Trainingsanalyse GP Abu Dhabi 2019
Mercedes dominierte den ersten Trainingstag. Nur Max Verstappen scheint in der Lage, Lewis Hamilton die Pole Position oder den Sieg streitig zu machen. Wenigstens um Valtteri Bottas muss sich der Red Bull-Pilot nicht kümmern. Der startet wegen einer Motorstrafe von hinten
Mercedes dominierte beide Trainingssitzungen. Valtteri Bottas markierte zwei Mal Tagesbestzeit. Für ihn eigentlich irrelevant. Der Finne wird wegen seiner Motorstrafe von ganz hinten starten. Lewis Hamilton könnte nach dem Stand vom Freitag deshalb leichtes Spiel an der Spitze haben. Nur Max Verstappen sieht wie ein wehrhafter Gegner aus. Dazu muss Red Bull aber noch den goldenen Schlüssel mit der Abstimmung finden. Bis jetzt ist der RB15 nur auf den Medium-Reifen eine Waffe.
Ferrari hat die erwarteten Schwierigkeiten. Die roten Autos verlieren zu viel Zeit im letzten Streckensektor. Das können sie auf den Geraden der ersten beiden Abschnitte nicht herausreißen. Sie sind dort zwar die schnellsten, aber eben nicht mehr mit dem Vorsprung, den man bis vor ein paar Rennen noch auf die Gegner hatte. In den elf Kurven von Sektor 3 werden die Hinterreifen zu heiß. Sebastian Vettel und Charles Leclerc landeten in Kurve 19 jeweils in der Leitplanke.
Der erste Trainingstag hat auch gezeigt, dass die Teams im Rennen hauptsächlich auf die Mischungen Medium und Hart zurückgreifen werden. Pirellis weichster Reifen beginnt nach fünf Runden einzubrechen. Die Rundenzeiten steigen in zwei Schritten jeweils um eine Sekunde an. Deshalb sind die Soft-Longruns auch schwer zu vergleichen. Jede Runde länger auf den Soft-Gummis hat den Durchschnittswert massiv nach oben getrieben. Lewis Hamilton demonstrierte mit dem schnellsten Longrun die Qualitäten des Mercedes. Kein Auto hält die Reifen so gut in Schuss wie der Silberpfeil. Auf den Medium-Reifen ist Red Bull eine größere Gefahr.
Im Mittelfeld machen zwei Teams eine starke Figur, die zuletzt nicht so geglänzt haben. Romain Grosjean profilierte sich in beiden Trainings als der schnellste Fahrer außerhalb der Top 6. Auch die Racing Point präsentierten sich in starker Form. McLaren und Toro Rosso tummeln sich im Mittelfeld. Erschreckend schwach sind Renault und Alfa Romeo-Sauber.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1.) Hat Mercedes einen Gegner?
Die Statistik weist Mercedes als Abu Dhabi-Spezialisten aus. Seit Beginn der Hybridära standen immer zwei Mercedes in der ersten Startreihe. Diesmal wegen der Motorstrafe für Bottas zum ersten Mal nicht. Und schon wieder bestimmen die Mercedes das Tempo auf dem Yas Marina Circuit.
Was macht die Silberpfeile so stark auf dem 5,554 Kilometer langen Kurs? Es sind das Layout und die speziellen Bedingungen. Keiner schafft es so gut wie Mercedes, die Vorderreifen auf dem in den Abendstunden relativ kühlen Asphalt so schnell in den Wohlfühlbereich zu bringen und sie trotzdem nicht zu zerstören. Dazu kommt, dass der Kurventyp im letzten Sektor dem W10 liegt. Runterbremsen bis auf 100 bis 130 km/h, dann beschleunigen, ohne dass die Vorderreifen körnen und die Hinterreifen überhitzen. Das schafft keiner annähernd gut.
Am ehesten noch der Red Bull. Doch da steckt man noch tief im Labyrinth der Setup-Findung. „Wir bräuchten vorne den weichen und hinten den Medium-Reifen“, träumt Sportchef Helmut Marko. Weil das natürlich nicht geht, muss an der Feinabstimmung des RB15 gearbeitet werden. „Wenn alles passt, können wir mit Hamilton mithalten“, ist der Grazer überzeugt. Marko hat auch schon eine Idee, woran es liegen könnte: „Wir waren zu schnell auf den Geraden und zu langsam im Sektor 3.“ Das heißt mehr Abtrieb.
In dem Longrun auf Pirellis mittlerer Mischung war der Weltmeister im Schnitt nur um zwei Zehntel schneller als Alexander Albon. Der war im zweiten Stint allerdings mit weniger Benzin unterwegs. Max Verstappen nicht. Red Bull tankte für den Medium-Longrun in der zweiten Hälfte des Trainings noch einmal auf, um vergleichbare Bedingungen zu schaffen. Red Bull hat auch bei der schnellsten Runde mit verdeckten Karten gespielt. Mercedes liest aus den GPS-Analysen, dass Honda bei Verstappens schnellster Runde die Motorleistung zurückgedreht hat. Unter dem Strich hat das eine halbe Sekunde gekostet. Und das ist ungefähr der Unterschied auf der Uhr.
2.) Wo kann Bottas im Rennen landen?
Maximal auf Platz sechs, sagen die Strategen. Auch mit seinem großen Speedvorteil wird sich der Finne schwer tun, vom 20. Startplatz aus nach vorne zu kommen. Überholen ist auf dem Yas Marina Circuit ein Kunststück, weil es vor den beiden langen Geraden schwer ist, am Vordermann dranzubleiben. „Um Valtteri weiter nach vorne zu bringen, brauchen wir ein SafetyCar“, fürchten die Ingenieure.
