Mercedes mit auf der Anklagebank
Renault hat gegen die Mercedes-Kopie protestiert. Das war zu erwarten. Trotzdem ergeben sich Fragen. Warum gerade jetzt? Warum ausgerechnet die Bremsbelüftungen? Und wie kann Mercedes da mithineingezogen werden?
Die Beziehung zwischen Renault und Racing Point ist seit einem Jahr gestört. Dabei waren beide Teams einmal Verbündete im Kampf gegen die B-Teams, die bei einem Hersteller den Großteil des Autos einkaufen. Damals hieß der gemeinsame Gegner Haas. Inzwischen redet keiner mehr über den US-Ferrari. Der Streit entzündet sich an dem neuen Racing Point. Der RP20 sieht aus wie eine pink lackierte Kopie des Mercedes W10 aus dem Jahr 2019.
So konsequent hat bis jetzt noch kein Team bei einem anderen abgekupfert. Wenn es denn beim Kopieren nach Augenschein geblieben ist. Dass Racing Point das Lager gewechselt hat, zeigte sich schon letztes Jahr beim GP Japan. Da reichten die Engländer einen Protest gegen die Bremskraftverteilung im Renault R.S.19 ein. Und Racing Point gewann den Prozess. Was Renault wichtige Punkte im Kampf um Platz 5 in der WM gekostet hat.
Nach dem Grand Prix der Steiermark feuerte Renault zurück und protestierte gegen Racing Point wegen Verletzung der Paragrafen 2.1 und 3.2 sowie Anhang 6 im Sportgesetz. Dabei geht es darum, das bestimmte Komponenten von jedem Team selbst konstruiert werden müssen und nicht von einem anderen Teilnehmer eingekauft werden dürfen oder mit dessen Hilfe einfach kopiert werden dürfen.
Mehr als eine Retourkutsche
Der Protest von Renault ist mehr als nur eine Retourkutsche gegen Racing Point wegen des Suzuka-Vorfalls. Hier geht es um ein Grundsatzurteil. Renault und McLaren laufen seit zwei Jahren Sturm gegen die Politik der drei Top-Teams, sich Satelliten zu halten, die sie technisch und politisch abhängig machen. Renault schimpft etwas lauter, McLaren etwas diskreter.
Beide treibt die Angst um, die Kopien der Werksautos könnten am Ende schneller sein als ihre eigenen Autos, die von der ersten bis zur letzten Schraube selbst gebaut sind. Was nicht nur aufwändiger, sondern auch teurer ist. Racing Point, Alpha Tauri oder Haas können sich auf das Wesentliche konzentrieren, und das ist die Aerodynamik. Doch Racing Point steht jetzt im Verdacht, auch hier Anleihen vom großen Bruder genommen zu haben. Und das wäre verboten.
Aufgrund des schwelenden Streits zwischen den einzelnen Parteien war ein Protest von Renault irgendwann zu erwarten. Für die Franzosen geht es um viel. Sie haben zwar jetzt grünes Licht vom Vorstand, doch der Friede kann trügerisch sein. Wenn Renault ans Ende des Mittelfeldes abrutscht, kann das Thema Formel 1 in der Chefetage schnell wieder hochkochen. Aus dem Protest von Renault ergeben sich daher viele Fragen. Wir haben die Antworten...
Warum protestiert Renault gerade jetzt?
Renault hat mit seinem neuen R.S. 20 einen guten Sprung gemacht. Man ist so stark wie Ferrari, liegt nur knapp hinter McLaren. Da ist es umso ärgerlicher, dass einem jetzt ein Team wie Racing Point in die Suppe spuckt. Es war zwar schon bei den Wintertestfahrten in Barcelona abzusehen, dass der rosarote Mercedes zu einer Bedrohung werden konnte, doch Racing Point hielt sich absichtlich zurück, um nicht zu früh schlafende Hunde zu wecken. Die Fahrer ließen weder auf eine Runde noch bei den Longruns den Hammer fallen.
