Tracktest Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo

Braucht die Welt noch einen Markenpokal? Die Antwort: Ja, besonders diesen. Denn der Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo ist kein Markenpokal-Auto – sondern ein vorwitzigschneller GT-Rennwagen mit richtig Abtrieb. Ein Tracktest.
Markenpokale sind ja eine tolle Sache, denn es herrscht Chancengleichheit. In der Theorie siegt der schnellste Fahrer, während er in allen anderen Spielarten des Motorsports wie ein Hampelmännchen an der Güte des Rennautos hängt – und damit am Budget.
Huracán LP 620-2 Super Trofeo stampft Gallardo ST in Boden
Markenpokal-Autos sind aber oft recht kurzsichtige Übersetzungen aus der automobilen Alltagsödnis, sprich: Man schnallt Slicks aufs Serienauto, passt kurz das Fahrwerk an, fertig. Es folgt ein riesiger PR-Rabatz des Herstellers, denn er gewinnt ja alle Rennen – und macht obendrein noch einen fetten Reibach.
Die Aussagekraft der Resultate ist trotz der Chancengleichheit oft begrenzt, denn kaum jemand hat den Sprung vom Clio-Cup-Meister zum GT-König geschafft. Ein Markenpokal bereitet Piloten oft auf nichts anderes vor als auf Markenpokale.
„Si, si.“ Giorgio Sanna reagiert keineswegs verstimmt, im Gegenteil. „Sono d'accordo!“ Sanna hat bei der neu gegründeten Sportabteilung von Lamborghini den Hut auf, drunter trägt er eine Glatze. Ein typischer Italiener, leidenschaftlich und impulsiv. Wenn es um sein neues Baby, den Markenpokal-Renner Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo geht, kontert er Leidenschaft aber mit Zahlen und Fakten, bezogen auf den Vorgänger Gallardo ST.
„50 PS mehr Leistung, 86 Kilo weniger Gewicht, eine um 45 % höhere Steifigkeit, 43 % mehr Abtrieb, 15 % weniger Luftwiderstand.“ Sanna fixiert sein Gegenüber, als wolle er die Trefferwirkung des Zahlen-Schwingers überprüfen. Was bedeutet das in Rundenzeit? „In Sepang 3,5 Sekunden pro Runde, ohne Set-up-Feintuning – out of the box.“
Auf der Rennstrecke im Huracán LP 620-2 Super Trofeo
Der Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo soll die neue Benchmark im Haifischbecken der Markenpokale werden. Sanna und Lamborghini haben es sich dabei keineswegs leicht gemacht, denn das neue Auto soll junge Fahrer nach vorne bringen, sie auf den GT-Sport vorbereiten – aber gleichzeitig auch zahlungskräftige Amateure anlocken, ohne sie einzuschüchtern oder gar abzuschrecken.
Mit 620 PS und Heckantrieb ist der neue Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo der 800-Pfund-Gorilla im Markenpokal-Zoo. Eingeschüchtert? Ja, ich, und aus gutem Grund. Erstens quillt mir die Soße aus allen Poren, denn über der malaysischen Piste in Sepang hängt eine Hitzeglocke aus 30 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Und nein, ich kenne die Strecke nicht. Nein, ich kenne das Auto nicht – und ja, es fängt wie immer an Sepang-Nachmittagen gerade an zu regnen.
Werkstester Fabio Babini macht auf cool: „Nur ein ein paar Tropfen, trocknet schnell ab.“ Kupplung treten, Startknopf drücken, Neutral einlegen, die Wippe rechts ziehen. „Kupplung nur beim Anfahren“, raunzt Fabio noch, und wummst die Fiberglas-Tür zu.
Kampfstier oder Schoßhund?
Kupplung kommen lassen und – die erste Überraschung: Der Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo fährt los wie ein Kia-Klappstuhl mit 70 Säusel-PS. Das war easy! Hinaus auf die berühmte GP-Piste, die erste Kurve ist so eng wie ein Aldi-Parkplatz, die zweite auch, der Lambo radiert Richtung Wiese. Sepang – eine Kultstrecke?
Jetzt wird es zügiger, der V10 schreit in die Gehörgänge, als wären Mensch und Maschine durch ein Stethoskop verbunden. Die Gänge fliegen mit einem Affenzahn rein, nach zehn Schaltvorgängen hat man das Thema Getriebe im Kopf abgehakt. Lenkung: mitteilsam, präzise, gefühlvoll. Das erste harte Bremsmanöver, vier Gänge herunterschalten – ich muss vor der Kurve neu anfahren. Zu Deutsch: die Bremse taugt, die Streckenkenntnis nicht.
Rennautos Komplimente zu machen ist einfach, denn man ist ja immer beeindruckt. Aber im Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo benötigt man zwei Runden, dann beginnt man zu spielen. Der Kampfstier ist kein Schoßhund, aber er schafft Vertrauen, wiegt in Sicherheit. Wenn man pusht, wird er nicht bissig, sondern kommuniziert die Grenzen klar: Das geht – und das geht nicht!
Lamborghini Huracán LP 620-2 ST mit guter Balance
Die Traktionskontrolle ist sauber abgeschmeckt, man kann an ihrer Kennung fein entlangbeschleunigen, laszive Gierwinkel sind erlaubt, die numerische Macht von 620 PS verblasst zur Respektlosigkeit. Der verbindliche Umgang beeindruckt, wie eine Spinne webt der Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo den Fahrer in sein Netz.
