Mercedes AMG GT S gegen Porsche 911 Turbo
Verdrängt der Mercedes-AMG GT S den Porsche 911 Turbo von der Ideallinie – oder hat die Marketingabteilung mit dem aggressiven Werbespot den Mund zu voll genommen? Das Duell des Jahres.
Ein Kinderzimmer, ein Kinderbett, ein kleiner Junge: Mit selig geschlossenen Augen träumt der Sportfahrernachwuchs von seinem Traumauto. Rennstrecke, Boxersägen, Porsche 911. Aus Traum wird Albtraum. Im Rückspiegel des Elfers macht sich ein Sportwagen mit Stern breit. Der Schlaf wird nervöser, dann zieht der neue Sportwagen lässig am Elfer vorbei, und der kleine Porsche.Fan schreckt aus seinem Traum auf. Der aktuellste Mercedes-Werbespot endet provokant mit der Kampfansage: "Das Auto, von dem Sie als Kind träumten, wurde soeben überholt. Der neue Mercedes-AMG GT."
Okay, Porsche.Fans mögen jetzt schäumen, doch sie sollten nicht die aggressive Werbung Anfang der 90er-Jahre vergessen. Kostprobe von damals gefällig? "Die meisten hängt er beim Beschleunigen ab. Den Rest beim Bremsen. Porsche – so baut man Sportwagen."
AMG GT mit 510 PS, 911 Turbo mit 520 PS
Doch wer baut heute den besseren Sportwagen. Unstrittig ist, dass der neue AMG GT S als Rivale gegen den 911 Turbo positioniert wurde. Klappe, die erste: Unter den beiden Powerdomes der lang gestreckten Motorhaube des neuen AMG-Hecktrieblers thront ein V8- Biturbo mit vier Litern Hubraum und 510 PS. Drücken wir den rot beleuchteten Startknopf und genießen den wollüstigen Bass, der da beim Motorstart und bei den ersten Gasstößen losbrodelt. Und wenn dann noch die im GT S serienmäßige Performance-Klappenabgasanlage mit rauchiger Stimme in das Rockkonzert einsteigt, verstummen schnell die Saugmotor-Klagelieder. Der Sound ist per Knopfdruck oder Fahrprogramm variabel – von freundlich-zurückhaltend bis zum Nachbarschaftskrieg ist alles dabei.
Acht übersichtlich positionierte Knöpfe und Tasten dominieren die breite Mittelkonsole, die wiederum die rennsportähnliche Cockpit-Ergonomie dominiert. Nicht nur durch die fast schulterhohe Seitenlinie, sondern auch durch die tiefe Sitzposition in den optionalen AMG-Performance-Sitzen fühlt sich der Fahrer als Einheit mit dem GT. Wer ein luftigeres Raumgefühl sucht, sollte zu einem der SL-Derivate greifen – oder zum 911 Turbo.
Bevor der AMG GT S zeigen darf, was er kann, schnappt die linke Hand nach dem Zündschlüssel mit dem Stuttgarter Rössle. Noch einmal umsteigen in den Biturbo-Platzhirsch von Porsche. Der ernüchternde Blick beim Öffnen des Motordeckels ("Wie Sie sehen, sehen Sie nichts") ist so bekannt wie die gute Sitzposition in den optionalen Sportsitzen.
Endlich Vollgas und das 520-PS-Projektil, wie gewohnt per Launch Control, mit satter Allradtraktion abfeuern. Schlupf, was war das noch einmal? Mit optionalem Sport-Chrono-Paket soll der 911 Turbo statt in 3,4 Sekunden dank Overboost-Funktion (710 statt 660 Nm) in 3,2 s auf 100 km/h und in 10,8 s auf Tempo 200 hechten können. Unser Testwagen kürt sich zum Usain Bolt des Vergleichs und bestätigt die Werksangaben punktgenau.
Da kann die Race-Start-Funktion des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes (AMG Speedshift DCT) den Hinterradantrieb des GT S später noch so gut zähmen, am Turbo führt kein Weg vorbei. Ansatzlos und mit tollem Grip zoomt sich der GT S aber auch in 3,6 Sekunden auf 100 km/h. Bis 280 km/h rennt der Elfer in 26,9 s und nimmt dem AMG (28,8 s) fast zwei Sekunden ab. Während der 911 Turbo bei hohen Geschwindigkeiten mit stoisch ruhigem Geradeauslauf glänzt, bewegt sich der AMG GT S spürbar nervöser.
Porsche 911 Turbo mit perfektionistischen Fahrwerkseigenschaften
Die Luft am Sportwagen.immel ist dünn. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Daher messen wir die Motorleistung bei gleichen Bedingungen auf dem Rollenprüfstand bei Prüfstandshersteller Maha in Haldenwang.