Nach dem zweiten Grand Prix sieht man klarer. Dieser Racing Point ist vom Speed her die Nummer drei im Feld. Sergio Perez fuhr über weite Strecken im Rennen schneller als die Mercedes und die Red Bull. Teamchef Otmar Szafnauer sagt selbstbewusst: "Der Red Bull von Albon ist in Reichweite."
Noch zeigen die Ergebnisse nicht die wahren Qualitäten des Autos. Beim ersten Spielberg-Rennen stellte sich das Team mit der falschen Strategie ein Bein. Beim zweiten machten sich die Piloten durch schlechte Startplätze selbst das Leben schwer. Im Regen fehlt den Racing Point-Ingenieuren noch die Erfahrung, dieses für sie völlig neue Fahrzeugkonzept perfekt abzustimmen. Renault jedenfalls hatte am Rennsonntag genug gesehen. Der Protest musste raus, bevor die Racing Point noch besser in Fahrt kommen.
Warum sind die Bremsen im Visier?
Relevant sind nur Teile, auf die ein Team Copyright anmelden muss. Dazu zählen das Chassis, die Fahrzeugnase, die Flügel, die Verkleidung, und neuerdings auch die Bremsbelüftungen. Aufhängungen, das Getriebe, die Lenkung oder die Hydraulik dürfen dagegen 1:1 bei einem anderen Team eingekauft werden. Was Racing Point auch so praktiziert. Sogar in einem geringeren Maß als Haas. "Wir kaufen nur ein Drittel der Teile, die wir kaufen dürften, von Mercedes." Im Gegensatz zu Haas bedient sich Racing Point beim Getriebe und den Aufhängungen nicht beim aktuellen Mercedes, sondern beim Vorjahresmodell.
Renault ist der Meinung, dass Racing Point bei allen anderen Teilen Input von Mercedes bekommen haben muss. Dazu ähneln die relevanten Komponenten zu sehr dem Vorjahres-Silberpfeil. Doch um von außen den Nachweis zu führen, dass die Kopie dem Original entspricht, gibt es Schwierigkeiten. Das nackte Chassis bekommt man kaum zu Gesicht. Man kann also anhand von Fotos seinen Verdacht nicht bestätigen.
Flügel und großflächige Verkleidungsteile eignen sich auch deshalb nicht, weil hier Racing Point tatsächlich argumentieren könnte, man habe die Teile anhand von Fotos nachgebaut. Die Ingenieure haben von jedem Detail hunderte von Fotos aus allen Ansichten in ihrem Archiv. Es ist mit moderner Computertechnik nicht allzu schwer, einen Frontflügel nachzubauen. Was nicht verboten wäre. Außerdem haben die Racing Point-Ingenieure mit ihrem ersten Aero-Upgrade viele aerodynamische Oberflächen bereits wieder modifiziert. Es ist zu erwarten, dass sich der RP20 deshalb schrittweise immer mehr von seinem Vorbild entfernt.
Bei den Bremsbelüftungen liegt der Fall anders. Sie sind klein, aber komplex. Und sie sind schon deshalb dem Mercedes sehr ähnlich, weil Racing Point die gleichen Aufhängungen verwendet. Vielleicht bekommt man noch eine exakte Kopie der äußeren Form anhand von Bildern hin, aber beim Innenleben der Luftschächte wird es schon schwierig. Wenn Renault nachweisen könnte, dass Schächte innen wie außen identisch sind, würde es eng für Racing Point.
Um die Innereien exakt nachzubauen, braucht man schon das Originalteil oder Konstruktionszeichnungen auf dem Schreibtisch. Deshalb sucht Renault hier einen Ansatzpunkt. Offenbar hat man genug Informationen zur Hand. Möglicherweise von einem Überläufer. Sonst hätten die Sportkommissare den Protest nicht zugelassen.
Was droht Racing Point?
Dem Team würden bei einer Verurteilung alle Punkte bei den bis zum Urteil gefahrenen Rennen gestrichen. Und sie dürften mit den im Verdacht stehenden Bremsbelüftungen nicht mehr antreten. Das gilt für jede andere Komponente, bei der nachgewiesen werden kann, dass sie nicht aus der eigenen Feder stammt.
