Münze, Murmel, Batterie: Hilfe, mein Kind hat's verschluckt!

Gegenstände mit dem Mund erkunden, gehört bei ganz kleinen Kindern zur täglichen Übung. Auch im Kindergartenalter steckt der Nachwuchs vieles noch in den Mund – und hat auch noch einen größeren Aktionsradius. Der wichtigste Appell an Eltern daher: lieber keine Dinge herumliegen lassen, die dem Kind gefährlich werden könnten.
Im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren passiert ein versehentliches Verschlucken am häufigsten, sagt der Kinderarzt Michael Achenbach. "Rutscht etwas weit genug nach hinten, wird der Schluckreflex ausgelöst", erklärt der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). "Einmal gestartet, lässt er sich nicht mehr unterbrechen."
Die Eltern haben das Malheur in den meisten Fällen gar nicht mitbekommen. Was also sind Alarmsignale und was ist zu tun?
Welche Gegenstände verschlucken Kinder am häufigsten? Und welche können richtig gefährlich werden?
Am häufigsten werden Münzen verschluckt, sagt Prof. Carsten Posovszky. Er leitet im Kinderspital Zürich die Gastroenterologie. "Daneben alles was in Reichweite der Kinder ist, wie beispielsweise Haarspangen, und zunehmend auch gefährliche Gegenstände wie Batterien und Spielzeugmagnete."
Tückisch sind spitze, nadelartige Gegenstände, weil sie den Darm durchstoßen können. Auch kleine Knopfbatterien, zum Beispiel aus Geschenkkarten, können gefährlich werden. Denn wenn sie in der Speiseröhre feststecken, kommt es zum Stromfluss, erklärt der Kindergastroenterologe. Er führt sehr schnell zu Verätzungen. "Das sind richtig tiefe Schleimhautschädigungen, die nicht weit entfernt von der Aorta lebensbedrohlich sein können", sagt Carsten Posovszky.
Auch Magnete, die zeitlich versetzt geschluckt werden, sind hochgefährlich im Körper eines Kindes. "Die müssen raus, solange sie noch im Magen sind, sonst kann eine Bauch-OP nötig sein", sagt Kinderarzt Michael Achenbach. Denn befinden sich zwei Magnete an unterschiedlichen Stellen im Darm, können sie sich auf ihrem Weg im Körper so nahe kommen, dass sie sich anziehen. "Dann heften sie zwei Darmschlingen zusammen, es kann zu einem Loch in der Darmwand oder zum Darmverschluss kommen", sagt Carsten Posovszky.
Übrigens: Nicht nur durch Verschlucken können Gegenstände in den Körper gelangen, sondern auch durch Einatmen, dann landen sie in den Atemwegen. "Das sind häufig Lebensmittel wie Nüsse, Weintrauben und Karottenstücke, aber auch mal Spielzeugteile", sagt Michael Achenbach. "Wer sich erschreckt, atmet ruckartig ein. Erschreckt sich das Kind im Moment des Verschluckens, besteht die Gefahr, dass ein Gegenstand in die Atemwege gerät."
Woran merke ich, dass mein Kind etwas verschluckt hat?
Tatsächlich bekommen Eltern in vielen Fällen nicht direkt mit, dass ihr Kind einen Gegenstand verschluckt oder eingeatmet hat. Die Symptome richten nach dem Gegenstand und dem Ort, an dem er sitzt. "Befindet sich etwas in den Atemwegen, sind das häufig ganz akute Symptome", sagt Michael Achenbach. "Starker Husten etwa, ziehende Geräusche beim Atmen, Luftnot."
Sitzt dagegen etwas in der Speiseröhre, ist das Schlucken erschwert. "Das Kind kann oft selbst Speichel nicht mehr schlucken", sagt Carsten Posovszky. "Erbricht das Kind, kann die Magenentleerung gestört sein, oder wenn Galle erbrochen wird, ein Darmverschluss vorliegen." Es kann aber auch sein, dass es keine Anzeichen gibt – oder erst später Beschwerden auftreten.