Der Porsche übertrifft seine Werksangabe um 17,5 PS respektive rund 3,3 Prozent. Die gemessene Motorleistung des AMG GT S liegt 24,3 PS, also rund 4,5 Prozent, über der Werksangabe. Die Boliden bewegen sich damit im gesetzlich erlaubten Toleranzbereich von bis zu zehn Prozent Abweichung.
"Beide haben bei der Messung den gleichen Saugrohrdruck erbracht wie zuvor auf der Straße, was zumindest eine Prüfstandsdrosselung durch diesen ausschließt", erklärt der für die sport auto-Leistungsmessungen zuständige Prüfstandstechniker Moritz Müller.
Normalerweise korrigieren wir die Messungen nach EWG-Norm, um Werte wie den atmosphärischen Druck, die Lufttemperatur, die relative Luftfeuchte, den Dampf- und den Sättigungsdruck bei unterschiedlichen Messbedingungen auszugleichen. Mit einer EWG-Korrektur hätten GT S und Turbo jeweils mehr als 50 PS über den Werksangaben gelegen. Dies deckt sich aber nicht mit den ermittelten Beschleunigungs- und Durchzugswerten.
"Turbolader eines Serienmotors schöpfen bei Volllast nicht ihr komplettes Potenzial aus und haben eine Reserve nach oben. Sollte beispielsweise der Luftdruck unter dem nach EWG vorgegebenen Wert liegen, kann das Steuergerät die mit steigender Höhe abnehmende Motorleistung nachregeln", erklärt Prüfstandsexperte Müller. Wie weit einige Fahrzeuge diese "Selbstregelung" beherrschen, wird in einem umfassenden Prüfstandsartikel in naher Zzukunft beleuchtet.
Jetzt wird's ernst – aus Haldenwang wird wenig später Hockenheim. Unter Volllastrauschen stürmt der 911 Turbo als Erster auf den Kleinen Kurs. Anbremsen, Einlenken, Rausbeschleunigen – immer wieder faszinierend, wie neutral und einfach fahrbar sich der Power-Allradler über die Strecke jagen lässt. Das Zusammenspiel von Hinterachslenkung, Torque-Vectoring-System mit elektronisch geregelter Hinterachs-Quersperre (PTV plus), Wankstabilisierung (PDCC) und variablem Allradantrieb hat derart erschreckend perfektionistische Züge angenommen, dass der Turbo den Tester wieder mal sprachlos zurücklässt.
Fazit: Komfortabel im Alltag, unbarmherzig schnell auf der Rennstrecke. Doch auch wenn Porsche ein Allrounder geglückt ist, finden wir ein Haar in der Sportwagen.uppe: Auf der Rennstrecke arbeitet das PDK zwar mit schnellen Schaltvorgängen zuverlässig, bietet aber keinen "echten" manuellen Modus und schaltet unter Volllast, beim Erreichen der Drehzahlgrenze, autonom hoch. Ein echter manueller Modus und Schaltwippen mit kürzeren Wegen samt definierterer Rückmeldung – dem Turbo würde die geschärfte PDK-Version aus den 911-GT3-Modellen gut stehen.
Mercedes-AMG GT S mit fünf Fahrprogrammen
Genau in diesem Moment, beim Gangwechsel per Schaltwippen, tritt das Doppelkupplungsgetriebe des AMG GT S einfacher sportiver auf. Das Feedback der Schaltwippen wirkt satter als im 911 Turbo. Die AMG-Schaltstrategie im Race-Modus garniert Schaltvorgänge außerdem mit einer Momentenüberhöhung, während der Porsche die Gänge kaum spürbar hochpeitscht. Im Race-Modus kann man entweder die Fahrstufen automatisch hochschalten lassen oder im manuellen Modus selbst anwählen. Unabhängig von der Gaspedalstellung schaltet das Getriebe dann beim Erreichen der Drehzahlgrenze bei 7.200/min nicht selbsttätig hoch. Rennsportflair versprühen dabei eine Ganganzeige und weiß-rot-gelbe LED-Schaltlampen.
Comfort, Sport, Sport+, Race, Individual – fünf verschiedene Fahrprogramme können über den Drehregler auf der GT-S-Mittelkonsole angewählt werden. Klar, für welchen Modus wir uns entscheiden: Race! Das Ansprechverhalten und die Gaspedalkennlinie sind im Race-Programm jetzt noch besser als in allen anderen Modi und die Schaltzeiten so kurz wie möglich. Außerdem streut das Doppelkupplungsgetriebe beim Herunterschalten noch emotionale Zwischengassalven ein. Die Adaptivdämpfer des serienmäßigen AMG-Ride-Control-Sportfahrwerks wechseln in die straffe Sport-Plus-Stellung. Dazu deaktivieren wir noch das dreistufige ESP.
