Aston Martin DB9 im Supertest
Im stilvollen Auftritt unterscheidet sich der neue DB9 nicht im geringsten von seinen Vorgängern. Wohl aber zeigt sich bei näherem Kontakt ein deutlicher Zugewinn an fahrdynamischer Klasse.
Beginnen wir einfach mit dem, was bei allen Beteiligten den größten Eindruck hinterlassen hat – auch wenn es nur ein subjektiv empfundener Nebenaspekt ohne jegliche fahrdynamische Bedeutung ist. Denn das, was passiert, wenn der große Starterknopf inmitten der schmucken Naturholzpaneele gedrückt wird, ist nicht von dieser Welt. Zumindest kann es kein Abfallprodukt sein, obgleich es faktisch als Emission in die Normblätter eingeht und daher bei den kühlen Erfassern von Zahlen zwangsweise negativ belegt ist. Was also in den Papieren als akustisches Merkmal in Dezibel seinen Niederschlag findet, ist geeignet, schon normale Menschen in Wallung zu bringen. Bei Musikliebhabern führt es geradewegs in die Verzückung, und Auto-infizierte dürfte es sogar an den Rand der Ekstase bringen. Worte allein können die Klangqualitäten nur unvollkommen wiedergeben – das wird nur ein Hörtest am laufenden Objekt leisten –, aber den Versuch einer Beschreibung sind sie allemal wert. So folgt dem schnellen Takt des Anlassers eine schlagartig eröffnete Ouvertüre, die unmittelbar ins Hörzentrum zielt. Einem zornigen Fauchen gleich attackieren die Schallwellen explosionsartig das Trommelfell, um nur ein paar Zehntelsekunden später in ein ruhiges, tief frequentes Wummern zu verfallen, das im Cockpit schließlich einen ganz und gar unverfänglichen Niederschlag findet. Unbedarfte Beisitzer werden – erschrocken oder begeistert – mit großen Augen umgehend die Standardfrage stellen: Was war denn das? Ein defekter Auspuff gewiss nicht, sondern ein akustisches Fanal, das einem Startschuss gleich eine andere automobile Welt eröffnet. Tatsächlich ist das Klangrepertoire dieser in Aluminium und Stahl gegossenen Verbrennungsmaschine so grandios, dass der Hörsinn schon nach kurzer Eingewöhnung für nahezu alle Alternativen verdorben ist.
Der Aston Martin DB9 tönt ganz groß
Das Stimmvolumen des Aston Martin DB9 schwankt zwischen kernig fauchend auf der einen und dezent schnurrend auf der anderen Seite. Und der Lautstärkeregler sitzt sozusagen unter dem Gaspedal. Ein pfiffiges Klappensystem in der riesigen, zweiflutigen Auspuffanlage sorgt bei zügig und weit geöffneten Drosselklappen – und kurzfristig eben auch beim Anlassen – für einen ziemlich freien Durchzug. Auf sanftes „Streicheln“ des Pedals ist dagegen TÜV-gerechte Verschlossenheit angesagt, sodass einer distinguierten Fortbewegung nichts mehr im Wege steht. Soundsysteme, die sich auf diese Art den äußeren Umständen anpassen können, sind an sich nicht neu. Aber in diesem Abwechslungsreichtum trägt die Tonalität des Aston Martin geradezu geniale Züge. Der gute Ton zum edlen Auftritt ist allerdings auch eine der Selbstverständlichkeiten, die der frühere Porsche- Entwicklungschef und heutige Aston-Martin-Vorstand Dr. Ulrich Bez für die edle Tochter der unter dem Ford-Dach zusammengefassten Premier Group – zu der auch Jaguar gehört – formuliert hat. Mit einem Zwölfzylinder unter der Haube sind fraglos die besten Voraussetzungen dafür geschaffen – noch dazu, wenn es sich um einen mit so stattlichem Brennraumvolumen handelt.
