AstraZeneca: Die wichtigsten Fragen zum Oxford-Impfstoff
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn strebt eine sofortige Freigabe des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca für alle Impfwilligen an
Die Schlagzeilen um AstraZeneca haben einige Menschen verunsichert, viele wollen sich aber mit dem Vektor-Impfstoff impfen lassen. Um das möglich zu machen, soll die Priorisierung aufgehoben werden. Was Sie nun über AstraZeneca wissen müssen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (40) möchte die sofortige Freigabe des Corona-Impfstoffs AstraZeneca für alle Impfwilligen erwirken. Somit könnte sich jeder impfen lassen - ohne Priorisierung nach Alter, Vorerkrankung oder Berufsgruppe. Doch gerade bei diesem Impfstoff ist die Verunsicherung groß. Was Sie jetzt wissen sollten.
Die wichtigsten Fragen zu AstraZeneca:
Wie wirkt AstraZeneca?
Anders als die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna ist das Vakzin von AstraZeneca kein mRNA-Impfstoff, sondern ein Vektor-Impfstoff. Der Unterschied zwischen Vektorimpfstoff und mRNA-Impfstoff liegt vor allem darin, wie die Informationen zur Herstellung eines Stücks Virus.ülle in die körpereigenen Zellen kommt - entweder über Nano-Partikel oder über ein ungefährliches Virus. AstraZeneca besteht aus harmlosen Adenoviren in deren DNA ein kleiner Teil des Erbguts des Coronavirus integriert wurde. Dieser Erbgutschnipsel löst eine Kette von Prozessen aus, an deren Ende die Zelle Spike-Proteine des Coronavirus selbst herstellt. Daran trainiert das Immunsystem die Abwehr der "richtigen" Viren.Wieso die Verunsicherung bei AstraZeneca?
Die Ständige Impfkommission empfiehlt, den Impfstoff von AstraZeneca in erster Linie für Über-60-Jährige einzusetzen. Grund sind mehrere Fälle von Hirnvenenthrombosen bei jüngeren Personen. Trotzdem soll nun jeder mit AstraZeneca geimpft werden können - auf eigenen Wunsch und nach ausführlicher Aufklärung. "Der Einsatz des Impfstoffs liegt im ärztlichen Ermessen", heißt es offiziell.Wie hoch ist das Risiko für eine Hirnvenenthrombose bei Jüngeren?
Insgesamt geht die Europäische Arzneimittelagentur davon aus, dass solche Fälle bei einem bis zwei von 100.000 Geimpften auftreten. Damit ist der Nutzen des Impfstoffs fast immer höher als das Risiko dieser sehr seltenen Nebenwirkungen. Eine Untersuchung der Universität Cambridge kommt zu dem Schluss: Selbst bei jüngeren Menschen ist das Risiko für eine Einweisung in die Intensivstation aufgrund einer Covid-19-Erkrankung doppelt so hoch wie das Risiko einer schweren Schädigung durch den Impfstoff.Was sind normale Nebenwirkungen nach einer AstraZeneca-Impfung?
Die Nebenwirkungen, die nach einer Impfung als Zeichen einer Immunreaktion des Körpers auftreten, werden Impfreaktion genannt. Zu ihnen zählen: Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit, Kopf- und Muskelschmerzen sowie Unwohlsein und Schüttelfrost, zuweilen auch Fieber. Diese klingen in der Regel nach einem Tag wieder ab. Wer mit vier bis 16 Tagen Abstand zur Impfung allerdings Nebenwirkungen feststellt, sollte ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.Was hat es mit der niedrigeren Wirksamkeit auf sich?
Menschen, die mit AstraZeneca geimpft wurden, haben ein um 76 Prozent gemindertes Risiko, an Covid-19 zu erkranken. Bei Biontech ist das Risiko um 95 gemindert. Trotzdem sind die 76 Prozent ein guter Wert für einen Impfstoff - viele Grippe-Impfstoffe haben bei Älteren oft nur eine Wirksamkeit von 50 Prozent. Vor allem aber schützt der Impfstoff vor einem Aufenthalt auf der Intensivstation: Nach Angaben einer neuen Großstudie in USA, Chile und Peru schützt AstraZeneca mit einer Wirksamkeit von 100 Prozent vor schweren Krankheitsverläufen.Großer Vorteil: Schnellere Zweitimpfung soll kommen
Zu Spahns Plänen gehört auch mehr zeitliche Flexibilität bei der Verabreichung der zweiten AstraZeneca-Impfung. Bisher liegt der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung bei zwölf Wochen, könnte jetzt aber deutlich gesenkt werden - auf bis zu vier Wochen, was auch noch innerhalb der Zulassung liegt. Mit Blick auf den Sommerurlaub könnte das für viele ein weiterer Anreiz sein. Bei den mRNA-Impfstoffen ist ein Abstand von sechs Wochen empfohlen.
