So eng war es bei Force India wirklich
In der ersten Saisonhälfte kämpfte Force India ums nackte Überleben. Technikchef Andy Green erzählt, wie eng es wirklich war und was er sich von der neuen Situation erwartet. Kann der Schuss mit mehr Geld auch nach hinten losgehen?
Harte Winter war Force India gewohnt. In der rennlosen Zeit des Jahres, wenn das meiste Geld ausgegeben wird und kaum frisches Geld reinfließt, musste Force India ein ums andere Mal zaubern, um überhaupt ein neues Auto auf die Räder zu stellen. Doch so schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie. Privatentnahmen von Firmengründer Vijay Mallya drückten auf den Etat. Und auf die Stimmung im Team.
Der Force India VJM11, den das Team bei den Wintertestfahrten präsentierte, war ein neues altes Auto. Viele Entwicklungsschritte mussten wegen der angespannten Finanzlage auf Halde gelegt werden. Man merkte es auch schnell an den Rundenzeiten. Force India hatte ein Problem. Das Auto war schwer zu fahren und langsam. Und in Silverstone wurde jeder Penny zwei Mal umgedreht. Das ist seit der Übernahme des Rennstalls durch eine Investorengruppe um Lawrence Stroll anders. Zum ersten Mal seit Jahren kann Force India wieder ohne Existenzängste planen.
Ganz nah am Abgrund
Technikchef Andy Green erinnert sich an die schwere Zeit: „Es war ein Jahr in zwei Hälften. Der erste Teil war sehr schwierig, was an der finanziellen Schieflage des Team. lag. Wir hatten nicht nur Probleme, das Auto zu produzieren. Zum Teil war es schon eine Herausforderung, das Auto überhaupt an die Strecke zu bringen. Wir standen in dieser Zeit ganz nah am Abgrund.“ Trotzdem betrieb das Designbüro in Silverstone Entwicklungsarbeit. „Jeden verfügbaren Penny haben wir in Fortschritte für das Auto investiert. Wir haben gekämpft, standen aber eigentlich auf verlorenem Posten. Wir hatten zu keinem Zeitpunkt das Auto, das wir eigentlich haben wollten. Erst in Singapur war es dann so weit fertig, wie es eigentlich schon deutlich früher geplant war.“
Bis dahin war Force India mit der Fahrzeugentwicklung immer einen oder zwei Schritte zu spät dran. Erstaunlich, dass man trotzdem bis zur Sommerpause 59 Punkte und ein Podium zusammenhamstern konnte. Die Überlebenskünstler von Force India schafften irgendwie den Spagat, das Team am Leben zu halten, gleichzeitig aber nicht den Anschluss an das Mittelfeld zu verlieren. „Wir mussten versuchen, die Firma über Wasser zu halten und gleichzeitig ein neues Auto zu produzieren“, erklärt Green. „ Das war eine große Herausforderung. In dieser Zeit des Jahres hat man immer die höchsten Ausgaben, gleichzeitig kommt aber kaum neues Geld rein. Wir wissen, wie schwierig diese Phase ist, deshalb planen wir das auch in das Budget ein. Aber in diesem Jahr hat eine gute Planung alleine leider nicht ausgereicht.“
Produktionsrate um zwei Drittel reduziert
In der ersten Saisonhälfte mussten die Produktionsrate und das Entwicklungstempo aus der Not heraus um zwei Drittel reduziert werden. „Wir konnten also nur mit einem Drittel unserer gewohnten Leistungsfähigkeit arbeiten. Es gab Entscheidungen zu fällen, die man sich gar nicht vorstellen kann. Da ging es gar nicht um die Entwicklung des Autos“, beschreibt Green das Dilemma. Da muss sich der altgediente Ingenieur seit der Sommerpause fast wie im Schlaraffenland fühlen.
Green glaubt nicht, dass ein sorgenfreies Arbeiten dem Team seine berühmte Effizienz raubt: „Früher hatten wir viele Dinge, die uns abgelenkt haben. Jetzt können wir uns endlich darauf konzentrieren, das Auto so schnell wie möglich zu machen. Wir arbeiten ja immer noch mit einem bestimmten Budget. Auch in den letzten Jahren hatten wir einen Kostenrahmen, doch der hat sich am Ende in Luft aufgelöst. Das ist das schlimmste Szenario, wenn man denkt, dass Geld vorhanden ist, das es aber nicht gibt, und man schon alles ausgegeben hat, bevor eine Rennrunde absolviert ist. Jetzt wissen wir, dass wir ein Budget haben, bei dem wir sicher sein können, dass das Geld auch wirklich da ist. In dieser Situation waren wir noch nie. Wir können damit einen besseren Job abliefern.“
Force India will die Mannschaft schrittweise von 410 auf 500 Mitarbeiter vergrößern. Dazu noch eine neue Fabrik bauen. Birgt zu schnelles Wachstum eine Gefahr? Green glaubt nicht: „Wir wollen organisch wachsen und nicht alles auf einmal ändern. Der Kern der Mannschaft bleibt der gleiche. Ein paar neue Leute kommen dazu. Wir verschieben die Richtung ein wenig. Der wichtigste Schritt ist es, die Produktionskapazitäten hochzufahren. Wir wollen einfach in der Lage sein, Teile schnell selbst herzustellen, um sie ans Auto zu bringen. Das konnten wir in der Vergangenheit nicht.“
Platz 4 ist Pflicht
In diesem Jahr ging Platz 4 an Renault. Auch wenn man die Punkte von Force India vor und nach der Sommerpause zusammenzählt. Im nächsten Jahr, so Green, muss der 4. Platz wieder Pflichtprogramm sein. „Wir haben auch früher nicht nach Ausreden gesucht. Aber fehlendes Geld ist kommende Saison sicher keine Entschuldigung, wenn es nicht läuft. Selbst wenn mal etwas schiefgehen sollte, werden wir davon lernen und die Fehler schnell korrigieren. Bei uns gibt es keine politischen Spielchen. Es fühlt sich an, als sei ein riesiges Gewicht von unseren Schultern genommen worden, dass uns nach unten gezogen hat. Wir sind alle schon heiß darauf, richtig loslegen zu können. Wir wollen, dass endlich etwas vorangeht.“
Die Motivation der Leute sei ohnehin nie ein Problem gewesen, aber jetzt sei eine ganz andere Energie in der Fabrik zu spüren, so Green. „Wir können endlich etwas voranbringen. Es ist ein neues Kapitel in der Geschichte dieses Team.. Ich hoffe, dass alle sehen können, wie unser Team nächstes Jahr einen Zahn zulegt, was die Entwicklungsgeschwindigkeit angeht, und den Rückstand auf die Top-Teams verringert.“ Sergio Perez ist sich sicher: „Wenn einer zu den Topteams aufschließen kann, dann wir.“