Knapp sechs Liter Hubraum verteilen sich bei diesem von Aston Martin in entwickelten Aluminiummotor auf das Dutzend Töpfe, die sich in zwei Reihen zu je sechs im Winkel von 60 Grad gegenüber stehen. Mit einer Höchstleistung von 457 PS bei 5.750/min und dem satten Drehmoment von 570 Newtonmeter ist diese Konstruktion alles andere als überlastet, was sich zum einen an der moderaten Literleistung von nur 77 PS pro Liter Hubraum ablesen lässt, zum anderen aber auch an dem Umstand, dass die Maschine in etwas abgewandelter Form auch im Topmodell Vanquish S Verwendung findet. Dort leistet der Zwölfender bei einer Verdichtung von 10,8:1 nun immerhin 528 PS. Zur akustischen Stimmgewalt gesellt sich unter der lang gestreckten Aluminiumhaube auch eine Architektur, wie sie stilvoller und entzückender kaum sein könnte. Insofern deckt sich die Qualität versteckter Besonderheiten mit der außergewöhnlichen Eleganz, die der neue, vollständig in Eigenregie und aus Aluminium gefertigte DB9 für jeden sichtbar im Innern wie von außen betrachtet dokumentiert. Die zweite Überraschung nach dem akustisch eindrucksvollen Entree liefert das Getriebe. Gleich der erste Eintrag im Fahrtenbuch lobt die „elegante Schaltcharakteristik, die an eine Automatik. erinnere. Ein besseres Zeugnis kann der Kraftübertragung eigentlich gar nicht erteilt werden, denn es handelt sich entgegen der Vermutung des Kommentators, der von einem automatisierten Schaltgetriebe wie dem des Vanquish ausgegangen war, tatsächlich um eine Automatik. Der sanfte Druck bei eingelegtem ersten Gang und losgelassener Bremse hätte ihm eigentlich bedeuten müssen, dass hier ein Wandlergetriebe am Werk ist. Allerdings ist danach kaum mehr etwas davon zu spüren.
Das Getriebe wechselt automatisch die Gänge
Die Gangwechsel, die dem Trend der Zeit folgend per Schaltpaddel hinterm Lenkrad initiiert werden, gehen für eine Automatik ungewöhnlich spontan über die Bühne – hoch wie runter. Das Täuschungsmanöver gelingt dem in Zusammenarbeit mit ZF entwickelten Wandlergetriebe beim Runterschalten in geradezu erstaunlicher Manier: Mit einem energisch vorgetragenen Zwischengasstoß während der Gangwechsel imitiert sie exakt jene Arbeitsweise, wie sie Profis – oder eben automatisierte Stellmechanismen à la SMG – bei der Bedienung mechanischer Getriebe an den Tag legen. Unter diesen perfektionierten Umständen lässt sich auch der Sportfahrer eine Automatik gern gefallen, denn sie erlaubt sich allenfalls bei drohenden mechanischen Folgeschäden, einen Schaltbefehl einmal nicht auszuführen – etwa beim Versuch des Zurückschaltens auf zu hohem Drehzahlniveau. Ansonsten sind die vorgewählten Gänge bis in den Drehzahlbegrenzer hinein fixiert. Die bewusste Annäherung an den Grenzbereich geschieht im Aston Martin DB9 dennoch nicht ganz ohne Bedenken. Das liegt sicher zunächst einmal am Nimbus dieses wahrhaft exklusiven und nicht minder noblen Briten, der den Gran Turismo-Gedanken á la bonheur in Szene setzt. Das ebenso luxuriöse wie stilsicher arrangierte Ambiente im Cockpit schafft zudem so hohen Respekt vor der Materie, dass der Gedanke, Grenzbereiche aufzusuchen, zunächst einmal etwas absurd erscheint. Dabei bringt der DB9 jenseits der imposanten nominellen Eckwerte (457 PS, 300 km/h Höchstgeschwindigkeit) durchaus reizende Anlagen mit, um in der Sportwagenszene für Aufsehen zu sorgen.