Was besonders auffällt: Die Balance ist sehr gut, dito die mechanische Traktion, auch dank der fetten, über 300 Millimeter breiten Pirelli- Slicks. Bei hohem Tempo kommt eine ordentliche Schippe Abtrieb dazu, daher gehen die harten Bremsmanöver in Sepang bei Tempo 270 so locker von der Hand, als hätte man nie etwas anderes gemacht.
Nach sechs Runden ist der Schnupperkurs beendet. „Nice, eh?“ Sanna grinst durchs Seitenfenster, er kennt meinen Gesichtsausdruck. „Unsere Profi-Tester Fabio Babini und Adrian Zaugg hatten das gleiche Grinsen im Gesicht. Unsere zehn Nachwuchspiloten auch. Und die Gentleman-Fahrer, die hier in Sepang das neue Auto erstmals fahren durften, waren stumm vor Begeisterung!“ So viele Menschen können unmöglich lügen. Tun sie auch nicht. Und wie blöd werden die schauen, wenn sie mal das neue GT3-Auto gefahren sind ...?
Der Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo ist eine Ableitung des neuen GT3-Autos, das im Januar 2015 präsentiert wurde. Sie sind Brüder, teilen sich das Erbgut. Das Chassis hat die Rennabteilung Squadra Corse selbst entwickelt. „Der Käfig geht jetzt durch die hintere Feuerwand und stützt sich auf den Aufnahmen der Radaufhängung ab, das verbesserte die Steifigkeit“, erklärt Sanna. „ Beim Hybridchassis aus Aluminium und Carbon wurde neben der Käfigintegration auch die Aufnahme fürs Getriebe geändert, denn das neue Renngetriebe von Xtrac ist nur halb so groß und halb so schwer wie das Seriengetriebe.“ Und weil es deutlich kürzer baut, konnte obendrein auch noch die Gewichtsverteilung optimiert werden.
Nur der V10 ist wirklich Serie
Kompromissbehaftete Übernahmen aus der Serie – wie einst beim Gallardo – wurden radikal eliminiert: Elektronik und Kabelbaum sind Rennteile, die Motec-ECU M182 ersetzt die serienmäßige Steuerung. „ Wir haben alles neu vernetzt, ECU, TC, ABS und die elektronische Getriebesteuerung von Magneti Marelli“, erklärt Giorgio Sanna. Das Renn-ABS im Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo kommt übrigens von Bosch.
Wirklich Serie ist nur noch der V10-Motor mit 5,2 Litern Hubraum. „Der muss nur alle 10.000 Kilometer zur Revision, das Getriebe ist auf 8.000 Kilometer ausgelegt, nach 4.000 Kilometern wird es mittels eines Wartungs-Kits überholt.“ Kostenkontrolle und Servicefreundlichkeit standen ganz oben auf der Prio-Liste von Lamborghini: „Das Auto kann dank der Schnellverschlüsse des Body-Kits binnen weniger Minuten komplett gestrippt werden. Alle Karosserieteile sind aus Fiberglas, einfach weil es billig ist. Nur die Abtrieb erzeugenden Bauteile wie Heckflügel, Heck- und Frontdiffusor sind aus Carbon-Fiber gefertigt.“
Der zehnfach verstellbare Heckflügel lässt das Trimmen der Aerodynamik je nach Rennstrecke in Verbindung mit Anpassungen am Frontdiffusor sowie an den Louvern oberhalb der Vorderräder zu. Die lange Liste an Änderungen macht klar: Den Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo verbindet nichts mit seinem Vorgänger, dafür stiegen die Gemeinsamkeiten mit dem neuen GT3-Wagen überproportional an. So hat der Huracán zwei Alleinstellungsmerkmale: Er ist nicht nur der stärkste Markenpokal-Rennwagen der Welt, sondern auch derjenige mit dem engsten Verwandschaftsverhältnis zum GT-Rennsport – der Huracán ST ist in Wahrheit also ein Huracán GT.
Markenpokale sind wirklich eine tolle Sache, ganz besonders dann, wenn sie die Welt mit reinrassigen Rennwagen beglücken – und eben nicht mit faulen Kompromissen.
Endurance-Expansion
Der Lamborghini Huracán LP 620-2 Super Trofeo ist nicht einfach nur ein Markenpokal-Auto: Die FIA hat ihn homologiert, er hat alle GT3-Crashtests bestanden. Warum? Damit Huracán-Teams ihr Auto auch bei Langstreckenrennen einsetzen können, z. B. in Dubai oder auf dem Nürburgring. Dafür gibt es von der Squadra Corse einen speziellen Langstrecken-Kit, der ein Upgrade für die Bremsanlage beinhaltet (mit dickeren Belägen und einer Schnellwechselvorrichtung) sowie zusätzliche Frontscheinwerfer, um die Kurven besser auszuleuchten, dazu eine beheizbare Frontscheibe und einen Kühlungs-Kit für die Piloten. Der Huracán kommt serienmäßig mit einem 120-Liter-Tank, der bei Langstreckenrennen eingesetzt werden kann.