Trainingsanalyse GP Russland 2018
Bittere Pille für Ferrari. Am ersten Trainingstag zum GP Russland dominierte Mercedes. Und Ferrari muss sich derzeit noch mit den überraschend schnellen Red Bull herumschlagen. Ein Problem der roten Autos ist der schwache Topspeed.
So wird Ferrari nicht Weltmeister. Wie in Singapur kamen die roten Autos auf dem Papier als Favorit nach Sotschi. Und wieder musste Ferrari feststellen, dass Mercedes stärker ist als erwartet. Die Silberpfeile nahmen ihren Gegnern auf eine Runde und in den Longruns jeweils eine halbe Sekunde ab. Am ersten Trainingstag zum GP Russland machte sogar Red Bull einen stärkeren Eindruck. Der WM-Dritte überraschte sich selbst. Wenn Red Bull die Form halten kann, hat man sich möglicherweise die falsche Strecke für den Motorwechsel ausgesucht.
Ferrari verlor in Sotschi dort Zeit, wo man normalerweise Boden auf Mercedes gutmacht. Sebastian Vettel war auf allen Messstellen auf den Geraden langsamer als WM-Gegner Lewis Hamilton. Teilweise signifikant. Im Moment sieht es auch nicht danach aus, als könnte Ferrari mit der besseren Reifenabnutzung punkten. Der Hypersoft-Reifen ist bei allen Autos kritisch und damit ein Reifen, den man am Sonntag am liebsten nicht anfassen will. Dummerweise hat Ferrari für Vettel neun Garnituren Hypersoft gehortet. Aber auch der Ultrasoft-Reifen verlangt viel Streicheleinheiten. Die mittlere Reifenmischung könnte diesmal für alle im Feld der Reifen werden, mit dem man sich im Q2 qualifiziert.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Was war mit Ferrari los?
Im letzten Jahr startete Ferrari mit zwei Autos aus der ersten Reihe. Davon ist man im Moment 0,543 Sekunden entfernt. Auch in den Longruns fällt die Bilanz nicht besser aus. Im direkten Vergleich verliert Sebastian Vettel auf Ultrasoft-Reifen 0,491 Sekunden auf Valtteri Bottas und 0,489 Sekunden auf Lewis Hamilton. Max Verstappen war 53 Tausendstel schneller. Vettel, Hamilton und Verstappen waren jeweils 14 Runden unterwegs, Bottas sogar 15. Weil die Hypersoft-Reifen eine so kurze Lebensdauer haben, verzichteten die meisten Teams auf eine echte Rennsimulation. Dazu zählten auch Mercedes, Ferrari und Red Bull.
Aus den wenigen fliegenden, jedoch unzusammenhängenden Hypersoft-Runden lässt sich nicht viel herauslesen, außer dass Mercedes auch hier am schnellsten ist. Hamilton kam auf einen Schnitt von 1.33,466 Minuten, Vettel auf 1.33,975 Minuten und Verstappen auf 1.34,125 Minuten. Der Red Bull.Pilot fuhr jedoch seinen Hypersoft-Stint gleich zu Beginn des zweiten Trainings, während seine Rivalen die weichste Gummimischung mittendrin einstreuten. Da war die Strecke durch mehr Gummiauflage schon schneller.
Die Ferrari verlieren ihre Zeit in den Sektoren 1 und 3. Der erste Abschnitt beinhaltet die 1,1 Kilometer lange Zielgerade. Wenn man die im Windschatten erzielten Topspeed-Werte von Valtteri Bottas und Kimi Räikkönen herausrechnet, dann hat Mercedes am Ende der Zielgerade überraschend deutlich die Nase vorn. Hamilton kam auf 326,9 km/h Topspeed, Vettel nur auf 318,3 km/h. Fährt Ferrari mit mehr Abtrieb? „Vielleicht waren wir da zu konservativ, um die weichen Reifen zu schützen“, hieß es bei Ferrari. Haben die Italiener vielleicht den Motor mehr heruntergedreht als üblich? Auch hier Bedauern. Ferrari spulte sein normales Freitagsprogramm ab. „Wir waren einfach zu langsam“, bilanzierte Vettel. Auch bei der Reifenabnutzung sieht der WM-Zweite keinen Vorteil. „Wir mussten auf den Hypersoft und den Ultrasoft viel Reifenmanagement betreiben.“ Valtteri Bottas glaubt: „Ferrari hat seine wahre Stärke noch nicht gezeigt.“
2) Wo gewinnt Mercedes?
