„Ich würde lieber warten“
Die Formel 1 arbeitet an einem neuen Rennkalender. Grands Prix ohne Zuschauer sind eine Option. Sebastian Vettel würde davon lieber absehen. "Wir sollten keine Schnellschüsse machen."
Es ist eine Situation, die für alle neu ist. Das Coronavirus zwingt die Sportwelt zu ruhen. In der Formel 1 läuft kein Motor und es dreht sich kein Rad. Doch hinter den Kulissen arbeiten das Formel-1-Management und der Motorsportweltverband FIA an einem neuen Rennkalender.
Weil keiner weiß, wann es tatsächlich wieder losgehen kann, spielen die Verantwortlichen unterschiedliche Szenarien durch. Positive wie negative. Es gibt nicht die eine Strategie, sondern mehrere Pläne. Was passiert, wenn im Juli wieder gefahren werden darf? Was, wenn erst im Oktober?
Auf Qualität des Sports achten
Um möglichst viele Rennen unterzubringen, will die Formel 1 besser früher als später starten. Mehr Rennen bedeuten höhere Einnahmen durch Sponsoren, vor allem aber durch die TV-Stationen. Und genau darauf sind die Teams angewiesen, um mit möglichst geringem Schaden durch die Krise zu kommen. Deshalb sind auch Geisterrennen eine Option.
Ein Grand Prix im kleinen Kreis ohne Zuschauer auf den Tribünen minimiert das Risiko, den gefährlichen Virus zu übertragen. Doch ein Rennen ohne Fans raubt einem Grand Prix auch die Atmosphäre. Besonders an Rennstrecken, die für gewöhnlich ausgebucht sind. Zum Beispiel Österreich, England, Ungarn, Belgien oder Italien, die im europäischen Sommer anstehen würden.
Und dann bleibt auch immer die Frage, ob Veranstalter ihr Rennen um jeden Preis halten wollen. Oder ob es überhaupt Ausweichtermine gibt. Zandvoort hat bereits angekündigt, das Comeback lieber um eine Saison zu verschieben, als vor leeren Rängen zu fahren.
Mit dem GP Bahrain war bereits ein Geisterrennen in Planung, bevor das Event abgesagt wurde. Sebastian Vettel hat zu Rennen ohne Fans eine klare Meinung. Der Heppenheimer würde sie lieber vermeiden. "Kritisch könnte man sagen, wir hatten in der Vergangenheit schon ein paar davon." Damit spielt Vettel auf Länder an, in denen die Formel 1 keine breite Fan-Basis hat. "Ich bin kein Fan davon. Geisterrennen wären fad und würden sich bestimmt komisch anfühlen. Für uns vor Ort, aber auch für die Zuschauer vor dem Fernseher. Es wird sicher Leute geben, die es trotzdem verfolgen. Aber für sie wird das Erlebnis am TV nicht dasselbe sein, wenn es vor Ort leere Ränge gibt", meint der Ferrari-Pilot.
Vettel holt weiter aus: "Natürlich muss man abwägen. Einerseits gibt es den wirtschaftlichen Aspekt der Formel 1. Dass sie primär überlebt und mit den Teams weiter existiert. Andererseits muss man auf die Qualität und das Bild des Sports achten. Ein Rennen ohne Zuschauer ist nicht richtig in der Hinsicht, dass wir glaube ich auch keine Schnellschüsse machen sollten. Meiner Meinung nach sollten wir eher warten und keine Geisterrennen abhalten. Das wäre sehr schade, wenn man die Öffentlichkeit so hart ausschließt."
Geduld als beste Medizin
Nicht nur FIA, F1-Management, Teamchefs und Technikchefs diskutieren über die mittelfristige und langfristige Perspektive der Formel 1. Auch die Fahrer tauschen sich aus. Es gibt Konferenzen der Fahrervereinigung GPDA (Grand Prix Drivers Association). "Wir sprechen darüber, was wir tun können. Welche Vorschläge wir einbringen können."
