Supertest Abarth Grande Punto esseesse
Die Philosophie des Namensgebers Karl Abarth drückt sich in der mittlerweile wieder populär gewordenen Tendenz aus, relativ kleine und leichte Fahrzeuge zu fahrdynamischen Überfliegern zu machen. Der werksgetunte Abarth Grande Punto mit der Zusatzbezeichnung „esseesse“ kommt dieser Vorstellung schon recht nahe.
Ob die Zeiten für Visionäre früher besser gewesen sind als heute, oder ob es damals womöglich schlicht mehr von ihnen gab, lässt sich aktuell schlecht mit Bestimmtheit sagen. Weniger, weil diese interessante Sorte Mensch seltener geworden sein könnte, als vielmehr deshalb, weil die Beweisführung der aufgestellten Thesen gegenwärtig kaum möglich ist. Schließlich wird einem die visionäre Kraft des Individuums immer erst im Nachhinein vor Augen geführt. Abarth war auf den Bau kleinvolumiger Sportwagen spezialisiert Demnach muss Karl (später: Carlo) Abarth, der 1908 in Wien geborene und später nach Italien emigrierte Motorradrennfahrer und Unternehmer, ein Visionär gewesen sein. Sein ab den 50er Jahren zunehmend florierendes Tuning-Unternehmen mit angegliedertem Rennstall befasste sich in Turin nämlich schwerpunktmäßig schon mit genau jenen Fahrzeugtypen, denen heute unter dem Schlagwort Downsizing eine neue Blütezeit bevorstehen soll. Abarth war auf den Bau kleinvolumiger Sportwagen spezialisiert, die dank der Talente von Fahrerberühmtheiten wie Johann Abt, Hans Herrmann und Jochen Neerpasch die arrivierte, PS-mäßig überlegene Konkurrenz demütigten. Mehr als 600 Renn- und Klassensiege pro Jahr Bis zum Jahr 1971 fuhren die von Abarth präparierten Fiat, Alfa Romeo und Simca zuweilen weltweit mehr als 600 Renn- und Klassensiege per anno ein. Sein Geschäftsmodell war allerdings ausgerechnet aufgrund des einstmals blühenden Wirtschaftswunders nicht von Dauer: Der Trend zu immer mehr Hubraum ließ die Kleinwagen, die ihm als Basis dienten, nach und nach vom Markt verschwinden. Letztlich führte dieser für ihn unglückliche Aufschwung zum Verkauf der Namensrechte an den Fiat-Konzern, der den Namen dann vorsorglich – wohl für bessere Zeiten wie diese -, in der Schublade verschwinden ließ. Dem Zeitpunkt für die Wiederbelebung nach knapp vier Jahrzehnten Dornröschenschlaf liegt also – wenn auch wohl nicht geplant -, eine gewisse Logik zugrunde. Auch hinter der Tatsache, dass Fiat sich namentlich bewusst aus der Sache heraus hält, steckt offenbar Kalkül. Der Glanz der Marke Abarth soll vom Fiat-Image unbelastet zum Strahlen gebracht werden. Das Ausblenden der Mutter im Namen vermag die wahre Herkunft aber kaum zu verschleiern.
Eine neue Variation eines bekannten Themas Die Basis des neuen Abarth, der Fiat Grande Punto, ist nicht zu verleugnen. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob die ins Visier genommene, junge Klientel mit dem Traditionsnamen noch wirklich etwas anzufangen weiß. Für die meisten wird es nichts anderes sein als eine neue Variation eines bekannten Themas: sportlich attraktiv inszeniert – aber, wie man es vom Fiat-Konzern gewohnt ist, finanziell keineswegs so abgehoben wie andernorts. Die Basis der neuen Sportlichkeit, der Abarth Grande Punto, steht nämlich mit vergleichsweise bescheidenen 18.100 Euro in der Preisliste – wobei die Abwrackprämie für den Vorgänger hier noch nicht berücksichtigt ist. Damit ist das sportlichste Talent aus der neuen Tuning-Dependance des Fiat-Konzerns aber noch gar nicht benannt. Dieses hört auf die für deutsche Ohren doch etwas lustig klingende Zusatzbezeichnung esseesse. Die Wortschöpfung steht im Italienischen für SS, was analog der früheren Abarth-Typologie schlicht mit Super Sport zu übersetzen ist. Der Motor gerät unter Druck Die Supersport-Variante zeichnet sich durch einen Fahrwerks- und einen Motorkit aus, der jeweils nur über das Abarth Asseto Corse, das Tuning-Zentrum der Marke, bezogen werden kann. Der sogenannte assetto-Fahrwerkskit umfasst kürzere und um zehn Prozent härtere Federn, gelochte Brembo-Bremsscheiben, Ferodo-Rennbremsbeläge vorn und 18 Zoll messende Leichtmetallfelgen inklusive Pirelli P Zero-Reifen der Größe 215/40 ZR 18. Kostenpunkt: 2.500 Euro. Die Tuning-Maßnahme am Motor wird nicht einzeln ausgewiesen, weil die Eingriffe am Motor seitens Abarth nur bei gleichzeitigem Einbau des assetto-Kits legitimiert werden. Der serienmäßig 155 PS starke, 