3.) Was war mit Ferrari los?
Auf eine Runde sieht der Rückstand der Ferrari noch erträglich aus. 0,386 Sekunden bei Charles Leclerc, 0,435 Sekunden bei Sebastian Vettel. In den Longruns aber waren die roten Autos chancenlos. „Das alte Lied“, meinte Vettel. „Uns fehlt einfach Abtrieb. Und das straft uns vor allem in den vielen langsamen Kurven.“ Nach zwei Sektoren lag Leclerc in seiner schnellsten Runde noch in Führung. Im letzten Abschnitt büßte der Monegasse sechs Zehntel auf Hamilton ein.
Das ganze Bild erinnert irgendwie an Barcelona, als man zwei Sektoren lang noch mithalten konnte, im Schlussabschnitt mit vielen langsamen Kurven aber massiv Zeit einbüßte. Vettel war im dritten Sektor schneller als sein Teamkollege, dafür aber im zweiten etwas langsamer. „Unser Problem war, dass die Hinterreifen am Schluss der Runde immer heißer wurden. Ich verliere allein in den zwei Kurven unter dem Hotel durch zwei Zehntel auf Max.“
Dann grübelte der Deutsche, was zuerst da war: Die Henne oder das Ei: „Sind wir in den Kurven so langsam, weil uns der Abtrieb fehlt und die Reifen in der Folge überhitzen, oder werden die Reifen generell zu warm und dann fehlt uns auch noch der Anpressdruck?“ Im Gegensatz zu früher machen die Ferrari die verlorene Zeit in den Kurven nicht mehr auf den Geraden gut. Leclerc gewinnt auf Verstappen in den Vollgaspassagen nur ein Zehntel und auf Hamilton vier Zehntel.
4.) Was ist das Problem in Kurve 19?
Kurve 19 stand im Mittelpunkt der Action. Beide Ferrari küssten die Leitplanke. Valtteri Bottas konnte seinen Mercedes gerade noch so abfangen. Antonio Giovinazzi legte einen Dreher hin, ohne anzuschlagen. Was war da los in der 90-Grad Linkskurve hinter dem Yas Marina-Hotel? „Wenn du nur ein bisschen von der Linie abgekommen und neben der Strecke gelandet bist, war es dort wahnsinnig rutschig“, gab Leclerc zu Protokoll. Vettel scherzte: „ Ich würde sagen, unser Auto war dort rutschig.“ Da die Kurve fast am Ende der Runde liegt, hatten dort die Reifen schon wieder Grip verloren. Und neben der Strecke ist wenig Platz zum korrigieren.
5.) Wer regiert im Mittelfeld?
Wenn man sich nur die schnellsten Runden anschaut, dann hat HaasF1 das schnellste Auto vor Racing Point und Toro Rosso. Bezieht man die Longruns mit ein, ist in der Summe aller Eigenschaften Toro Rosso am besten aufgestellt. Pierre Gasly legte sowohl auf den Soft-Reifen als auch auf den harten Sohlen zwei exzellente Dauerläufe hin. Auch bei Racing Point geht es wieder bergauf. „Wir waren im letzten Rennen von der Power etwas gehandikapt“, führt Technikchef Andy Green ins Feld. Auf 27 Meter über dem Meer herrscht wieder Normalzustand.
Die beiden Racing Point konnten vor allem in den Medium-Longruns überzeugen. Renault war nur in den Rennsimulationen konkurrenzfähig. „Dafür können wir uns aber nichts kaufen. Du brauchst her eine gute Startposition, weil das Überholen so schwer ist“, fordert Daniel Ricciardo. Der Australier sieht zwei Ansatzpunkte: „Zuerst müssen wir verstehen, warum wir bei kühleren Temperaturen langsamer geworden sind. Wir bekamen plötzlich Übersteuern. Die zweiten 50 Prozent müssen vom Setup des Autos kommen. Das war nicht ideal.“ Auch bei Alfa-Sauber sieht man noch viel Verbesserungsbedarf. „Wir hatten viele kleine Probleme. Und wenn dann die Zeiten im Mittelfeld so eng zusammenliegen, bist du gleich hinten. Ich bin sicher, dass wir das morgen noch umdrehen können“, hofft Teamchef Frédéric Vasseur.
6.) Warum war Grosjeans Unfall so fatal?
Romain Grosjean markierte in beiden Trainingssitzungen die beste Zeit hinter den Topteams. Auch der Longrun fühlte sich ordentlich an. Bis ihm Valtteri Bottas in die Quere kam. „Der Angriff von Valtteri war vielleicht etwas optimistisch“, gab man bei Mercedes zu. „Ich habe nicht mehr erwartet, dass er mich dort noch überholen will“, erzählte Grosjean. Die Sportkommissare sprachen für Bottas nur eine Verwarnung aus.
Für HaasF1 war die Kollision fatal. Bei dem Zusammenstoß ging der Experimentalunterboden kaputt. Ein Einzelstück. „Wir probieren ihn schon seit ein paar Rennen, um unsere Probleme besser zu verstehen. Hier hat er plötzlich so gut funktioniert, dass wir ihn für das Rennen drauflassen wollten. Das können wir jetzt vergessen“ , ärgerte sich Teamchef Guenther Steiner. Mit dem Standardunterboden wird Grosjean in die Region fallen, in der sich Teamkollege Kevin Magnussen bewegte. Zwischen Platz 10 und 15. Steiner fluchte: „So viel Pech wie wir in diesem Jahr kann keiner haben.“