Porsche Boxster S im sport auto-Supertest
Mit Erscheinen der Coupé-Variante Cayman rückt auch der offene Boxster wieder stärker in den Blickpunkt des Interesses. Überdies feiert der optisch stark überarbeitete Mittelmotor-Sportler in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum.
„Linker Haken. Rechter Haken. Dann die Gerade“– die aktuelle Werbebotschaft zum Thema Boxster ist nicht nur eine pfiffige Analogie zum gesellschaftsfähig gewordenen Boxsport, sondern könnte gewissermaßen auch im Zusammenhang mit der bisherigen Vita des Boxsters gesehen werden. Denn jetzt, nachdem er den einen oder anderen Haken auch am Elfer vorbei schlagen musste, befindet sich der „kleine“ Porsche auf der Geraden, die ihn directement in den Zielkorridor führt. Zugegeben, eine freie Interpretation des Werbetextes – aber sicher nicht ganz abwegig. Die Zeiten, als der Boxster im Ruf stand ein Hausfrauenoder Möchte-gern-Porsche zu sein, sind schon seit Längerem passé – jedenfalls aus Sicht neutraler Beobachter. Dass Gerüchte dieser Art eine sehr lange Halbwertzeit haben, ist ein Phänomen, das nicht nur Porsches zweite Baureihe mit der internen Kennung 987 betrifft. Auch die Rennstreckenabstinenz, die dem Boxster zu Beginn seiner Laufbahn von Haus aus auferlegt wurde, hat sich spätestens seit dem letzten Facelift überlebt. Seine Charakterbildung hat damit das richtige Effet erst mit einiger Verspätung bekommen. Preislich betrachtet ist der mit den Jahren auch äußerlich stark gewachsene Mittelmotor-Sportler ohnehin auf dem besten Weg, den fragmenthaft noch immer vorhandenen Nimbus als Einstiegs-Porsche aufzugeben – wie es scheint, zugunsten einer Parallel-Karriere neben dem 911er.
Der Boxster S positioniert sich neu
Im engen Schulterschluss mit dem neuen, technisch fast identischen Cayman-Coupé ist der Boxster schließlich zur Überraschung der gusseisernen Elfer-Fraktion dabei, nicht nur den starken Geist des Porsche-Denkmals 911 nachhaltig zu beschwören, sondern jenes zunehmend auch dort anzugreifen, wo es dem berühmten Klassiker à la longue wohl am meisten weh tun dürfte: auf dem Gebiet der Fahrdynamik. Eine starke Beschleunigung der Imagebildung dürfte angesichts der aktuellen Leistungsschau des Boxster/Cayman-Duos nur noch eine Frage der Zeit sein. An dieser Stelle sei zunächst ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit des Boxsters erlaubt. Schließlich stand der in seinen Anfängen gerade mal 204 PS starke Mittelmotor- Porsche während seiner zehnjährigen Bauzeit schon drei Mal im Fokus des sport auto-Supertests. Zum ersten Mal im April 1997, damals als zweiter Supertest-Kandidat überhaupt. So offenbart sich vor allem anhand der von sport auto seit nunmehr fast zehn Jahren exklusiv ermittelten Nordschleifen- Zeiten eine überaus spannende Entwicklungsgeschichte, die im Fall des Boxsters mit einem etwas zähen Karrierestart ihren Anfang nahm – besonders dann, wenn man ihn durch die sportliche Brille betrachtet.
Die erste mit dem Boxster erzielte Rundenzeit von 8.54 Minuten konnte bei der interessierten Klientel damals höchstens ein mitleidiges Lächeln erregen. Der sportliche Maßstab 911 Carrera (993) brillierte zur gleichen Zeit mit Rundenzeiten von 8.28 Minuten. Bei der ersten S-Version des Boxsters blieb die Stoppuhr zwei Jahre später schon bei 8.32 Minuten stehen. Und bis auf vier Sekunden näherte sich schließlich auch der um 24 PS erstarkte Basis-Boxster des Jahrgangs 2003 dieser Vorgabe an (8.36 Minuten). Der richtige Schub kam allerdings erst mit dem stark überarbeiteten Jahrgang 2005: Mit einer Zeit von 8.23 Minuten fährt die aktuelle, 280 PS starke S-Version immerhin schon in derselben Liga wie der Carrera 996 – zumindest annäherungsweise (8.17 Minuten). Auch mit 18 Sekunden Rückstand auf den neuesten Elfer (997; 8.05 Minuten) ist der Abstand auf der Nordschleife nicht mehr so groß, dass von einem signifikanten Klassenunterschied die Rede sein kann – zumal die Carrera-Zeit von der 355 PS starken S-Variante mit Sportfahrwerk markiert wurde. Der 325 PS starke Basis-Carrera und der Boxster S dürften sich also bei gleicher Bereifung fahrdynamisch kaum mehr etwas nehmen. Die vorzüglichen technischen Gene des Emporkömmlings aus Stuttgart-Zuffenhausen sind tatsächlich ein Pfund, mit dem der Boxster auch auf lange Sicht noch richtig wuchern kann. Die ausgewogene Gewichtsverteilung (46,4 zu 53,6 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse) durch die Mittelmotor-Bauweise verschafft ihm nicht nur in der theoretischen Betrachtung deutliche Vorteile, sondern – wie sich mit sofortiger Wirkung zeigt – auch in der praktischen Umsetzung.
