Zoff am Ferrari-Boxenfunk
Ferrari hatte in Singapur das beste Gesamtpaket. Das kam so überraschend wie der Sieg von Sebastian Vettel. Der Heppenheimer beendete seine Durstrecke. Charles Leclerc fühlte sich durch die Taktik um den Sieg betrogen.
Ferrari war in dem Glauben nach Singapur gereist, auf dem winkeligen Stadtkurs nur die dritte Kraft hinter Mercedes und Red Bull zu sein. „Ich habe maximal mit einem Podium gerechnet“, sagte Charles Leclerc. Doch es kam alles anders. Erst stach Ferrari in der Qualifikation die Konkurrenz aus. Dann auch noch im Rennen. Der erfolgreichste Rennstall der Formel 1-Geschichte feierte seinen 238. Sieg und den ersten Doppelerfolg seit dem GP Ungarn 2017.
Teaminterne Rangfolge auf Kopf gestellt
Und dann wurde auch noch die teaminterne Reihenfolge auf den Kopf gestellt. Nicht Pole-Mann Leclerc reckte den größten Pokal in den Singapurer Nachthimmel, sondern Sebastian Vettel. Ausgerechnet Vettel, der am Samstag eine weitere Quali-Niederlage zu verkraften hatte, und in dieser Saison schon einige Tiefschläge einsteckte. Während Vettel jubelte, verstand der Teamkollege die Welt nicht mehr. Leclerc fühlte sich von der eigenen Mannschaft veräppelt. Der Sieg.r der beiden vorangegangenen Rennen tat seinem Unmut lautstark am Funk kund. Leclerc diskutierte. Leclerc haderte. Leclerc zweifelte die Entscheidungen des Teams an.
Bis zur 19. Rennrunde war der GP Singapur ein langweiliges Rennen für die Fans. Weil Ferrari Taktikschach spielte. Leclerc verteidigte den Spitzenplatz am Start und schlug an der Spitze ein so langsames Tempo an, dass man sich als Zuschauer eher in einem Formel-3-Rennen wähnte. „Es gehörte zu unserem Plan. Wir wollten das Feld zusammenhalten, um einen früheren Boxenstopp von Mercedes zu unterbinden“, erklärte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto.
Der Pilot setzte die Vorgaben um. Leclerc bummelte mit 1:49er Rundenzeiten um die hell ausgeleuchtete Bahn. Das war etwa drei Sekunden langsamer als er tatsächlich hätte fahren können. Lewis Hamilton, Sebastian Vettel, Max Verstappen, Valtteri Bottas und Alexander Albon folgten. Das Mittelfeld lag nur zehn Sekunden zurück. Hätte Mercedes da einen frühen Boxenstopp eingelegt, wäre Hamilton in den Verkehr gefallen. Und dann hätte er nicht den Vorteil der frischeren Reifen ausspielen können.
Vettel nutzt die große Chance
Doch irgendwann musste auch Ferrari die Geschwindigkeit erhöhen, um bei eigenen Boxenstopps nicht hinter langsamere Autos zu fallen. Leclerc steigerte das Tempo ab der 15. Runde. Doch die härtere Gangart ging auf die Reifen. „Sie haben schneller abgebaut, als wir erwartet hatten“, erzählte der Teamchef.
Trotzdem hatte Leclerc alles unter Kontrolle. Bis zur 19. Runde. Bis Ferrari den drittplatzierten Vettel zum einzigen Reifen.ausch einforderte. Mit der Absicht, Hamilton zu überholen. Und damit eine Kettenreaktion auslöste, die Vettel alle Trümpfe in die Hände spielte und Leclerc schlussendlich den Sieg kosten sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt fuhr der zweite Ferrari zweieinhalb Sekunden hinter dem Mercedes mit der Startnummer 44.
Vettel witterte seine große Chance. „Der Befehl, an die Box zu kommen, kam erst in der Kurve vor der Boxeneinfahrt“, berichtete der spätere Sieg.r. Das ist Kurve 21 auf dem Marina Bay Street Circuit. „Ich sah, dass Charles und Lewis draußen bleiben. Ich wusste, dass das der Moment war, wo mein Rennen aufleben kann.“ Vettel zündete die harten Reifen sofort an und nutzte den Reifen.orteil. Und siehe da: Er kam vor den Teamkollegen.
