125 Jahre Automobil
Bis zum Krieg sind Autos den Reichen vorbehalten, währenddessen
den Polit- und Wirtschaftsbossen. Erst als der Wiederaufbau zügig
von statten geht, erfüllt sich für viele Arbeiter und Angestellte
der Traum vom Fahren.
Es sind die frühen Morgenstunden des 19. Juni 1936. Gebannt lauschen mehrere Millionen Deutsche vor den Volksempfängern der Übertragung eines Schwergewicht- Boxkampfes. Ein echter Straßenfeger. Max Schmeling dominiert in dieser Nacht im New Yorker Yankee-Stadion Joe Louis. In der zwölften Runde geht der Amerika.er zu Boden, niedergestreckt von der Rechten Schmelings – und Deutschland jubelt.
Bis zum Public Viewing sollte es noch lange dauern, von TV-Übertragungen keine Spur. Die meisten Sportfans besitzen nicht einmal ein eigenes Radio, sondern treffen sich bei begüterten Freunden – man würde sie heute Early Adopters nennen -, die sich diesen Luxus leisten können. Der Besitz eines Autos ist zu dieser Zeit dagegen ähnlich weit entfernt wie eine Reise zum Mond. Übrigens auch, weil Deutschland mobilmacht und jedes Gramm Stahl für die Rüstung benötigt wird.
Autoboom in Amerika./strong>
Natürlich gibt es weiter Spielzeuge für Reiche. BMW etwa verzückt die Sportwagenszene mit dem 328 Sport Roadster, Maybach baut Repräsentations-Wagen. Auch Horch findet erstaunlich viele Abnehmer der Modellreihe 830; die Kunden sind allesamt gut durch die Wirtschaftskrise zu Beginn der dreißiger Jahre gekommen und wollen ihren Wohlstand in Form chromblinkender Karossen zeigen.
Doch dann ordnet der Generalbevollmächtigte für das Kraftfahrwesen des Deutschen Reichs an, dass Hanomag, BMW, Stoewer und Maybach nur noch in je einer Hubraumklasse fertigen dürfen. Ein Schock für die Hersteller und deren gut betuchte Kundschaft.
Einen Autoboom gibt es nur im fernen Amerika. In den dortigen Metropolen entstehen kilometerlange, nur von Stahlträgern gestützte Straßen auf Stelzen, um die Blechlawine am Fließen zu halten. Das deutsche Volk bewegt sich mit Fahrrad, Bahn oder Pferd fort, einige immerhin auf dem Motorrad.
Zumindest in eine träumbare Nähe rückt das Automobil für den deutschen Arbeiter am 1. August 1938, als die Anspar-Aktion für den VW Käfer beginnt; dieser heißt damals noch KdF Wagen, was für „Kraft durch Freude“ steht. Wer knapp 200 Wochen lang je fünf Mark erübrigen kann, erwirbt ein Anrecht auf die Lieferung des mit 990 Mark eingepreisten Volkswagens. Vorausgegangen war die Grundsteinlegung eines eigenen neuen Werks im niedersächsischen Fallersleben.
Hier soll das von Ferdinand Porsches Konstruktionsbüro ausgearbeitete Auto für jedermann in Serie gehen – und die Vormachtstellung der USA auf diesem Gebiet ins Wanken bringen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs allerdings kann aus diesem Plan nichts werden, denn die Industrie muss die Rüstung unterstützen. Aus dem KdF- wird der Kübelwagen; bis 1945 entstehen hiervon 50.000 Luxuskarossen sind übrigens ausschließlich Polit- und Wirtschaftsbossen vorbehalten, und den Partei-Bonzen reicht der beschlagnahmte Bestand.
Verkehrte Welt: Motoren des Opel Admiral treiben Lastwagen an, Maybach-Triebwerke werden in Panzer eingebaut, die Auslieferung des Käfer wird aufgeschoben. Die Amerika.er dagegen dürfen weiterhin zivile Autos wie den Buick Super 59 kaufen.
Der SUV wird erfunden
Interessanterweise legt der Krieg die Saat eines Trends, die ein halbes Jahrhundert später aufgehen sollte: Für den Einsatz im schweren Gelände lässt die US-Army 1942 den Willys- Jeep konstruieren – der Vorläufer heutiger SUV. Das britische Pendant, der Land Rover, folgt sechs Jahre später, dann allerdings für den zivilen Nutzen ersonnen.