Eigentlich überall. Im ersten Sektor nimmt Hamilton WM-Rivale Vettel 0,283 Sekunden ab, im dritten 0,253 Sekunden. Nur im Mittelsektor herrscht Gleichstand. Der erste Abschnitt ist der Power-Sektor, im dritten mit sechs 90 Grad-Kurven zählt die Traktion. Dort muss Mercedes nur Red Bull fürchten. Die verlieren ihre Zeit auf die Silberpfeile in den Sektoren 1 und 2. Das sind genau die Passagen mit den beiden langen Geraden. Auf der Zielgerade fehlen Verstappen 10,6 km/h auf Hamilton, auf der Gegengerade sind es 9,4 km/h. Offenbar hat das Aero-Upgrade von Mercedes mehr gebracht als die neuen Flügel bei Ferrari. „Bei uns war es nur ein normaler Schritt“, erklärte Vettel. Allerdiings bastelt Ferrari noch an der optimalen Zusammenstellung der neuen Elemente herum. Für Samstag werden die roten Autos noch einmal komplett umgebaut. Hamilton und Bottas dagegen stellten dem Mercedes-Upgrade auf Anhieb gute Noten aus: „Ein klarer Schritt vorwärts. Wir spüren mehr Grip.“
3) Hat Red Bull die falsche Strecke für die Motorstrafen gewählt?
Im letzten Jahr war das Sochi Autodrom Red Bulls schwächste Strecke. Deshalb legte man die Motorstrafen auf diesen Grand Prix. Diesmal sieht es wider Erwarten viel besser für Max Verstappen und Daniel Ricciardo aus. Noch fährt man auf Augenhöhe mit Ferrari. Was sich wieder ändern wird, wenn Mercedes und Ferrari die Power hochdrehen. Trotzdem ist die Frage erlaubt, ob Red Bull sich die falsche Strecke für den Motorenwechsel ausgesucht hat. Motorsportchef Helmut Marko äußert sich vorsichtig. „Es sieht vielleicht danach aus, aber wir glauben trotzdem, dass wir in Suzuka und Mexiko noch besser dastehen werden.“ Die Red Bull retten sich dank ihrer exzellenten Traktion über den Speedverlust auf den Geraden hinweg. Das könnte ein mühsames Rennen für Verstappen und Ricciardo von der vorletzten Startreihe werden. „Überholen ist wahnsinnig schwer. Ricciardo hat drei Runden gebraucht, bis er an Leclerc vorbei war“, erklärte Marko.
4) Fahren alle im Q2 mit Ultrasoft-Reifen?
Das könnte ein interessantes Q2 werden. Weil das Delta zwischen dem Hypersoft- und Ultrasoft-Reifen nur bei 8 Zehntel liegt, bietet es sich für die Topteams an, das Q2 auf Ultrasoft-Reifen zu bestreiten. Damit könnte man am Sonntag ganz auf den Hypersoft-Gummi verzichten. Der zeigte bei aggressiver Fahrt schon nach drei Runden links vorne deutliche Kampfspuren und hinten starkes Körnen.
Nur sechs Fahrer haben echte Hypersoft-Longruns probiert. Kevin Magnussen ist mit Pirellis weichster Mischung zwar 22 Runden gefahren, doch sein Longrun war mit 1.43,070 Minuten der mit Abstand langsamste. „Du kannst mit dem Hypersoft längere Distanzen fahren. Dafür musst du aber freiwillig zwei Sekunden pro Runde langsamer fahren“, erzählt Force India-Chefingenieur Tom McCullough.