Vorteile durch den Mittelmotor
Die überzeugende Abstimmung auf Basis einer ausgewogenen Radlastverteilung und eines vergleichsweise langen Radstands (2.415 Millimeter) zu bewerkstelligen, ist schließlich ein weniger großes Hexenwerk, als eine hecklastige Massenverteilung bei vergleichsweise kurzem Radstand zu kompensieren. Zur Erinnerung: Das Carrera-Layout weist bei einem Radstand von nur 2.350 Millimeter eine eher ungünstige Gewichtsbalance von 38,7 zu 61,3 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse auf. So, wie sich der aktuelle Boxster S in der alles umfassenden Konfiguration des Testwagens anfühlt, bleibt schließlich in mehrfacher Hinsicht kein Auge mehr trocken. Er hat, um es vorweg zu sagen, preislich eine Dimension erreicht, die ihn von der in Frage kommenden Konkurrenz deutlich abhebt. Aber die Leichtigkeit, die der Zweisitzer von den ersten Metern an den Tag legt, mutet sowohl im wuseligen Alltag als auch bei einem der vielfältigen Top-Events im Boxster-Programm – beispielsweise der zügig bewältigten Landstraßen-Partie – wie ein Geschenk des Autohimmels an. Alles geht so leicht und problemlos von der Hand (sei es die Lenkung, die Schaltung oder auch die Bedienung des elektrischen Cabriodaches), dass einem spontan und dauerhaft warm ums Herz wird – selbstverständlich in verstärktem Maß bei offener Programmgestaltung. Die Tatsache, dass man vom Antrieb, von dem in den Tiefen des Raums untergebrachten Sechszylinder-Boxermotor, rein gar nichts zu sehen bekommt, entpuppt sich nur zu Beginn der Allianz als etwas nachteilig. Denn der Reiz des Unsichtbaren wächst fortan mit jedem Kilometer.
So geheimnisvoll es um ihn herum zugeht, so feinfühlig setzt sich der wassergekühlte Motor letztlich in Szene. Was die Laufkultur des 3,2 Liter großen, wassergekühlten Triebwerks betrifft, könnte man hinter dem, was sich hinter dem Rücken der Besatzung tut, fast einen Elektromotor vermuten – so perfekt ist der Massenausgleich des mit variabler Einlasssteuerung gesegneten Vierventilers gelungen. Das hohe, metallische Singen in den unteren Drehzahlbereichen könnte auch als Indiz für einen Hybridmotor gewertet werden. Erst in mittleren Drehzahlregionen wird zunehmend klar, dass es der Fahrer hier mit einem ebenso kernigen wie bissigen Verbrennungsmotor zu tun hat. Allerdings mit einem, der die perfekte Laufkultur auch bei robustem Einsatz und hoher Drehzahlabfrage beibehält. Wie der Kurzhuber speziell bei gedrückter „Sport“-Taste des aufpreispflichtigen Sport-Chrono-Pakets am Gas hängt, fasziniert stets aufs Neue. Dass bei diesem sensiblen Ansprechverhalten keine Nervosität wie bei anderen, ebenfalls per E-Gas gesteuerten Motoren aufkommt, bleibt wie die Optik des Wasserboxers das Geheimnis der Konstrukteure. Auch wenn das Triebwerk eine andere Abstammungslinie als etwa das 3,4 Liter große und mit variabler Verstellung an beiden Nockenwellen agierende Cayman-Aggregat aufweist, legt sich der Boxer im Boxster mit kaum geringerem Anspruch ins Zeug.
In 5,6 Sekunden schafft es der Boxster S auf 100 km/h
Der Sprint auf 100 km/h gelingt ohne Federlesens in 5,6 Sekunden: kein Trampeln der Hinterachse beim abrupten Einrücken der Kupplung und – erwartungsgemäß – kaum Traktionsverluste. Mit dieser Zeit ist der Boxster S lediglich zwei Zehntelsekunden langsamer als der Cayman S, der ja bekanntlich mit dem stärkeren 3,4-Liter-Motor auf Basis der Carrera-Baureihe (295 PS) an den Start geht. Wir sind gespannt, wie lange dieses partielle Ungleichgewicht zwischen Cabrio und Coupé gerade vor dem Hintergrund der neuen, erstarkten BMW-Konkurrenz ( Z4 3.0: 265 PS ; Z4 M Roadster/Coupé: 343 PS) seitens Porsche aufrecht erhalten bleibt. In der vorliegenden Vollausstattung inklusive großer (aufpreispflichtiger) 19-Zoll- Räder bringt der Boxster S mit randvollem Tank exakt 1426 Kilogramm auf die Waage – womit er das Cayman S-Coupé um 16 Kilogramm übertrifft. Der spax ( sport auto-Index) pendelt sich damit auf einen noch immer eindrucksvollen Wert von 5,3 ein (Cayman: 5,1). Die überzeugenden Anlagen auf der Antriebsseite dokumentieren sich analog zu den Sprinteigenschaften sowohl in achtbaren Durchzugswerten als auch in einer Höchstgeschwindigkeit, die deutlich über dem noch immer großflächig anerkannten 250-km/h-Limit liegt: stramme 268 km/h – und das bei erstaunlicherweise sehr moderaten Fahrgeräuschen. Dass der nur von einem zweilagigen Stoffdach beschützten Besatzung bei Ausnutzung dieser motorischen Ressourcen nicht bange wird, dafür sorgt ein Karosserie-Umfeld von höchster Solidität, noch dazu eines mit vorzüglichen Angeboten hinsichtlich der Nutzungs- und Variationsmöglichkeiten. Zwei Gepäckräume, einer vorn, einer hinten – das ist doch was.