Was mache ich, wenn mein Kind etwas verschluckt oder eingeatmet hat?
"Immer, wenn es Symptome gibt, sollten Sie umgehend zum Arzt", sagt Carsten Posovszky. Und bei akuter Atemnot sollte auch immer die 112 gewählt werden. "Setzen Sie sich nicht selbst ins Auto", rät Michael Achenbach allerdings. "Hier geht es um Minuten. Im Rettungswagen sind Fachpersonal und eine gefederte Liege - wer weiß, was ein Geruckel im Auto noch auslösen würde." Benennen Sie am Telefon klar, dass ein Kind Atemnot hat und ein Notfall vorliegt.
Auch wenn es (noch) keine sichtbaren Symptome gibt, sondern nur einen begründeten Verdacht, dass das Kind etwas verschluckt hat, ist die richtige Adresse das Krankenhaus, nicht der Kinderarzt. "Oft muss für eine Diagnose geröntgt werden", sagt Michael Achenbach. "Das geht nur in der Klinik."
Weil der Zeitfaktor, zum Beispiel bei Batterien oder Magneten, immer im Spiel ist, ist ein Abwarten problematisch. Wichtig ist vielmehr Klarheit darüber, was sich wo im Körper des Kindes befindet. Eltern können sich in solchen Situationen laut Carsten Posovszky auch an die zuständige Giftnotrufzentrale wenden und Rat einholen.
Können Eltern auch selbst tätig werden?
Selbst tätig werden sollten Eltern bei einem Verschlucken nur, wenn das Kind sich etwa gerade etwas in den Mund gesteckt hat, das sie zum Beispiel noch greifen können. Vermuten Eltern, dass das Kind etwas verschluckt haben könnte, können sie auch erst einmal im Mund nachsehen. "Ich hatte mal ein Kind vor mir, dem das Klebeteil von der Taschentuchpackung noch am Gaumen klebte", sagt Carsten Posovszky.
Sitzen Fremdkörper im Rachenbereich, sodass das Kind würgt, können Eltern, nachdem sie den Notarzt alarmiert haben und auf ihn warten, ihr Kind auch über den Oberschenkel mit Kopf nach unten legen und mit der flachen Hand in rascher Folge fünfmal kräftig zwischen die Schulterblätter klopfen.
Wurde eine Batterie verschluckt, können Eltern dem Kind, sofern es älter als ein Jahr ist, zumindest zwei Esslöffel Honig zu schlucken geben. "Das vermindert den Stromfluss und kann auf dem Weg zum Arzt in der ersten Stunde alle zehn Minuten wiederholt werden", sagt Carsten Posovszky.
Ansonsten ist es Sache der Ärztinnen und Ärzte, Gegenstände aufzuspüren und zu entfernen.
Gibt es auch unbedenkliche Dinge?
Die von Kindern meist verschluckten Gegenstände, nämlich Geldmünzen, sind in vielen Fällen nicht problematisch. Auch wenn definitiv nur ein Magnet und sonst kein Metall verschluckt wurde, muss dieser keine Beschwerden verursachen. "Die engste Stelle ist zu Beginn der Speiseröhre, dort, wo die Luftröhre abgeht", sagt Kinderarzt Michael Achenbach. "Was diese Stelle passiert hat, kann theoretisch hinten von allein wieder rauskommen."
Wichtig ist eben nur, die Gewissheit zu haben, dass es sich wirklich um unbedenkliche Gegenstände an unkomplizierten Stellen handelt. Sollte nach einer entsprechenden Abklärung Abwarten angesagt sein, dauert es meist drei bis fünf Tage, bis der Gegenstand auf natürlichem Weg den Körper verlassen hat - also in der Toilette oder der Windel landet.
Unterstützung, etwa mit abführender Ernährung, ist nicht erforderlich. "Früher hat man empfohlen, Sauerkraut zu essen zu geben, das macht man heute nicht mehr", sagt Carsten Posovszky. Eine Wirkung sei nicht erwiesen, vielmehr sei es eher kontraproduktiv und könne je nach Verträglichkeit auch Bauchweh verursachen.