Die hartnäckigsten Mythen rund um die Corona-Impfung:
Behauptung: Die Corona-Impfstoffe könnten bei Frauen zu Unfruchtbarkeit führen.
Bewertung: Falsch.
Fakten: Menschen, die das behaupten, stützen ihre Argumentation in der Regel auf die vermeintliche Ähnlichkeit zwischen dem sogenannten Spike-Protein des Coronavirus, mit dem der Erreger an menschliche Zellen andockt, und dem körpereigenen Protein namens Syncytin-1.Bei gebärfähigen Frauen ist Syncytin-1 etwa für die Bildung der Plazenta verantwortlich, über die der Nachwuchs in der Gebärmutter mit Nährstoffen versorgt wird. Die These ist nun: Wenn der Körper nach einer Impfung eine Immunabwehr gegen das Corona-Spike-Protein bildet, weite sich diese Reaktion zugleich auch auf Syncytin-1 aus und verhindere so die Bildung der Plazenta.
Es gebe jedoch überhaupt keine besondere Ähnlichkeit zwischen den beiden Proteinen, so "dass eine Kreuzreaktion des Impfstoffs im Grunde unmöglich ist", sagte die Leiterin der Forschungsgruppe Biochemie und Bioorganische Chemie an der Universität Leipzig, Annette Beck-Sickinger, der "Freien Presse".
Lars Dölken, Professor für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg, sagte der dpa: Selbst wenn beide Proteine Ähnlichkeiten aufwiesen, könne man nicht schlussfolgern, dass die körpereigenen Abwehrkräfte gegen das Coronavirus auch das Protein Syncytin-1 angriffen.
Zudem: Käme es tatsächlich zu einer solchen erweiterten Reaktion, hätte auch bereits eine Covid-Erkrankung schädliche Auswirkungen auf Schwangere haben müssen, so Dölken. Denn der Körper bildet bei einer Infektion dieselben Abwehrmechanismen wie nach einer Impfung. In Studien zu Sars-CoV-2 wurde allerdings keine erhöhte Zahl an Fehlgeburten oder Komplikationen festgestellt.Behauptung: Eine mRNA-Impfung führt zu Genveränderungen.
Bewertung: Das ist ausgeschlossen.
Fakten: Bisherige Impfstoffe wie etwa gegen die Grippe beinhalten meist abgetötete oder geschwächte Viren oder Teile davon. Die Corona-Mittel von Biontech und Moderna funktionieren anders, nämlich erstmals über die sogenannte mRNA (das "m" steht für "messenger", "RNA" für "Ribonukleinsäure").
Dabei werden keine abgetöteten Sars-CoV-2-Erreger injiziert, sondern nur die Bauanleitung für einen Bestandteil des Virus - das Botenmolekül mRNA. Auf dieser Grundlage stellen die Körperzellen Teile des Viren-Hüllproteins (Spike-Protein) selbst her. Gegen dieses wiederum entwickelt das Immunsystem nun bestimmte Faktoren, so dass es bei einem späteren Kontakt mit dem Coronavirus die Struktur des Proteins wiedererkennen und den Erreger gezielt abwehren kann.
Die Informationen der RNA können dabei nicht in die menschliche DNA eingebaut werden. Das verhindert schon die unterschiedliche chemische Struktur beider. Zudem erreicht die mit der Impfung aufgenommene mRNA gar nicht die Zellkerne, in denen das Erbgut in Form von DNA lagert. Die Botenmoleküle wandern nur ins Zellplasma, wo sie abgelesen und dann rasch abgebaut werden - so schnell, dass es lange als ausgeschlossen galt, sie überhaupt therapeutisch nutzen zu können.
Zwar hatten jüngst US-Forscher herausgefunden, dass in sehr seltenen Fällen und unter extremen Umständen einer Corona-Infektion womöglich kleine Erbgut-Schnipsel des Virus in die menschliche DNA gelangen könnten. Ihre Vorabveröffentlichung, die noch nicht von unabhängigen Forschern geprüft ist, behandelt jedoch keine Impfstoffe. "Völlig ausgeschlossen wird jedoch sein, dass der RNA-Impfstoff in DNA umgeschrieben und integriert wird", betonte seinerzeit etwa Joachim Denner vom Robert Koch-Institut (RKI) hinsichtlich der US-Studie.Behauptung: Bei den Testläufen sind sechs Menschen am Biontech-Impfstoff gestorben.
