Rennanalyse GP Deutschland 2018
Sebastian Vettel sah wie der sichere Sieger in Hockenheim aus. Doch einsetzender Regen und ein Fahrfehler verwehrten ihm den Heimerfolg. Lewis Hamilton triumphierte über das Chaos. Mit fahrerischem Können und einer Portion Glück.
Wieso flog Vettel ab?
Sebastian Vettel hätte noch 15 Runden auf einer teilweise feuchten Strecke überstehen müssen, um endlich den ersten Sieg in Hockenheim einzufahren. Doch in der 52. Runde warf er den sicher geglaubten Erfolg weg. Es passierte in der Sachskurve. „Ich habe ein bisschen zu spät gebremst, die Hinterreifen blockierten und ich flog ab. Ein kleiner Fahrfehler mit leider großer Auswirkung“, berichtete ein niedergeschlagener Fahrer.
Zu diesem Zeitpunkt hatten Vettels weiche Reifen 27 Runden auf der Lauffläche. Zwar betrug sein Vorsprung auf Verfolger Valtteri Bottas komfortable neun Sekunden, doch Vettel konnte sich keineswegs ausruhen. Lewis Hamilton./span> auf der vierten Position machte mit den relativ frischen Ultrasoftreifen, die in Mischverhältnissen leichter auf Temperatur zu halten sind und mehr Grip liefern, pro Umlauf zwei bis drei Sekunden gut. Bis zu Vettels Malheur war der Vorsprung auf den WM-Rivalen schon auf etwa 12 Sekunden eingedampft.
Vettel könnte nicht nur der Regen zum Verhängnis geworden sein. Fotografen berichteten, dass Sergey Sirotkin schon zuvor in der Sachskurve durchs Kiesbett gerodelt war. Der Mercedes.V6 des Russen verlor nach einem Leck Motoröl. Womöglich ist Vettel auf genau diesem ausgerutscht. Der Unfall kostete ihn jedenfalls nicht nur den ersten Hockenheim-Sieg, sondern auch die WM-Führung. Hamilton liegt nun 17 Punkte vor ihm.
Wieso kam Hamilton straffrei davon?
Hamilton jubelte erst ausgelassen über den Sieg, dann musste der inzwischen dreimalige Hockenheim-Sieger zittern. Die Rennkommissare leiteten eine Untersuchung gegen ihn ein. Es ging um einen Vorfall aus der 52. Rennrunde. Hamilton lag hinter Teamkollege Valtteri Bottas und Kimi Räikkönen auf dem dritten Platz. Mercedes wollte seine beiden Fahrer hintereinander mit neuen Ultrasoftreifen für die Schlussphase bestücken. Doch im letzten Moment wurde der Plan verworfen.
Ein Missverständnis am Funk erwies sich als Glücksfall. Hamilton hatte seinem Renningenieur Peter Bonnington gefunkt: „Räikkönen bleibt draußen.“ Auf Englisch: „He stays out.“ Das ist in diesem Zusammenhang wichtig. Renningenieur Bonnington wiederholte, Hamilton verstand in der allgemeinen Hektik nur „stay out“. Es ging weiter drunter und drüber am Funk und Hamilton lenkte intuitiv seinen Mercedes wieder nach links und rumpelte über das Gras auf die Zielgerade. Doppeltes Glück: In der Box hätte er hinter Bottas anstehen müssen. Mercedes hatte die Softreifen parat, wollte aber die Ultrasofts aufstecken und kokettierte auch mit den Intermediates.
Hamiltons Einlage war ein Verstoß gegen Anhang L in Kapitel 4d des Sportgesetzes, wonach die weiße Linie, die Boxengasse und Rennstrecke trennet, nicht mehr überfahren werden darf, nachdem man in die Box eingelenkt hat. Die Rennkommissare Mika Salo, Nish Shetty, Steve Stringwell und Felix Holter sprachen lediglich eine Verwarnung aus. Aus drei Gründen: Erstens waren Hamilton und Mercedes geständig, in der Hektik einen Fehler begangen zu haben. Zweitens, weil sich das Vergehen unter Safety Car ereignete, wo die Autos sowieso langsam sind. Und drittens, weil Hamilton keinen anderen Fahrer gefährdete.
Rennleiter Charlie Whiting sah keinen Vergleich zu Räikkönen, der 2016 in Baku für ein ähnliches Vergehen mit fünf Sekunden und zwei Punkten für die Strafkartei bestraft wurde. „Damals näherte sich Räikkönen im Zweikampf mit einem anderen Auto mit Vollgas der Boxengasse und entschied sich um. Eine deutlich gefährlichere Aktion.“ Mercedes.Teamchef Toto Wolff atmete nach dem Doppelsieg durch. „Wir hatten in dieser Saison schon einiges an Pech mit unverschuldeten Unfällen und Defekten. Jetzt ist das Glück zurück.“
War die Stallregie angebracht?