Angriff! Mercedes-Fans haben es längst erkannt: Unser GT S rollt als Edition-1-Sondermodell mit größerem Frontsplitter, Flics, Seitenschwellern, einem fest stehenden Heckflügel und Carbondach sowie mit optionalem AMG-Dynamic-Plus-Paket an den Start. Letzteres beinhaltet neben dynamischen Motor- und Getriebelagern, einer noch sportlicheren Auslegung der Lenkung sowie einer nochmals strafferen Fahrwerksabstimmung auch mehr Negativsturz an der Vorderachse. Trotz des strammen Gewichts von 1.648 kg hätten wir den AMG nicht so austrainiert erwartet. Jetzt, wo der Sportskerl die Ameisenkurve anvisiert, ist es egal, dass ihm der Spagat zwischen Alltag und Rennstrecke nicht ganz so gut glückt wie dem 911 Turbo.
Erste Überraschung am Bremspunkt: Mit einer Verzögerung von beeindruckenden 13,5 m/s² setzt der AMG GT S gleich mal ein dickes Ausrufezeichen. Der 911 Turbo schafft es hier "nur" auf 12,4 m/s² – auch das ist ein ausgezeichneter Wert. Stichwort Bremsen: AMG übernimmt später ein Hoheitsgebiet, das bisher Porsche.Territorium war: Mit 31,6 Metern steht der AMG GT S bei der sogenannten Warmbremse aus 100 km/h 20 Zentimeter früher als der 911 Turbo. Respekt!
Beide Fahrzeuge verzögern mit optionaler Keramikbremse. Auf der Rennstrecke punktet der 911 mit der etwas besseren ABS-Regelung (z. B. auf den Bodenwellen der Querspange) und kann motivierter in die Kurve reinbremsen. Zunächst ist das Gripniveau der optionalen Sportreifen Dunlop Sport Maxx Race (Porsche) und Michelin Pilot Sport Cup 2 (AMG) ähnlich hoch. Im Verlauf von mehreren Runden belastet der GT S die Michelin-Pneus auf der Vorderachse stärker, und das Gripniveau lässt schneller nach als im Dunlop-bereiften Turbo. Im 911 bleiben die Rundenzeiten länger konstant, beim AMG bauen sie schneller ab. Weitere Überraschung in Hockenheim. Die Sportparameterlenkung des GT S reagiert um die Mittellage spitzer als die elektromechanische Servolenkung im Allrad-Elfer. Der erste Einlenkimpuls verläuft im AMG zackiger, und die GT-S-Lenkung verlangt nach deutlich weniger Lenkwinkel als die des 911 Turbo. Fest steht: Die AMG-Mannschaft hat eine direktere Lenkung als die Porsche.Truppe entwickelt. Ratschlag gen Weissach: Verliert eure Tugenden nicht aus dem Blick.
Beim Herausbeschleunigen punktet der 911 Turbo, dank seiner bauartbedingten Vorteile (Heckmotor und Allrad), mit etwas besserer Traktion. Trotz Hinterradantrieb glänzt aber auch der GT S mit verblüffender Traktion unter Last. Hierfür verantwortlich: Das Zusammenspiel von elektronisch geregeltem Sperrdifferenzial und dem sogenannten Kurvendynamik-Assistenten, der mit selektiven Bremseingriffen am kurveninneren Hinterrad Untersteuern unterbinden soll – klingt etwas synthetisch, fühlt sich aber keineswegs so an.
Und wer gewinnt das Duell jetzt? Mit seinen überraschenden Querdynamik-Fähigkeiten klebt der AMG GT S dem 911 Turbo dicht auf der Stoßstange. Auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim ist der Mercedes mit einer beeindruckenden Rundenzeit von 1.09,6 Minuten nur drei Zehntelsekündchen langsamer.
Drei Zehntel, die sich bei einem Vorteil von 30.000 Euro beim Basispreis und 10.000 Euro beim Testwagenpreis für GT-S-Kunden verschmerzen lassen. Durch seinen Preis-Leistungs-Vorteil gewinnt der AMG GT S das Duell des Jahres klar vor dem Porsche 911 Turbo. Mensch, Mercedes, ihr hättet es gar nicht nötig gehabt, den kleinen Porsche.Fan im eingangs erwähnten Werbespot so aus seinen Träumen zu reißen.