Binotto fordert totales Umdenken
In Budapest schaffte es von den Ferrari-Piloten nur Sebastian Vettel in die Punkteränge. Er nannte das Ergebnis die "neue Realität". Teamchef Mattia Binotto forderte von seinem Team eine starke Reaktion und totales Umdenken.
Die Startplätze fünf und sechs machten beim GP Ungarn Mut. Sie zu halten war für Ferrari das Mindestziel. Bis jetzt galt die Regel, dass die roten Autos im Rennen schneller sind als auf eine Runde. Weil das Leistungsmanko des Motors im Rennmodus geringer ausfällt als in der Qualifikation. Und weil die Ferrari schonender mit ihren Reifen umgehen als die Autos mancher Mitkonkurrenten.
Sebastian Vettel machte sich sogar Hoffnungen, wenigstens einen der beiden Racing Point in die Knie zu zwingen. Doch kaum war das Rennen gestartet, orientierten sich die Fahrer eher nach hinten als nach vorne. Nach 70 Runden war die Blamage perfekt. Ein sechster und ein elfter Platz, beide Autos überrundet, keine Chance das Tempo der Racing Point und der Red Bull zu halten.
Ferrari konnte froh sein, dass McLaren und Renault ebenfalls außer Form waren. Sonst wäre die Niederlage noch schlimmer ausgefallen. Man dürfe auch in Zukunft nicht mehr als die Plätze fünf oder sechs erwarten, warnte Sebastian Vettel. "Das ist die neue Realität." Der zweite Platz von Charles Leclerc beim Saisonauftakt war ein positiver Ausrutscher. "Heute haben heute wir ein ehrlicheres Bild unserer Leistung gesehen."
Der zweifache Ungarn-Sieger fuhr die letzten 15 Runden mit dem Rücken zur Wand. Seine harten Reifen waren ein gutes Stück älter als die seiner Verfolger. Sie hatten fünf Runden mehr auf der Lauffläche als die von Alexander Albon, sechs Runden als die von Sergio Perez und 14 Runden als die von Daniel Ricciardo.
Fünf Runden vor Schluss bezahlte Vettel für den Eiertanz auf den abgefahrenen Pirelli-Sohlen. Albon nutzte einen Ausrutscher in Kurve 2 und zog vorbei. Vettel war froh, als er die Ziellinie sah. Perez und Ricciardo waren bereits auf Schlagdistanz näher gerückt. "Meine Reifen waren total fertig", gab der Ex-Champion zu.
Ein anderes Auto als am Samstag
Charles Leclerc konnte sich seinen Absturz auf den elften Platz nicht erklären. Er stand vor dem gleichen Rätsel wie Vettel im ersten Rennen. Von einem Tag auf den anderen war sein Ferrari nicht wiederzuerkennen.
"Ich weiß wirklich nicht, was da passiert ist. Wir haben das Auto von Samstag auf Sonntag nicht angefasst. Die Balance war plötzlich viel schlechter als am Freitag und Samstag. Es fühlte sich an wie ein anderes Auto. Ich glaube, wir müssen noch viel verstehen. Wir sind einfach zu langsam. Da liegt noch viel Arbeit vor uns."
Die Überrundung durch den siegreichen Mercedes war aus der Außensicht eine Demütigung. Aus dem Cockpit weniger. "Damit haben wir ehrlich gesagt gerechnet. Die fahren einfach in einer ganz anderen Klasse", gab Vettel zu bedenken. Die Umstände sind trotzdem bitter. Lewis Hamilton leistete sich auch noch einen Boxenstopp mehr als die Ferrari. Traurige Erkenntnis aus dem roten Lager: "Wir haben getan, was wir konnten. Es war nicht genug."
Fehler bei Reifen.ahl und Boxenstopp-Timing
Die enttäuschenden Rundenzeiten sind eine Sache. Doch in Ungarn baute Ferrari auch noch ein paar Böcke in die Taktik ein. Der frühe Boxenstopp von Leclerc nach der ersten Runde war im Prinzip richtig. Die Haas-Piloten kamen schon vor dem Start zum Reifen.echsel und wurden dafür mit den Plätzen 3 und 4 belohnt.