Sowohl Mercedes als auch Ferrari griffen in Hockenheim auf eines der unpopulärsten Mittel überhaupt im Motorsport zurück: Stallregie. Ferrari wandte sie gegen Rennmitte an, Mercedes in der Schlussphase.
Beleuchten wir zunächst den Fall Ferrari. Räikkönen stoppte in Runde 14, weil die Strategen in Rot Mercedes zu einem Reifentausch zwingen wollten, damit Räikkönen nicht an seinem finnischen Landsmann durch den Undercut vorbeischlüpft. Mercedes reagierte nicht, sondern folgte lieber Vettel. Bottas sollte seine Reifen so gut wie möglich schonen, den ersten Stopp hinauszögern, um vielleicht in den Schlussrunden eine Chance gegen Vettel zu haben.
Räikkönen profitierte von den frischen Softreifen und erbte nach 29. Runden die Führung, als Max Verstappen, Bottas und Vettel in den Boxen waren. Im Abstand von einer Sekunde folgte der Heppenheimer im Anschluss seinem Teamkollegen, beschwerte sich am Funk über zu heiße Hinterreifen und forderte einen Platztausch. Ferrari reagierte nicht sofort. Zu Vettels Missfallen. „Wir waren auf unterschiedlichen Strategien. Ich hing fest, konnte nicht überholen.“
Erst in der 39. Runde ordnete Ferrari den Wechsel an der Spitze an. Eine nachvollziehbare Entscheidung, die jedoch zu spät kam. Räikkönen hätte in einem normalen Rennverlauf noch einmal die Boxenstraße ansteuern müssen. Oder seine Softreifen wären eingegangen. Vettel war hingegen auf eine Einstoppstrategie gesetzt. Ferraris Nummer eins büßte hinter Räikkönen gut fünf Sekunden ein. Das half wiederum Mercedes. Vettels Puffer wäre ansonsten vor dem einsetzenden Regen größer gewesen, was gleichzeitig den Druck reduziert hätte im Balanceakt zwischen schnell und sicher fahren.
Mercedes setzte nach der ersten Runde nach dem Restart auf Teamorder. Strategiechef James Vowles gab Bottas den Befehl, Hamilton nicht weiter zu attackieren. Der Finne hatte Vorteile mit den jüngeren Ultrasofts. Bottas war nach dem Rennen nicht böse. „ Wir durften in der ersten Runde nach dem Safety Car kämpfen. Ich hatte meine Chance, kam aber leider nicht vorbei.“ Teamchef Wolff begründete: „Wir wollten nicht das Risiko eingehen, ein oder sogar zwei Autos zu verlieren. Wir hätten die Entscheidung auch getroffen, wenn Valtteri vor Lewis gelegen wäre.“
Was war mit Red Bull los?
Daniel Ricciardo beklagt den vierten Ausfall der Saison. Einer wegen Unfall, drei wegen Defekten. Der Red Bull RB14 Renault ist zu defektanfällig. Ricciardos Aufholjagd vom 19. Startplatz endete nach 27 Runden auf dem zwischenzeitlichen sechsten Rang. „Ein Zylinder ist ausgefallen“, berichtete der Mann aus Perth.
Max Verstappen war über weite Strecken des Rennens Vierter, ohne eine echte Möglichkeit, die Vordermänner in den roten und silbernen Autos zu gefährden. Red Bull war auch im Renntrimm unterlegen. Doch im Regen suchte die Mannschaft aus Milton Keynes ihr Glück. Man holte Verstappen in der 46. Runde rein, und bestückte sein Auto mit den Intermediates. Ein Fehler, den Red Bull zwei Umläufe später korrigierte. „Die Strecke war zu trocken. Das hat die Reifen ruiniert. Wir mussten wieder kommen“, erklärte der 20-Jährige, der die Taktik voll unterstützte. „Wir mussten es riskieren. Und im Endeffekt ist es egal. Wir wären so oder so Vierter geworden.“
Wie ist das Kräfteverhältnis?
In Frankreich und Österreich hatte Mercedes das schnellste Auto. In Silverstone herrschte Gleichstand zwischen Rot und Silbern. In Hockenheim bestimmte Ferrari das Tempo. „Ferrari ist schneller und zuverlässiger. Wir können uns nicht nur darauf verlassen, dass ihre Fahrer Fehler machen“, sagt Hamilton. Hockenheim war ein Weckruf: Ferrari hat den stärksten Motor und ein gleichwertiges Chassis. Red Bull braucht kurvige Strecken, ohne lange Geraden. Ungarn könnte so eine sein nach dem Geschmack des RB14. In Hockenheim zeigte sich vor allem in der Nordkurve und am Eingang Motodrom – beides Highspeed-Ecken – wie gut das Red Bull-Chassis ist. Kein Fahrer war dort schneller als Verstappen.