Auf die Option des offen Fahrens kann sich der Boxster-Pilot selbstverständlich auch während der kalten Jahreszeit verlassen. Turbulenzen sind aus dem Cockpit so gut wie verbannt, ebenso wie sonstige lästige Begleiterscheinungen, die andernorts noch immer Hochkultur haben. Wackeln, Knarzen, Schaukeln, Schwingen oder Klappern – all die bekannten Negativaspekte, haben im Boxster S-Cockpit nicht die geringste Chance. Der Eindruck höchster Festigkeit schon in den Tiefen der stählernen Substanz sorgt im Verbund mit den obligatorischen Sicherheits-Accessoires des Hauses Porsche auf Anhieb für ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Maschine. Das Aufsuchen höchster Geschwindigkeitsbereiche wird also weder durch Nachlässigkeiten im Detail noch etwa durch mangelhaftes Betragen im Gesamtkontext untergraben. So, wie der Boxster S sich in Sachen Geradeauslaufstabilität Freunde macht, so begeistert er auch auf kurvenreichen Prüfungen. Die Umsetzung der Lenkbefehle geschieht so unmittelbar und zielgenau, als habe er Nachhilfestunden in der Porsche-Rennabteilung genommen. Die außerordentliche Handlichkeit geht im aktuellen Boxster-Modell aber auch mit einer Sicherheit im Grenzbereich einher, die von Porsche in dieser Qualität bisher nicht gezeigt wurde. Denn bei aller Schnelligkeit seiner Reaktionen verblüfft der nunmehr höchst aufreizend modellierte Zweisitzer mit einer geradezu stoischen Verlässlichkeit. Die Hinterachse folgt der Lenkachse auch in harschen Konfliktsituationen mit wahrhaft ergebener Dienstbeflissenheit. Lastwechselreaktionen: keine Chance. Man muss den Boxster S schon bösartig behandeln, um ihn aus der Fassung und aus dem Tritt zu bringen.
Der Boxster S bleibt fast immer gelassen
Das extrem sichere Fahrverhalten im Grenzbereich findet seinen plakativen Niederschlag im Ergebnis des 36-Meter-Slaloms und des Ausweichtests. Es sind die einzigen beiden Fahrdynamik-Prüfungen im Supertest, in der die Motorleistung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Umso höher sind die Resultate bezüglich des Fahrwerks zu bewerten. Aus Sicht der Boxster-Fraktion könnte die erzielte Höchstpunktzahl in beiden Disziplinen nun durchaus zum Anlass genommen werden, analog zum Cayman auch für das Cabrio einen PS-Zuschlag einzufordern – um diesem hoffnungsvollen Talent weitere Chancen auf zusätzliche Punktgewinne zu eröffnen. Aber vielleicht soll das ja der Cayman S noch richten. Schließlich war auch die Boxster-Vorstellung in Hockenheim von einer solchen Dynamik seitens des Fahrwerks geprägt, dass sich entsprechende Hochrechnungen überschlugen. Neben seiner überzeugenden Art, sowohl enge Kehren als auch lange Biegungen mit der Sicherheit einer Magnetbahn zu folgen, verschafft sich der Porsche-Spross selbstredend auch höchsten Respekt auf dem Gebiet der negativen Beschleunigung, sprich der Bremsen. Der vergleichsweise lange Radstand sowie die geringe dynamische Radlastverschiebung aufgrund der auch beim Bremsen noch immer gut belasteten Hinterachse sorgen für hervorragende Verzögerungsleistungen und überdies auch für ein tadelloses Bremsverhalten bei kritischen Fahrbahnzuständen. Selbst Vollbremsungen auf nasser Fahrbahn lassen den Boxster nicht aus der Spur geraten. Das Ergebnis des Nasshandling-Tests bestätigt somit den schon bei den Trockenhandling-Versuchen formulierten Grundtenor: Der Mittelmotor-Porsche entpuppt sich fahrdynamisch als ein sehr neutrales Wesen. Dass er trotzdem nicht mehr wie bislang eine neutrale Position neben dem Carrera einnehmen kann, ist die Folge seines markanten Charakters. Dieser hat sich wegen seiner hinzugewonnenen Fähigkeiten stark entwickelt.