1,4-Liter-Turbomotor profitiert dabei im Wesentlichen vom Austausch des Druckerzeugers. Der Garrett-Turbolader vom Typ GT 1446 erhöht den maximalen Ladedruck um 0,5 auf 1,8 bar. Im Verbund mit den umfänglichen Anpassungsmaßnahmen im Umfeld ist so für ein Leistungsplus von 25 PS gesorgt. In puncto Drehmoment profitiert das zierliche Vierzylinder-Aggregat noch deutlicher: 270 Newtonmeter bei 2.750/min (Serie 230 Newtonmeter) sind in dieser Hubraumklasse eine Ansage. Mit dem schon im Alltag deutlich spürbaren Kraftzuwachs geht dank eines voluminöseren Endtopfes auch eine basslastigere Akustik einher, mit welcher der Abarth Grande Punto esseesse trotz seines hubraummäßigen Handikaps auch akustisch Eindruck schinden kann. Optisch tut er das ohnehin in überzeugender Manier. Mit seinem elegant-stämmigen, ganz ohne prollige Note auskommenden Auftritt, den roten Rückspiegeln und den dezenten Hinweisen auf seine Herkunft gibt der Kompaktsportler eine höchst attraktive Figur ab. Einhelliges Lob wird ihm auch hinsichtlich seiner inneren Qualitäten zuteil. Über die erfreuliche Verarbeitungsqualität und die hohe Güte der verwendeten Materialien hinaus lässt sich hinsichtlich der Ergonomie ebenfalls nur Gutes vermelden. Das Sportlenkrad liegt fantastisch in der Hand, und in den stark konturierten Sitzen fühlt man sich hervorragend platziert und angemessen positioniert.
Kein Widerspruch zwischen Optik und Messwerten Wie die Messwerte in Sachen Längsdynamik aus Hockenheim belegen, ist kein Widerspruch zwischen dem optisch angemeldeten Anspruch und der Wirklichkeit auszumachen. Die nominell höhere Leistung setzt der Fronttriebler klar in bessere Fahrleistungen um. Im Sprint auf 100 km/h sind es 0,7 Sekunden, mit denen sich die esseesse-Version von der Basis absetzt: 7,6 zu 8,3 Sekunden. Bis 160 km/h vergrößert sich der Abstand sogar auf 3,6 Sekunden: 18,5 zu 22,1. Auch in Sachen Höchstgeschwindigkeit zeigt der werksgetunte Abarth, dass er die Bezeichnung „Supersport“ zu Recht im Namen trägt: Hier geht das Duell 215 zu 206 km/h aus. Dass der stärkste Grande Punto ausgerechnet auf der Bremse keinen Abstand zur Basis aufbauen kann, obwohl technisch doch erhebliche Anstrengungen unternommen worden sind, ist etwas mehr als nur ein unglücklicher Umstand: Verzögerungswerte von mindestens zehn m/s², den – sagen wir – Minimalanspruch eines sportlich aufgemachten Autos, erreicht der mit dem assetto-Kit aufgerüstete Abarth nämlich weder bei kalter noch bei heißer Bremse. Mit Werten zwischen 9,5 und 9,9 m/s² übertrifft er zwar bei Weitem den vom Gesetzgeber geforderten Mindestanspruch, lässt damit aber die hervorragende Möglichkeit einer wahrhaft sportlichen Profilierung aus. 1.259 Kilogramm bringt der Sportler auf die Waage Vielleicht spielt in diesem Zusammenhang die spezielle Abstimmung der Federelemente eine Rolle. Denn die Fahrzeugmasse von vergleichsweise bescheidenen 1.259 Kilogramm kann allein wohl kaum dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Kompaktsportler bremsentechnisch nicht so funktioniert wie erhofft. Da haben andere mit erheblich mehr zu kämpfen. Die Verbesserung des Fahrwerks allein mit acht Millimeter kürzeren und um zehn Prozent härteren Federn bewerkstelligen zu wollen, ohne dabei auch die Dämpferkennlinien anzupassen, ist für sich betrachtet schon nicht der Königsweg. Ein professionell angepasstes Setup würde zwangsläufig neue Dämpferkennlinien miteinbeziehen. Im speziellen Fall kommt noch die serienmäßig recht ungleiche Gewichtsbalance zwischen der Vorder- und Hinterachse (63,5 zu 36,5 Prozent) hinzu, die sich umso ungünstiger darstellt, je stärker die dynamische Radlastverschiebung fortschreitet. Das unter allen fahrdynamischen Umständen, also in Längs- und Querrichtung, recht auffällige Aus-den-Federn-gehen ist den Seriendämpfern geschuldet, die unter dem Druck sportlicher Betätigung eine etwas schwache Vorstellung abgeben. Die dadurch noch verstärkte Entlastung der an der Gesamtbremsleistung ohnehin schwach beteiligten Hinterräder bei harten Bremsmanövern mag mit eine Ursache für die bei qualitativ höherem Materialeinsatz sogar leicht verschlechterten Resultate in der Bremsprüfung sein. Auch auf einem anderen Gebiet lassen sich Hinweise darauf finden, dass im Zuge der Leistungssteigerung noch nicht alle Parameter korrekt miteinander in Einklang gebracht worden sind.