Vettel führt weiter aus: "Es müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden. Auf der einen Seite geht es um den Sport, um das Business. Auf der anderen Seite haben wir Verantwortung für die Leute im Fahrerlager. Und für die Fans. Wir müssen sicherstellen, dass wir uns um das Wohlbefinden aller Teilnehmer und das der Öffentlichkeit kümmern."
Abwägen heißt das Zauberwort: "Es gibt viele Optionen, die durchgespielt werden. Was ist das beste Format, um Rennen wieder zu ermöglichen? Mit oder ohne Fans? Ich glaube, keiner mag es, vor leeren Rängen zu fahren. Aber natürlich: Wir müssen den richtigen Zeitpunkt finden, wieder fahren zu können. Mit Geisterrennen geht das wahrscheinlich schneller. Ich denke aber, die beste Medizin ist es, geduldig zu bleiben. Auch wenn es schmerzt."
Stellenwert der WM bleibt
Es könnte eine Weltmeisterschaft mit 18 Rennen geben. Oder vielleicht nur mit zehn. Vielleicht aber auch gar keine. Mindestens acht Rennen sind notwendig, damit die Saison offiziell als Weltmeisterschaft gewertet wird. Würde eine kleine Saison die WM entwerten?
Vettel findet das nicht: "Egal, ob zehn, 15 oder 25 Rennen. Der Wert wäre der gleiche. Es gewinnt immer noch derjenige, der am konstantesten seine Leistung abliefert. Aber klar: Bei weniger Rennen ist jedes einzelne noch wichtiger", befindet der Mann, der bislang bei 240 Grands Prix am Start stand. Weil jeder Ausfall, jeder Punktverlust noch schwerer zu kompensieren wäre.
Welches Rennen würde Vettel besonders vermissen, sollte es 2020 nicht ausgetragen werden können? "Mich haben schon die Absagen oder Verschiebungen von Australien, Monaco und Kanada geschmerzt. Ganz hart würde mich Suzuka treffen. Aber das Rennen ist ja zum Glück erst im Oktober."
Wann es losgeht, ob mit oder ohne Fans, wie viele Rennen es geben wird, ob sogar noch im Januar gefahren werden wird: Das kann momentan niemand seriös vorhersagen. Es ist die Zeit des Abwartens. Eine Zeit, in der man reflektieren kann. "Es ist eine schlimme Zeit", sagt Vettel. "Doch es ist auch eine große Chance. Es ist wie ein Reset. Wir können herausfinden, was wirklich zählt. Was wirklich wichtig ist für uns und die Welt. Wir schätzen wieder die kleineren Dinge. Hoffentlich erhalten wir uns das auch nach der Krise."
Probleme verschwinden nicht
Für die Formel 1 ist die Krise aber auch eine Möglichkeit, den Sport auf ein stabileres und gesünderes Fundament zu stellen. Finanziell abzurüsten und die Schere zwischen kleinen Teams und den großen zumindest teilweise zu schließen. Vettel hat keine Patentlösung dafür, was die Formel 1 ändern muss, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden, die zum Beispiel auch den Klimaschutz betreffen.
Seiner Meinung nach werden derzeit vielmehr die entstandenen Brände gelöscht, um unmittelbaren Schaden abzuwenden, denn an das große Bild gedacht. "Aktuell macht man sich glaube ich viele Gedanken, was man ändern muss. Weil einen die Situation dorthin drängt. Die Veränderungen, die besprochen werden, kommen aufgrund der Bedrohung, vor allem der wirtschaftlichen. Ich denke, es wird weniger reflektierend darüber nachgedacht zum jetzigen Zeitpunkt, in dem Sinne, wie man die Situation auch als Chance nutzen kann."
Der viermalige Weltmeister mahnt an. "Wir sind alle in einer Art Schockstarre. Aber die Welt dreht sich weiter. Probleme, die vorher da waren, werden es auch nach der Krise sein. Sobald wir konkrete Entscheidungen getroffen haben, und sehen, wie sie in der Realität funktionieren, werden wir uns ein Urteil erlauben können. Natürlich schweben Fragezeichen über der Existenz der kleineren Teams. Als eine Familie sollten wir in der Formel 1 nach allen Beteiligten schauen."