Der Fehler passierte Ferrari bei der Reifen.ahl. Man gab Leclerc Soft-Reifen mit auf die Reise, angeblich um sich abzusichern, sollte es noch einmal kurz regnen. Dann will man mit Slicks im Nassen natürlich die weichste Mischung fahren.
Doch eigentlich musste Ferrari schon nach dem Training klar sein, dass der Soft-Gummi der mit Abstand schlechteste Rennreifen an diesem Tag war. Die grüne Strecke und die gestiegenen Temperaturen führten dazu, dass der linke Vorderreifen schon nach wenigen Runden zu Körnen begann.
Das war bereits am Freitag bekannt. Mercedes hat sogar darauf verzichtet, einen Longrun mit diesem Reifen.yp zu fahren. "Wir wussten, dass wir den Soft-Reifen höchstens ganz am Ende für eine schnelle Runde hernehmen würden."
Sebastian Vettel hatte ganz offenbar das gleiche Gefühl. Er wies die Empfehlung seines Renningenieur zurück und verlangte stattdessen einen Satz Medium, als ihn die Box zum Reifen.echsel bat. Das nennt man Erfahrung. Vettel trat die Geschichte nicht breit, weil er auf sein geprügeltes Team nicht auch noch einschlagen wollte.
Sein Problem war eher das Timing. Die dritte Runde war die schlechteste aller möglichen, weil insgesamt neun Fahrer in kurzer Folge die Boxen ansteuerte. Vettel lag im Verkehr so ungünstig, dass er nach einem planmäßigen Stopp lange warten musste, bis ihn Ferrari in die Fast-Lane der Boxengasse einfädeln konnte. Dabei gingen 6,7 Sekunden und vier Positionen verloren.
Vettel machte auch hier kein großes Theater daraus. Nichts wäre schlimmer als durch Schuldzuweisungen noch mehr Unruhe ins Team zu bringen. "Es war nichts Schlaues, aber auch nichts Verkehrtes. Vielleicht hätte man mich eine Runde früher reinholen sollen."
Jeder muss sich selbst hinterfragen
Die zweiten Boxenstopps kamen im Rückblick zu früh. Bei Leclerc hatte Ferrari keine andere Wahl. Nach nur 17 Runden Laufzeit waren die Soft-Reifen platt. Leclerc verlor über zwei Sekunden pro Runde auf die Konkurrenz. Der Stopp in Runde 18 bürdete dem harten Reifen.atz eine Restdistanz von 52 Runden auf. Vielleicht hätte das Team da bereits mit drei Stopps planen sollen.
Vettel wurde mindestens fünf Runden zu früh an die Boxen geholt. Offenbar vom Wunsch beseelt, Plätze gegen Albon und Grosjean durch einen Undercut gutzumachen und auch ein wenig geblendet von Leclercs guten Rundenzeiten zu Beginn des Stints mit den harten Reifen. Der Undercut funktionierte, doch Vettel bezahlte am Ende.
Teamchef Mattia Binotto konnte weder dem Ergebnis noch dem Rennverlauf eine gute Seite abgewinnen. Wie schon beim letzten Grand Prix fand der Brillenträger deutliche Worte. "Es war ein extrem enttäuschender Sonntag und das ist hart zu verdauen. Während wir in der Qualifikation das meiste aus dem Auto geholt haben, ist uns das im Rennen nicht gelungen. Überrundet zu werden ist für uns und unsere Fans schwer zu ertragen."
"Wenn wir heimkehren von diesem langen Trip müssen wir alles dafür tun, uns in allen Bereichen zu verbessern. Jeder muss seine Arbeit hinterfragen und den Mut haben, einen Kurswechsel einzuleiten, wenn es notwendig ist. Die augenblickliche Dynamik der Ereignisse ist nicht akzeptabel. Wir müssen dieses Problem lösen." Ferrari.Insider deuten Binottos Rundumschlag so, dass er selbst bereits ums Überleben kämpft.