Bewertung: Falsch.
Fakten: An der Phase-3-Studie von Biontech nahmen 43 448 Menschen teil. Im Studienzeitraum zwischen Ende April und Mitte November 2020 starben sechs der Teilnehmer - allerdings nicht an der Impfung.
"Alle Todesfälle stellen Ereignisse dar, die in der allgemeinen Bevölkerung der Altersgruppen, in denen sie auftraten, mit einer ähnlichen Rate vorkommen", schreibt die für die US-Zulassung des Präparats zuständige Behörde FDA. "Keinen Zusammenhang" der Fälle mit der Impfstudie sieht auch die europäische Zulassungsbehörde EMA: "Andere Vorerkrankungen waren eher die Todesursache."
Vier der Toten in der Studie stammten aus der Vergleichsgruppe, in der die Teilnehmer gar keinen Impfstoff erhielten, sondern ein Placebo. Sie starben zum Beispiel an alterstypischen Krankheiten wie einem Infarkt oder einem Schlaganfall. Einer der beiden Toten aus der Testgruppe, die den Impfstoff erhielt, erlitt rund zwei Monate nach dem zweiten Piks einen Herzinfarkt. Der zweite hatte diverse Vorerkrankungen.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, hatte schon vor der EU-Zulassung des Biontech-Präparats darauf hingewiesen, dass aufgrund der statistischen Wahrscheinlichkeit "Menschen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung versterben werden" - etwa weil zuerst "die alten und hochaltrigen Menschen" geimpft werden, die aufgrund ihres Alters allgemein ein höheres Risiko haben zu sterben.
Bei den bundesweit bis Donnerstag zehn gemeldeten Todesfällen kurz nach einer Corona-Impfung halten Experten des Paul-Ehrlich-Institut. einen Zusammenhang mit der Immunisierung für eher unwahrscheinlich. "Aufgrund der Daten, die wir haben, gehen wir davon aus, dass die Patienten an ihrer Grunderkrankung gestorben sind - in zeitlich zufälligem Zusammenhang mit der Impfung., sagte Brigitte Keller-Stanislawski vom Institut. Bis Donnerstag hatten in Deutschland mehr als 800.000 Menschen eine erste Impfdosis erhalten, darunter mehr als 300.000 Bewohner von Pflegeheimen.Behauptung: Die schnelle Zulassung und die Neuartigkeit des mRNA-Impfstoffs macht das Präparat unsicher.
Bewertung: Falsch.
Fakten: Anders als etwa in Großbritannien oder den USA gab es in der EU keine Notfallzulassung. Stattdessen setzt Europa auf eine sogenannte bedingte Marktzulassung. Der Unterschied: Bei einer bedingten Marktzulassung wird umfassender geprüft und die Hersteller tragen mehr Verantwortung für die Sicherheit des Medikaments.
Angesicht der Pandemie-Lage wurde der Zulassungsprozess für die Corona-Impfstoffe allerdings beschleunigt - es gilt ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren. Dabei können Arzneimittelhersteller schon vor dem vollständigen Zulassungsantrag einzelne Berichte über die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit ihres Präparats einreichen. Es werden also bereits während der Entwicklung neue Erkenntnisse geprüft, nicht erst ganz am Ende.
Das macht das Verfahren schneller, aber nicht unsicherer: "Ein Rolling Review und ein beschleunigtes Bewertungsverfahren bedeuten nicht, dass es Abstriche hinsichtlich der Sorgfalt bei der Prüfung geben wird", schreibt das für Impfstoffe und Arzneimittel zuständige Paul-Ehrlich-Institut.
Obwohl bisher keiner der mRNA-Impfstoffe für Menschen zugelassen war, wurde die Technologie nicht erst im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt. Seit mehr als drei Jahrzehnten wird dazu geforscht - etwa für die Krebstherapie und zum Impfen gegen Tollwut, Zika oder die saisonale Grippe. Auch die deutschen Unternehmen CureVac und Biontech arbeiten schon sehr lange am medizinischen Einsatz der mRNA. Der Wettlauf im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat den Impfstoffen nun zum Durchbruch verholfen.