Streit um 2020er Reifen
70 Prozent der Teams fordert von Pirelli neue Reifenkonstruktionen für 2020. Der Rest will dies verhindern. Racing Point bringt Sicherheitsbedenken vor. Bei der Konkurrenz glaubt man, dass Mercedes dahinter steckt.
In der zweiten Septemberwoche hat Pirelli zum ersten Mal die 18-Zoll-Reifen für 2021 an einem Formel 1-Auto getestet. Sergey Sirotkin probierte Pirellis Protoptyp in einem umgebauten Renault R.S.18 an zwei Tagen in Paul Ricard über 213 Runden aus. Parallel dazu drehte Esteban Ocon in einem Mercedes 212 Runden mit der nächsten und damit letzten Generation der Pirelli 13-Zoll-Reifen. Es ging um neue Mischungen und Konstruktionen für die Saison 2020.
Doch exakt um das letzte Jahr dieser Ära gibt es jetzt Ärger. Im Rahmen der Gespräche um bessere Rennen forderten Fahrer und Teamchefs von Pirelli, dass 2020 mehr geändert wird als nur die Gummimischungen. Viele Teams sehen sich als Opfer der aktuellen Reifen. Sie wollen eine Reifenkonstruktion, die das Arbeitsfenster der Reifen vergrößert, so dass man leichter in den Bereich hineinkommt, der optimalen Grip liefert und auch nicht so schnell wieder rausfällt. Dazu muss aber der Unterbau der Pneus geändert werden. Das ist ein aufwendiger Prozess, der extra Testfahrten erfordert.
Pirelli-Sportchef Mario Isola erklärt, warum deshalb auch der Termin verschoben werden muss, an dem die Reifenkonstruktion wie vom Reglement vorgesehen finalisiert wird. „Die Bitte nach einem größeren Arbeitsfenster wurde Ende Juni an uns herangetragen. Zu dem Zeitpunkt lag unsere Entwicklung für den 2020er Reifen bereits in den letzten Zügen. Danach war nur noch ein Abschlusstest im September mit Mercedes geplant. Bei dem haben wir jetzt einen Prototypen ausprobiert. Wir haben gesagt, dass wir dem Wunsch entsprechen werden, dass aber dieser eine Test zu wenig sein wird, wenn wir noch Eingriffe an der Konstruktion vornehmen müssen.“
Steckt Mercedes hinter der Blockade?
Pirelli arbeitete während der Sommerpause intensiv an einer Lösung, wie man das Arbeitsfenster der Reifen um 5 bis 10 Grad vergrößern kann. Im Moment beträgt es rund 30 Grad. Der Bereich des Fensters soll nach oben ausgebaut werden, mit dem schönen Nebeneffekt, dass die Reifen dann weniger schnell überhitzen. Um sicherzugehen schlug Pirelli zwei zusätzliche Testtage auf einer zweiten Rennstrecke vor.
„Mit Paul Ricard haben wir eine Strecke abgedeckt, die von der Reifen.elastung in der Mitte liegt. Ein Kurs, auf dem die Mischungen C3 und C4 gefordert sind. Wir wollten als zweite Referenz noch eine Strecke, auf der die Reifen maximal belastet sind und wir die Mischungen C1 und C2 mit der neuen Konstruktion testen können. Deshalb war unser Vorschlag, im Oktober noch einen Test in Barcelona einzuschieben, um die endgültige Reifenkonstruktion bis Ende des Monats abzusegnen“, erklärt Isola.
Bei der letzten Strategiesitzung wehrten sich Williams und Racing Point gegen die Verschiebung um einen Monat. Die Zeit sei zu knapp, fünf Minuten vor Zwölf einen neuen Reifen aus dem Hut zu zaubern. Beide Teams brachten Sicherheitsbedenken vor. Außerdem würde Sportgesetz verletzt. Bei der Konkurrenz ist man der Meinung, dass in Wahrheit Mercedes hinter der Blockade steckt und seine Kunden nur vorschiebt. Mercedes, so die Theorie der Gegner, habe kein Interesse daran, dass sich viel ändert. Sie sind die einzigen, die die aktuellen Reifen verstehen.
Mercedes weist diesen Vorwurf zurück. Das Team ist groß genug, auf jede Änderung schnell zu reagieren. Und wenn es der Qualität der Rennen hilft, wird man sich auch nicht in den Weg stellen. Die Kundenteams haben andere Probleme. Die neue Reifenkonstruktion hat eine eckigere Form. Das garantiert, dass die Auflagefläche vergrößert wird. Es erfordert aber auch Eingriff in die Aufhängungen, die bei vielen Teams für 2020 schon entwickelt wurden. Auch die Aerodynamik ist leicht betroffen. Kleine Teams können nicht so schnell reagieren. Deshalb die Bedenken. Racing Point-Technikchef Andy Green bestätigt: „Wir haben die Aufhängung für das 2020er Auto fertiggestellt. Wenn neue Reifen.ormen kommen, müssen wir alles wieder umbauen.“
Todt stellt sich hinter Pirelli
Diesmal stellte sich jedoch FIA-Präsident Jean Todt auf die Hinterfüße. Der Franzose mahnte die Teams zur Vernunft. Man könne Pirelli nicht immer kritisieren, ihnen dann aber jede Hilfe verweigern. Um die Konstruktionen für 2020 noch zu ändern, brauchte es im Feld 70 Prozent Zustimmung. Die gibt es.
Doch um den Extra-Test noch ins Programm zu schieben, müssten alle Teams Ja sagen. Da konnte man mit den Stimmen der Mercedes-Teams nicht rechnen. Die FIA brachte geschickt das Thema Sicherheit ins Spiel. Wenn man von Pirelli ein besseres Produkt verlange, müssen man auch sicherstellen, dass es funktioniert. Und das geht eben nur mit einem zusätzlichen Test. Racing Point-Teamchef Otmar Szafnauer poltert: „Bedeutet das, dass die aktuellen Reifen unsicher sind? Wir brauchen keine neuen Reifen.“
Der letzte Plan ist, dass am 6. und 7. Oktober noch zwei Testtage in Barcelona eingeschoben werden, an denen Mercedes, Ferrari und Red Bull die neue Konstruktion für 2020 ausprobieren. Pirelli sucht sich dann die beste Lösung aus und verteilt beim Freien Training in Austin jeweils einen Satz der neuen Konstruktion an alle Teilnehmer. So haben auch die kleinen Teams eine Chance, das neue Produkt kennenzulernen.