Undercut unterschätzt
Ferrari hatte den Effekt der frischeren Reifen unterschätzt. „ Der Undercut hat 3,9 Sekunden ausgemacht. Viel mehr, als wir erwartet hatten“, rechnete Binotto vor. Den Mercedes-Strategen ging es nicht anders. Auch sie wurden auf dem falschen Fuß erwischt. Wie Leclerc. Der Monegasse erklärte nach dem Rennen, dass ihn seine Strategen nicht über Vettels Boxenstopp unterrichtet hatten. „Das muss ich auch mir anlasten. Ich hätte nachfragen sollen, wer wann in der Box war.“ Wie gut Vettels Runde aus der Boxengasse war, zeigt der direkte Vergleich mit dem Teamkollegen. Der Heppenheimer spulte sie in 2:06.109 Minuten ab. Leclerc in 2:07.019 Minuten.
An diesem Rennsonntag meinte es das Schicksal nicht gut mit dem 21-jährigen Senkrechtstarter. Ferrari taktierte richtig, und tauschte dabei unbeabsichtigt die Positionen. „Mit Charles waren uns die Hände gebunden. Du kannst den Führenden nicht einfach zum Reifen.echsel einbestellen und die Position gegenüber deinen Rivalen auf der Strecke opfern. Wir mussten Sebastian auch deshalb reinholen, weil wir wussten, dass Verstappen kommen würde. Sonst hätte er Sebastian überholt“, führte Binotto aus. Verstappens Stopp war vorprogrammiert. Der Holländer kämpfte sichtbar auf abgewetzten Reifen.
Leclerc verstand die Welt nicht mehr. Und er ließ es alle Welt wissen, dass er sich ungerecht behandelt fühle. „Was zur Hölle“, lautete sein Kommentar, nachdem er den Teamkollegen plötzlich vor sich sah. Es ging hoch her am Funk. Vor allem während der Safety Car-Phasen. „Da hatte ich genug Zeit, zu quatschen.“
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Sein Ingenieur versuchte Leclerc zu beruhigen. „Kopf runter, weitermachen.“ Antwort des Fahrers: „Mein Kopf ist unten. Ich verstehe Sebastians Undercut nicht.“ Beim zweiten Safety Car widersetzte sich der 21-Jährige den Anweisungen seines Teams, dass ihm die Einstellungen für den Restart ins Cockpit durchgab. „Ich will alles, sogar volle Leistung.“ Antwort des Teams. „Charles, wir müssen beide Autos nach Hause bringen. Wir müssen uns um die Power Unit kümmern.“ Antwort des Fahrers: „Ich werde nichts Dummes anstellen. Das ist nicht mein Ziel. Ich will den Doppelsieg. Aber es ist einfach nicht fair.“
Ferrari verzichtete auf einen angewiesenen Platztausch. „Ich habe nichts eingefordert, sondern gewartet, was das Team macht.“ Rennleiter Binotto gab zu, dass es Diskussionen darüber gab, Vettel zurückzupfeifen. Man entschied sich dagegen. Es wäre einem viermaligen Weltmeister wohl auch schwer vermittelbar gewesen. Manchmal läuft es eben so in einem Sport, der zwischen Fahrern und zwischen Teams ausgetragen wird. „Die beiden Fahrer haben sicher eine unterschiedliche Meinung. Aber ich denke, dass Ergebnis zeigt, dass wir richtig lagen, keinen Tausch vorzunehmen.“ In den Sitzungen vor dem GP Russland wird sicher weiter diskutiert werden.
Nach dem Rennen kühlte sich Leclerc ab. „Ich sehe erst außerhalb des Cockpits, wie groß der Vorteil des früheren Reifen.echsels war. Ich bin glücklich für das Team und auch glücklich für Sebastian. Er verdient sich diesen Sieg.“ Vettel konnte sich eine kleine Spitze gegen den Teamkollegen nicht verkneifen. „Dieses Team ist größer als seine Fahrer. Wer anders denkt, ist auf dem Holzweg.“
Vettel schneller im Verkehr
Für Vettel lief der GP Singapur bis auf eine Ausnahme ideal. Das erste Safety Car raubte ihm einen Vorsprung von fünf Sekunden. Der nun 53-fache GP-Sieger hatte zuvor Lance Stroll, Daniel Ricciardo und Antonio Giovinazzi überholt, die allesamt später die Reifen wechselten, und sich durch das Bummeltempo der ersten Runden plötzlich vor den schnellsten Autos befanden.
Vettel meisterte die Aufgabe besser als der Teamkollege. „Ich wollte so schnell wie möglich da durch, um mir ein Polster aufzubauen, von dem ich später zehren kann.“ Der Plan war nach der Neutralisation dahin. Doch in Singapur ist Überholen unter Teamkollegen praktisch unmöglich. Man muss dafür schon zwei Sekunden schneller sein. Dafür reichen Reifen, die nur eine Runde jünger sind, nicht aus. „Es wurde nur noch knifflig bei den Restarts. Da waren die Reifen kalt.“ Das erging aber auch seinen Verfolgern so.