Rennanalyse GP Japan 2019
Die Bilder schienen einen Frühstart von Sebastian Vettel eindeutig zu belegen. Doch so eindeutig war es nicht. In der Analyse erklären wir, warum es keine Strafe gab und beantworten weitere Fragen zum Rennen in Suzuka.
Warum gab es keine Strafe für Vettel?
Die Gegner von Ferrari trauten ihren Augen nicht. Und selbst die Fans von Sebastian Vettel konnten ihr Glück kaum glauben. Obwohl der Heppenheimer am Start kurz anfuhr, stoppte und dann erneut Gas gab, setzte es keine Frühstart-Strafe. Kimi Räikkönen wurde dagegen erst vor zwei Wochen in Sotschi für das scheinbar gleiche Vergehen von den Schiedsrichtern zum Umweg durch die Boxengasse gebeten.
Doch die Vergehen waren eben nur auf den ersten Blick vergleichbar. Rennleiter Michael Masi vermutete, dass Vettel noch im Toleranzbereich der Sensoren lag, die am Startplatz in den Asphalt eingelassen sind. Die Schleifen werden scharf geschaltet, sobald das erste rote Licht der Startampel angeht. Dann melden sie den Schiedsrichtern automatisch jede vorzeitige Bewegung. Offenbar wird der Alarm aber durch kleine Bewegungen nicht ausgelöst. Und ohne Alarm gibt es auch keine Fehlstart-Strafe.
Vettel selbst hatte aber eine ganz andere Erklärung. Nach Studium der Daten fanden die Ferrari-Ingenieure heraus, dass der Pilot gar nicht zu früh gezuckt hatte. Das Anfahren erfolgte drei Zehntel, nachdem die Lichter ausgingen, und wurde deshalb von den Sensoren nicht registriert. „Ich hatte aber das Gefühl, es könnte kritisch sein. Deshalb habe ich noch einmal angehalten“, berichtete der Heppenheimer. Dadurch ging allerdings die Drehzahl in den Keller, was den zweiten Launch verzögerte.
Statt zu bremsen hätte Vettel einfach auf dem Gas bleiben sollen, so wie es Valtteri Bottas machte. Der Finne war 16 Meter hinter dem Ferrari aus der dritten Box losgefahren und ebenfalls knapp am Frühstart vorbeigeschrammt. Hier lag die Reaktionszeit nach Ferrari-Analyse sogar nur bei fünf Hundertstel-Sekunden, was menschlich gar nicht möglich ist. Bottas fuhr also einfach auf Verdacht los.
Wurde Hamilton von Mercedes eingebremst?
Wenn sich Mercedes-Chefstratege James Vowles über Funk mit den Worten „Valtteri, it’s James…“ meldet, dann wissen die Formel-1-Fans, was die Stunde geschlagen hat. Dann muss der Finne in der Regel zu Gunsten des Teamkollegen Helferdienste erledigen. In Suzuka waren die Rollen aber umgekehrt. Bottas meldet sich nach der Zieldurchfahrt in der Taktik-Zentrale um sich zu bedanken: „ James, it’s Valtteri, well done!“
Der Pilot hatte in der zweiten Rennhälfte schon leichte Bedenken angemeldet, dass sich Hamilton im Schwesterauto den zweiten Boxenstopp spart und ihm dadurch den verdienten Sieg klauen könnte. Doch die Strategen spielten kein falsches Spiel. „Wir haben bei Valtteri entschieden, die Führung gegen Vettel mit einem frühen ersten Stopp zu verteidigen. Dann haben wir ihm gesagt, dass er die Pace reduzieren und die Motor-Power runterfahren soll. Da war es klar, dass die Sache für Valtteri läuft. Wir spielen die Teamkollegen in Sachen Strategie nicht gegeneinander aus“, erklärte Teamchef Toto Wolff.
Auch die Funk-Jammerei von Superstar Hamilton, der die Schuld für seinen hohen Rückstand bei den Ingenieuren suchte, änderte daran nichts. Der Champion wurde elf Runden vor dem Ende in Führung liegend zum Service gerufen, was ihn auf Platz drei zurückwarf. Der Plan: Hamilton sollte mit frischen Reifen noch an Vettel vorbeikommen und Mercedes den Doppelsieg sichern.
Weil sich Vettel fehlerlos verteidigte, musste sich der Brite am Ende mit dem kleinsten Pokal zufrieden geben. Doch was wäre passiert, wenn er tatsächlich durchgefahren wäre? „Im ersten Stint haben wir gesehen, dass die Reifen schlagartig einbrechen. Dann wäre es schwer geworden, sich gegen Vettel zu verteidigen“, versicherte Wolff. Eine echte Siegchance hatte der WM-Spitzenreiter nie: „Valtteri hatte heute die bessere Pace und den besseren Reifenverschleiß. Er hätte Lewis am Ende zerstört“, sind sich die Ingenieure sicher.