Auch für die Teams im Mittelfeld ist der Hypersoft-Reifen im Q2 nicht erste Wahl. Force India, Renault und HaasF1 haben noch das Drama von Singapur im Kopf. Da fielen die Hypersoft-Starter aus den Top Ten mit Ausnahme von Nico Hülkenberg aus den Punkterängen und die Fahrer, die ab Platz 11 mit Ultrasoft-Reifen starten konnten, haben davon profitiert. HaasF1-Teamchef Guenther Steiner prophezeit: „Im Q2 werden auch viele Teams aus dem Mittelfeld den Ultrasoft-Reifen benutzen. Kommst du durch ins Q3 ist es ideal, wenn nicht startest du mit guten Chancen auf den Plätzen 11 oder 12.“ Hülkenberg zweifelt: „Es ist ganz schwer, das so genau zu timen. Wenn du zwei Zehntel zu viel verlierst, stehst du plötzlich auf Platz 15.“ Die Frage ist: Wer im Mittelfeld spielt die Karte guter Startplatz und riskiert einen Start auf Hypersoft, um so ins Q3 zu kommen?
5) Wer ist die vierte Kraft?
Auf den Soft-Reifen hatte ganz klar Force India die Nase vorn. Eine halbe Sekunde vor Renault, mehr als eine Sekunde vor Toro Rosso. Die HaasF1-Piloten haben im zweiten Training die Finger von den Soft-Reifen gelassen. Romain Grosjean hat wie Vettel nur einen Satz Soft im Kontingent. „Wir wussten, dass der Soft-Reifen der beste Rennreifen sein wird. Deshalb haben wir uns auf die anderen Reifentypen konzentriert“, erzählt Teamchef Guenther Steiner. Die HaasF1 waren mit Abstand die langsamsten Autos auf den Geraden. Auch eher unüblich. „Wir haben viel zu viel Abtrieb draufgepackt“, so Steiner.
Bei Toro Rosso macht sich dagegen der Honda-Faktor schon bemerkbar. Der Spec 3-Motor soll bis zu 40 PS mehr bringen, wird aber in Russland nicht im höchsten Power-Modus gefahren. „Das hebt sich Honda für Suzuka auf“, bestätigte Marko. Pierre Gasly und Brendon Hartley landeten in den Topspeed-Listen trotzdem im Mittelfeld. Sauber steht vor dem Rätsel, warum bei ihren Autos gegen den Trend der Hypersoft-Reifen weniger kritisch ist als der Ultrasoft-Gummi. Marcus Ericsson markierte auf Pirellis Superkleber den schnellsten Longrun, und der Schwede war immerhin 14 Runden lang unterwegs. Charles Leclerc dagegen rückte mit den Ultrasoft-Sohlen aus und kam nur auf den vorletzten Platz. Langsamer war nur noch Stoffel Vandoorne im McLaren. Dort zeichnet sich das gleiche Drama ab wie schon in Paul Ricard oder Spa. Man schlägt sich mit Williams um die letzten Plätze.
6) Sind die DRS-Zonen lang genug?
Trotz Verlängerung der DRS-Zonen klagten alle Fahrer darüber, dass Überholen praktisch unmöglich ist. Das könnte sich nur dann ändern, wenn einige Fahrer den Start-Turn auf Hypersoft-Reifen fahren müssen und nach fünf oder sechs Runden so viel Zeit verlieren, dass das Delta zu den Fahrern auf härteren Gummimischungen groß genug zum Überholen wird. FIA-Rennleiter Charlie Whiting teilte den Piloten mit, dass man derzeit prüfe, ob man die DRS-Zonen noch einmal verlängern kann. „Wir müssten dafür vier Sensor-Schleifen im Asphalt verlegen. Das ist gar nicht so einfach. Wenn da etwas schief läuft, kommt es zu Fehlern.“ Auf die Frage um wie viel antwortete Daniel Ricciardo: „So viel wie möglich. Die DRS-Zone kann nicht lang genug sein.“ Klar, dass er so denkt. Der Australier startet von Platz 17.