte Sportwagen-WM mit dem Audi-Rückzug massiv an Fahrt und Rückenwind. Diskussionen wie die Kostendeckelung im LMP1-Sport werden jetzt wieder verstärkt geführt werden müssen, um einen dritten Mitspieler anzulocken.
Und zu guter Letzt und ganz lapidar gibt es da noch die emotionale Komponente: Kann man sich Le Mans ohne Audi und das Joest-Team überhaupt vorstellen? Wie sollen wir ohne den Joest-Teamdirektor Ralf Jüttner die Strategie verstehen, die er uns für gewöhnlich zwischen zwei Kippen messerscharf sezierte? Was machen wir bloß ohne den Audi-Motoren-Papst Ulrich Baretzky, ohne dessen Leuchten mit der Taschenlampe wir die Technik bis heute nicht kapiert hätten? Was machen wir ohne Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich, der mit Engelsgeduld auch unwissenden Tagezeitungs-Journalisten im perfekten Französisch die Welt der Prototypen erklärte? Eines ist sicher: Wir werden Audi vermissen! Aber leider ist nichts so beständig wie der Wandel.