Warum wurde die Zielflagge zu früh gezeigt?
In der Schlussphase des Rennens herrschte plötzlich Konfusion. Die Teams erkannten auf ihren Monitoren, dass die Zielflagge auf der LED-Tafel neben der Startampel bereits nach Abschluss der 52. Runde angezeigt wurde. Auf dem Marschplan standen jedoch 53 Umläufe. Aufgeregt fragten die Ingenieure bei Rennleiter Michael Masi nach, der den Teams den Rat gab, über die ursprünglich geplante Distanz Gas zu geben.
Nachdem man dann aber festgestellt hatte, dass Valtteri Bottas das Schluss-Signal tatsächlich als erster Pilot eine Runde zu früh gezeigt wurde, musste man das Ergebnis nach 52 Runden werten. „Wir haben eine Untersuchung dazu eingeleitet, wie dieser Fehler passieren konnte. Das ist extrem ärgerlich“, erklärte Masi später. „ Eigentlich wurde die digitale Flagge eingeführt, um solche Dinge zu verhindern.“ Ob es menschliches oder technisches Versagen war, konnte der Australier nicht sagen. Ausgelöst wird die Anzeige offenbar durch eine Kombination aus Mensch und Technik.
Die Auswirkungen des Fehlers auf das Ergebnis waren nicht unbedeutend. Pierre Gasly hatte in der 53. Runde den Racing Point von Sergio Perez in Kurve zwei in die Bande geschubst, der ihn kurz zuvor überholt hatte. Weil Perez eine Runde zuvor aber noch auf Position neun geführt wurde, durfte der Mexikaner die zwei WM-Punkte behalten. Obwohl das vermeintliche Foul von Gasly nach der Zielflagge passierte, musste der Franzose eine Strafe befürchten. Doch trotz der Klagen von Perez über das „dumme Manöver“ , verzichteten die Kommissare auf weitere Sanktionen.
Warum gab es die Leclerc-Strafen erst hinterher?
Die Stewards hatten in Suzuka einen arbeitsreichen Tag. Charles Leclerc geriet gleich nach dem Start mit Max Verstappen aneinander. Beim Versuch sich gegen den außen attackierenden Holländer zu verteidigen, rutschte der Ferrari untersteuernd in seinen Gegner. Red-Bull-Sportchef Helmut Marko spottete: „Wenn der Max nicht da gewesen wäre, wäre Leclerc einfach geradeaus gefahren. Er brauchte unser Auto als Bande.“
Aus der Rennleitung flimmerte zunächst die Nachricht über die Monitore, dass hier keine Untersuchung nötig sei. Als Verstappen diese Meldung ins Cockpit gefunkt wurde, konnte der Holländer es kaum glauben. „Wenn das keine Strafe verdient, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Ich mag ja hartes Racing. Aber das war mehr als hartes Racing“, schimpfte der Youngster.
Laut Masi lag es aber nicht an der aufgebrachten Reaktion von Verstappen, dass sich die Kommissare plötzlich doch dazu entschieden, die Szene noch einmal genauer anzuschauen. „Es gab neue Beweise, die sie dazu veranlasst haben, eine offizielle Untersuchung einzuleiten“, erklärte der FIA-Mann. Dabei habe es sich offenbar um neue Einstellungen in den TV-Bildern gehandelt. Die Angelegenheit wurde schließlich nach dem Rennen verhandelt und endete mit einer Fünf-Sekunden-Strafe für Leclerc.
Damit war aber noch nicht Schluss. Für den Monegassen gab es noch einmal zusätzliche zehn Sekunden obendrauf, weil er mit seinem angeknacksten Frontflügel nicht sofort die Boxen anfuhr. Das Bauteil zersplitterte auf der Geraden in viele Teile, von denen einer den rechten Rückspiegel am Auto von Lewis Hamilton abriss. Weiterer Carbon-Schrott landete in der vorderen rechten Bremshutze des McLarens von Lando Norris, der daraufhin einen Extra-Boxenstopp einlegen musste.
In der Urteilsbegründung heißt es: „Ferrari hat sich bei der Rennleitung gemeldet und einen Tausch des Flügels in der zweiten Runde angekündigt. Dann hat sich der Flügel aber während der Runde auf gefährliche Weise aufgelöst, worauf Ferrari der Meinung war, sie könnten damit sicher weiterfahren. Erst am Ende der dritten Runde kam Leclerc an die Box. Weil das Team trotz des deutlich sichtbaren Schadens nicht schon in der ersten Runde reagiert hat, entstand eine gefährliche Situation, die mit einem schweren Unfall hätte enden können. Außerdem wurde das Auto entgegen der Ankündigung nicht in Runde zwei reingeholt.“
In der Galerie haben wir noch einmal die Highlights vom Sonntag in Suzuka.