Die Gewichtsverteilung des 2+2-sitzigen Coupés etwa liegt bei annähernd 50 zu 50 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse, was im wesentlichen ein Verdienst der Transaxle-Bauweise mit dem vor der Hinterachse angeordneten Getriebe ist. Mit einem Gesamtgewicht von vollgetankt 1.847 Kilogramm ist der Aston Martin faktisch zwar kein Leichtgewicht. Angesichts der veritablen Größe und des üppigen Luxusornats, das der DB9 serienmäßig um sich herum versammelt, bewegt er sich aber dank der leichten Aluminiumstruktur noch im grünen Bereich. Dass er sich beim Fahren dennoch schwerer anfühlt als er tatsächlich ist, liegt an seiner Lenkung. Sie vermittelt um die Mittellage herum zwar ein sehr sattes und sicheres Fahrgefühl, unterstützt durch ihre Schwergängigkeit aber eben auch den Eindruck, es mit einem gleichwohl soliden, als auch gewichtigen Fahrzeug zu tun zu haben. Auch die Bremsanlage mit ihren üppig dimensionierten und geschlitzten Scheiben sowie den großen Vierkolben- Festsätteln rundum erfordert am Pedal etwas mehr Krafteinsatz als üblich, womit der subjektive Eindruck eine weitere Bestätigung findet. Dass sich der DB9 hinsichtlich seiner Fahrdynamik dennoch nicht zu verstecken braucht, unterstreichen die objektiven Messwerte. In 16,5 Sekunden beschleunigt der 1,8-Tonner aus dem Stand auf 200 km/h. 5,24 Sekunden später – nach 36,6 Metern – steht er wieder. Der Aston setzt sich auch in dieser Übung einmal mehr mit äußerst geschliffenen Manieren in Szene. Auffallend ist die tadellose Traktion, die das große Frontmotor-Coupé vom Start weg beweist.
16,5 Sekunden braucht der DB9 auf Tempo 200
Bei vollem Leistungsabruf ist es allerdings ratsam, die entgegen dem Uhrzeigersinn ansteigende Nadel des schmucken Drehzahlmessers etwas im Auge zu behalten und frühzeitig am rechten Schaltpaddel zu ziehen, um nicht im Drehzahlbegrenzer zu landen. Der setzt nämlich ziemlich früh bei 6.000/min ein. Ansonsten darf sich die Besatzung voll und ganz auf den eindrucksvollen Schub und auf das bereits hinreichend beschriebene Klangvolumen konzentrieren. Die Drehzahlabschnitte in den einzelnen Gangstufen sind auch akustisch erstaunlich scharf getrennt, was erneut die Vermutung bestärken könnte, dass hier tatsächlich ein konventionelles, mechanisches Getriebe am Werk ist. Kein Wunder: Zu deutlich ist das immer noch entfernt an rutschende Kupplungen erinnernde, akustische Auf und Ab konventioneller Wandlergetriebe im Ohr. Ist der Aston Martin DB9 erst einmal etwas aus seiner beharrlich, satten Lage in der Waagerechten gebracht, geht er das Spiel mit der Querbeschleunigung erstaunlich forsch an. Man betrachte nur die Rundenzeit auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim: beachtliche 1.17,7 Minuten – und das mit konventionellen Straßenreifen, die vermutlich mehr auf Abrollkomfort als auf maximalen Seitengrip hin optimiert sind. Im Vergleich zu den aufgrund der Masse recht frühzeitig schwächelnden Reifen schlägt sich die Bremse auf der engen Rennstrecke wacker. Der schon im kalten Zustand harte Druckpunkt verhärtet sich allerdings bei heißer Anlage zunehmend, so dass die in kaltem Aggregatzustand gemessenen Verzögerungsleistungen nur mit stark erhöhtem Muskeleinsatz möglich sind – immerhin aber werden sie annähernd erreicht.
