Todeskurve namens „Six Frères“

Rouen war eine der gefährlichsten Rennstrecken im GP-Kalender. Besonders eine Kurve rang allen Fahrern Respekt ab. Heute erinnert nur noch eine Bushaltestelle daran, dass hier mal Autorennen stattfanden. Wir haben uns vor Ort umgesehen.
Der Grand Prix von Frankreich befand sich immer auf Wanderschaft. In den ersten 15 Jahren wechselten sich Reims und Rouen ab. Später kamen Clermont-Ferrand, Bugatti, Paul Ricard, Dijon-Prenois und Magny-Cours dazu. Rouen zählte neben Clermont-Ferrand zu den Fünfsterne-Prüfungen der Formel 1. Ein Monster mit wechselnden Streckenlängen, mitten im Wald, bergauf, bergab, mit wirklich grimmigen Kurven, die auch einen hohen Blutzoll forderten.
Die Rennstrecke bestand wie Reims und Clermont-Ferrand aus öffentlichen Straßen. Kernstück war die D938 von Rouen nach Elbeuf. Auf einem Bergrücken befand sich Start und Ziel. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Sechs Jahre nach dem letzten Rennen 1993 wurden die Boxenanlage und die Haupttribüne abgerissen.
Einziger Zeuge, dass hier einmal eine Rennstrecke stand, ist die Bushaltestelle der Linie 32 mit dem Stationsnamen "Circuit Auto". Ab dann beginnt schon der Stilbruch. Das zwei Kilometer lange Bergabstück ist 24 Jahre nach der Schließung durch Pylonen in der Mitte der Straße entweiht.
Die Natur hat sich die Freiflächen links und rechts neben der Strecke, die früher einmal als Zuschauerplätze genutzt wurden, wieder zurückgeholt. Der Streckenabschnitt bis zur Nouveau-Monde-Haarnadel, dem tiefsten Punkt der Strecke, ist heute ein dunkler Tunnel in einem dicht wuchernden Wald.
Todesserie in "Six Frères"
Nach der Kuppe am Ende der Zielgeraden schlängelt sich die Straße in lang gezogenen Bögen steil den Berg hinunter. Rechts, links, rechts, links. Alles praktisch voll. Filmaufnahmen und Fotos zeigen Juan-Manuel Fangio 1957 in seinem Maserati 250F in einem gepflegten Drift auf dem Höllenritt Richtung Nouveau Monde, die aus einem langen Linksbogen heraus angebremst werden musste. Auf der rechten Seite schützte eine einfache Leitplanke die Autos davor, in den Wald zu rasen. Links stand drohend eine monströse Böschung.
Eine der vier Kurven erlangte traurige Berühmtheit. Sie hieß "Six Frères". In der 260 km/h schnellen Rechtskurve starben 1968 Jo Schlesser, 1970 der Formel-3-Pilot Denis Dayan und 1973 Formel-2-Fahrer Gerry Birrell. Dayan und Birrell wurden die nach dem Schlesser-Unfall installierten Doppelleitplanken zum Verhängnis. Beide rutschten unter der oberen Leitschiene durch.
Birrells Unfall ereignete sich im Training. Die Fahrer erzwangen daraufhin eine provisorische Schikane aus Styroporblöcken, die sich aber während des Rennens nach zahlreichen Kollisionen mehr oder weniger auflösten.
Das Ende von Rouen./strong>
Der Tod von Schlesser beendete das Kapitel Formel 1 in Rouen. Es ging mit der Formel 2 und Formel 3 weiter. Auch mit großen Verlusten. Der Formel-3-Lauf am 28. Juni 1970 ging als schwarzer Sonntag in die Geschichte des Motorsports ein. Denis Dayan starb in der Six Frères-Kurve, Jean-Luc Salomon in La Scerie. Bob Wollek flog in den Wald und wurde schwer verletzt.
1974 rang der Veranstalter dem Berg auf der linken Seite ein wenig Platz für eine ordentliche Schikane vor der Todeskurve ab. Doch die großen Rennserien waren für Rouen aufgrund der Sicherheitsmängel nicht mehr zu retten. 1978 war zum letzten Mal die Formel 2 in der Normandie zu Gast. Danach fanden nur noch nationale Rennen statt.
Zurück zur Strecke selbst: Die Nouveau Monde-Haarnadel war zunächst der einzig permanente Teil einer nicht permanenten Strecke. Das 50 Meter lange Verbindungsstück zwischen der D938 und der D132 trug bis zuletzt einen Kopfsteinpflasterbelag. Heute ist es asphaltiert.
Von dort schlängelt sich die Strecke wieder den Berg hinauf. Zuerst schnell, dann in einer scharfen Links/Rechts-Kombination. Auf der Anfahrt zur Samson-Kurve kam es 1968 zu der berühmten Szene, als der gestrandete Graham Hill seinem Kollegen Jo Siffert mit seiner Rennbrille aushalf. Siffert sah Hill am Streckenrad stehen und hielt kurz an.
Aus Rennstrecke wird Straßenstrich./strong>
Oben am Berg angelangt, führte eine Rechtskurve auf der Urversion des Kurses in eine knapp einen Kilometer lange Gerade, die sich auf Höhe der Boxeneinfahrt mit der Zielgeraden traf. Sie ist heute, man wagt es kaum zu sagen, ein Straßenstrich.
1955 erweiterte der zuständige ACN den Kurs, in dem er die Gegengerade bis zur Route National 138 verlängerte. Die führte dann in den zwei ultraschnellen Rechtskurven La Serie und Paradis zurück zu Start und Ziel.
Als 1971 die Bundesstraße zur Autobahn A13 aufgewertet wurde, musste eine neue Lösung her. Das schnelle Geschlängel mitten durch den Wald entstand zwischen der ersten und zweiten Version und verkürzte die Streckenlänge wieder von 6,542 auf 5,543 Kilometer. Diese Variante wurde mittlerweile wieder renaturiert.
Eigentlich war Rouen eine schnelle Rennstrecke, was aber in den offiziellen Zahlen nie richtig zur Geltung kam. Der letzten Grand Prix 1968 war ein Regenrennen. So muss die Pole Position von Jochen Rindt auf Brabham-Repco aus dem gleichen Jahr herhalten, um zu zeigen, wie atemberaubend die Achterbahn vor den Toren von Rouen wirklich war. Seine Runde von 1.56,1 Minuten bedeutete einen Schnitt von 202,853 km/h.
Streckendaten
- Lage: 10 km, südlich von Rouen
- Länge: 6,542 km (1955-1971)
- Breite: 9,0 m
- Rechtskurven: 9
- Linkskurven: 4
- Schnellster Teil: Ligne Droite des Tribunes
- Langsamster Teil: Virage du Nouveau Monde
- Streckenvarianten: 5,100 km (1950-1954) / 5,543 km (1972-1993)