Aus grauer Vorzeit gibt es einen Präzedenzfall. Shadow-Konstrukteur Tony Southgate hatte 1978 die Zeichnungen seines neuen Autos über den Winter mit zu seinem neuen Arbeitgeber Arrows genommen. Shadow wunderte sich zum Saisonauftakt 1978 nicht schlecht, dass der Arrows A1 genauso aussah wie der eigene DN9. Ein Zivilgericht gab Shadow im Copyright-Streit recht.
Arrows sorgte für diesen Fall vor. Da man mit einem negativen Urteil gerechnet hatte, entstand in Eile der FA1. Und der unterschied sich genügend vom Original, um weiter an der Saison teilnehmen zu können. So ein Coup wäre heute nicht mehr möglich. Man baut kein Formel-1-Auto mehr in zwei Monaten.
Was hat Mercedes damit zu tun?
Die Sportkommissare luden auch Mercedes.Vertreter vor. Sie wurden aufgefordert, der FIA die Bremsbelüftungen des 2019er Autos bereitzustellen. Weil das in Spielberg natürlich nicht möglich war, gab es am Sonntag auch kein Urteil. Für eine genaue Beweisführung werden auch Konstruktionszeichnungen und Daten untersucht.
Sollte sich eine Gleichheit ergeben, müssten sowohl Mercedes als auch Racing Point erklären, wie das sein kann. Bei den Bremsbelüftungen wird man mit Fotos von der Strecke als Konstruktionsgrundlage schlecht argumentieren können. Hätte Mercedes sein Museum aufgesperrt, damit die Kollegen die Technik in Ruhe inspizieren können, wäre das illegal.
Die Bremshutzen standen zwar im Vorjahr noch nicht im Reglement unter den sogenannten "Listed Parts", die jedes Team selbst konstruieren muss. Doch Racing Point entschied sich damals gegen den Kauf der Bauteile. Deshalb würde es zumindest Fragen aufwerfen, wenn die Ingenieure plötzlich genaue Informationen zum Design hätten. Nach einer Änderung im Reglement mussten die Designer für die aktuelle Rennwagen-Generation nun eigene Belüftungen entwickeln.
Auch nicht erlaubt wäre übrigens der Verkauf eines kompletten Mercedes W10 an eine dritte Person, die das Auto dann einem Team als Anschauungsmaterial zur Verfügung stellt. Das gilt auch noch für das 2018 Auto. Eine Auslieferung an Sammler ist frühstens drei Jahre nach dem Einsatzzeitraum des Autos möglich. Genau genommen dürfte Mercedes die Mitarbeiter fremder Teams noch nicht einmal in sein Museum lassen. Auch der Austausch von Zeichnungen und Windkanaldaten wäre ein Verstoß gegen die Regeln. Eine Strafe für so ein Vergehen ist schwer abzuschätzen. Aktive Schützenhilfe stand noch nie vor dem FIA-Gericht.
Was sagt Racing Point dazu?
Die Verantwortlichen von Racing Point sind zuversichtlich, den Rechtsstreit zu gewinnen. Demnach hätte die FIA schon von sich aus vor der Saison mit ersten Nachforschungen begonnen, bei denen aber kein Regelbruch festgestellt werden konnte. Dass Renault nun einen offiziellen Protest eingelegt hat, könne man nicht nachvollziehen.
In einem offiziellen Statement heißt es: "Racing Point ist extrem enttäuscht, dass das Team-Ergebnis beim Großen Preis der Steiermark mit einem fehlgeleiteten und unzureichend informierten Protest angezweifelt wird. Das Team weist jegliches Fehlverhalten strikt zurück. Bereits vor dem Saisonstart hat das Team mit der FIA zusammengearbeitet und alle Fragen bezüglich des Ursprungs des Designs des RP20 zur Zufriedenheit beantwortet."
Wann können wir ein Urteil erwarten?
Das kann sich hinziehen. Das Thema ist komplex. Zuerst muss festgestellt werden, bis zu welchem Grad die Teile identisch sind. Liegt der hoch genug, muss Racing Point beweisen, dass trotzdem alles in Eigenleistung entstand.
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal im Detail, wie ähnlich sich der Racing Point RP20 und der Mercedes W10 aus dem Vorjahr sind.