Sofern die Reifen nicht wegen zu hoher Belastung, ergo Überhitzung, völlig die Contenance verloren haben, offenbart der DB9 ein erstaunlich neutrales Fahrverhalten. Er hinterlässt also erfreulicherweise keineswegs den trägen Eindruck eines frontlastigen Luxus-Coupés. Im Gegenteil: Das Umsetzen nach schnellen Einlenkmanövern geschieht erstaunlich zackig und hat auch eine hohe Zielgenauigkeit zur Folge, obwohl die Seitenneigung, in die der DB9 dabei verfällt, nicht gerade gering ist. Durch den sanften Krafteinsatz des Motors in Kombination mit der Automatik, die sozusagen von Natur aus plötzliche Kraftspitzen abzumildern weiß, und durch die gute Traktion, die die üppig dimensionierten Antriebsräder überzeugend umsetzen, reagiert der Aston Martin sogar auf energische Gasbefehle im Grenzbereich erstaunlich zahm. Das hohe Leistungspotenzial des DB9 lässt sich damit im Kurvenausgang nicht nur effektiv, sondern auch relativ sicher umsetzen, so dass es auch im grenzwertigen Erfahrungsbereich nicht an Vertrauen zwischen Mensch und Maschine mangelt. Einzig bei mehreren schnell aufeinander folgenden Richtungswechseln und bei hohem Tempo wie etwa beim 36-Meter-Slalom tendiert der DB9 nach einigen Schwüngen zum Aufschaukeln. Aber diese Fahrsituation sollte in der Praxis ohnehin eher selten vorkommen. Aber selbst wenn die Hinterachse deutlich aus der Spur geraten ist, müssen vor Schreck nicht gleich die Hände vor der Brust gekreuzt werden. Der Vorgang geht vergleichsweise träge vonstatten und auch der erste Konter nimmt keine bösartigen Formen an. So lässt sich das schöne Heck mit einem angemessenen Gegenlenkmanöver relativ leicht wieder auf Kurs bringen. Freundliche Umgangsformen gehören also zu den Prinzipien des noblen Briten, der sich konsequenterweise auch im Detail vollständig von der Ford-Mutter abgenabelt hat.
Der DB9 gibt sich freundlich
Das lederausgeschlagene Interieur weist rundum unverwechselbare Merkmale auf, die nicht nur dem Auge und der Seele schmeicheln, sondern auch den gängigen Vorstellungen von Ergonomie entsprechen. Die Sitze selbst passen wie angegossen. Sowohl vom Raumgefühl her, als auch in puncto Sitzposition sind keine Klagen erlaubt. Anstatt eines konventionellen Wählhebels finden sich in der imposanten, mit Naturholz vertäfelten Mittelkonsole nur noch eine Reihe stilvoll arrangierter Knöpfe, hinter denen sich das Programm der Automatik verbirgt. Sowohl Rückwärtsgang, Parkarretierung als auch der bekannnte D-Schalter, der für den Stau-Betrieb noch immer eine gute Alternative ist, werden also schlicht per Knopfdruck aktiviert – das hat Stil. Was die Spaltmaße angeht, jenes Bemessungskriterium, das die Passgenauigkeit im Allgemeinen und die Detailverliebtheit im Besonderen bewertet, schlägt sich der immer noch überwiegend von Hand gebaute Aston Martin DB9 sehr überzeugend – bis auf eine Ausnahme, die ausgerechnet fast mittig im Blickfeld liegt. Die aus dem massiven, chemisch unbehandelten Holzpaneel ursprünglich fein säuberlich herausgesägte Abdeckung für das darunter liegende Navigationsdisplay verzieht sich im Laufe der Zeit an den Ecken. Der leidenschaftliche Ingenieur Bez, dem das wohl am meisten zu schaffen macht, begründet das mit den unbezähmbaren Kräften der Natur: „Es ist das Holz, man kriegt es nicht in den Griff.“ Aber wenn’s mehr nicht ist: Schließlich lässt sich das Problem durch Öffnen des Displays geschickt kaschieren.