Mängel in der Traktion werden deutlich So lässt die Traktion des Fronttrieblers bei sportlicher Handhabung zu wünschen übrig. An die schon beim 155 PS starken Basis-Abarth auffällig gewordene Thematik wird man in Folge des gesteigerten Drehmoments stets mit Nachdruck erinnert – zumindest in den ersten beiden Gängen. Der Einbau einer mechanischen Sperre, wie sie im Konzernbruder Alfa 147 Q2 installiert ist, hätte – bei vergleichsweise geringem Aufpreis – auch die nachfolgende Problematik außer Kraft gesetzt. Gerade weil die Mängel in der Traktion infolge der veränderten Druckverhältnisse so auffällig werden, lässt man das Tuningmodell esseesse wohl auch nicht von der Leine. Die künstlichen Eingriffe der Elektronik lassen sich nicht unterbinden, was im Extremfall, beispielsweise im Karussell der Nordschleife, dazu führt, dass das Tempo gegen den Willen des Fahrers automatisch heruntergefahren wird – behutsam, aber mit zunehmendem Lenkwinkel auch mit zunehmendem Nachdruck. Was bei einem Allerweltsauto mit geringen sportlichen Ambitionen akzeptabel erscheint, wird in einem Kompaktsportler wie diesem zum Fahrspaß-Killer. Die Konzern-Philosophie, wonach die Fahrsicherheit immer und überall oberste Priorität hat, erfasst demnach zwangsweise auch solche Objekte, die gemäß ihrer sportlichen Konstitution eigentlich eine andere Art der Verantwortung zeigen sollten. Zum Beispiel in Form der bereits erwähnten Differenzialsperre. Keine Nachlässigkeiten bezüglich der Fahrsicherheit Die politisch zwar opportune, im Grunde aber billige Art, mit elektronischen Redundanzsystemen bauartbedingte Schwächen zu überdecken, ist auch aus Ingenieurssicht nicht die feine Art. Der esseesse-Variante des Abarth Grande Punto vor diesem Hintergrund Nachlässigkeiten bezüglich der Fahrsicherheit anlasten zu wollen, ist gemäß der politischen Vorgabe aussichtslos. Seine Narrensicherheit im absichtlich oder auch unabsichtlich aufgesuchten Grenzbereich beweist der Fronttriebler in einer angemessenen, nicht übertriebenen Neigung zum Untersteuern. Die gleichzeitige Unempfindlichkeit gegenüber Lastwechseln ist sprichwörtlich zu nehmen. Auf das von Sportfahrern im Anflug auf schnelle Biegungen geliebte, drängende weil mitlenkende Heck muss im Abarth also leider verzichtet werden. Das führt auf abgeschlossenen Strecken wie in Hockenheim oder auf der Nürburgring-Nordschleife, wo launige Verhaltensweisen dieser Art messbar bessere Resultate in der Fahrdynamik und damit auch in der Rundenzeit ermöglichen, zu gelegentlichen Unmutsäußerungen seitens des Fahrers. Sich als Passagier zu fühlen, wenn die Elektronik den Vortrieb managt, mag beim Karussellfahren auf der Kirmes ja angehen. Im Karussell der Nordschleife ist diese Form des Gefahrenwerdens aber wohl kaum der Bringer.