Einer der begabtesten Krabbler kommt aus deutscher Produktion: der Unimog. Sein Name ist eine Abkürzung von Universal-Motor-Gerät. Der allradgetriebene Kleinlaster wird als Schlepper in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt und ist die Autoversion eines Traktors; mit ihr lassen sich vergleichsweise hohe Geschwindigkeiten erreichen.
Ein anderer Trend schwappt nach dem Krieg über den Ärmelkanal: Playboys und Bussi-Bussi-Prinzen gönnen sich einen schicken Roadster. Ein gut verdienender britischer Angestellter dagegen fährt im Jowett Javelin ins Büro, der Kleinwagen lange vor dem Morris Mini. In Frankreich motorisiert ein anderes Gefährt die Landbevölkerung: der Citroën 2 CV, wegen seines Watschel-Fahrwerks liebevoll Ente getauft. Die Federung ist so weich, dass selbst eine Ladung roher Eier den schlaglochübersäten Weg zum Markt ohne Schaden übersteht.
Erste deutsche Sparmarken-Kleber erhalten endlich ihren (jetzt deutlich teureren) VW Käfer. Auch was andere Hersteller an Kunden ausliefern, ist bereits vor dem Krieg erdacht und präsentiert worden. Ford baut den Taunus, Opel den Kapitän. Erst Borgward zeigt 1949 ein komplettes Novum, den im Design amerikanisch anmutenden Hansa, die erste deutsche Neukonstruktion eines Personenwagens. Er folgt bereits der technischen und formgebenden Besonderheit namens Ponton-Karosserie; sie kommt ohne aufgesetzte Kotflügel und Trittbretter aus.
Für weniger Begüterte, also die Mehrheit der Deutschen, muss ein Motorrad reichen; auch hier meist zweirädrige alte Bekannte aus der Zeit vor dem Krieg, die in Scheunen überlebt haben. Doch selbst damit schaffen es Wagemutige über die Alpen – aus heutiger Sicht eine Weltreise, die der Nachkriegs-Wohlstandsbürger mit dem Wohnanhänger unternimmt und damit seine Sehnsucht nach ein wenig heiler Welt stillt. Familien brechen ins Mittelgebirge auf, um auf den Spuren des „Förster vom Silberwald“ zu wandeln, so wie sie es im Kino gesehen haben. Mangels Alpen suchen erlebnishungrige Briten im Königreich nach einem anderen fahrerischen Vergnügen – und finden es bei Lotus. Mk7 heißt der erste Extrem-Roadster, einem Formel-Rennwagen nachgeahmt. Sehr leicht und sehr schnell.
Interesse am Automobil wächst
Die Amerika.er halten die erste Corvette mit einer Karosserie aus Kunststoff dagegen. Wiederum sind diese beiden Modelle unerreichbar für die meisten Deutschen. Ihnen bleibt der Stolz auf den Mercedes Benz 300 SL als wegweisendem Supersportwagen. Davon hat man von einem Bekannten gehört oder im Fachmagazin auto motor und sport gelesen.
Verleger Paul Pietsch besitzt nach dem Krieg den Weitblick, dass Deutschland trotz Trümmerlandschaft und Industrieruinen bald Autos hervorbringen würde, über die es sich zu berichten lohnt. 1946 gründet er die Zeitschrift Das Auto, aus der später auto motor und sport hervorgeht. Bis heute fungieren die Berichte über Autos auch als Katalysator schwer erfüllbarer Begehrlichkeiten – nach dem Krieg sind Magazine gar die einzige Möglichkeit, einen Boliden zu Gesicht zu bekommen. Denn eines ist klar: In heutigen Sommern sieht man mehr perfekt restaurierte Flügeltürer über die Straßen rollen als zu ihrer Entstehungszeit.
Selbst die Erdölkrise 1951 kann nicht verhindern, dass das Interesse an der automobilen Fortbewegung zu wachsen beginnt. Obwohl die Realität vom einfachen Leben des Nachkriegs-Deutschland geprägt ist, träumen vor allem junge Menschen von der großen Freiheit auf Rädern, nehmen amerikanische Jugendliche zum Vorbild, wie sie in den US-Filmen schönfärberisch dargestellt werden. Ein großes Idol ist natürlich Autonarr James Dean, der Prototyp des jungen Rebellen. Tragischerweise stirbt er in seinem Porsche 550 Spyder auf dem Weg zu einem Autorennen.
Deutschland entdeckt das Auto
Nach den Jahren der Entbehrung wird konsumiert, was der kleine Geldbeutel zulässt. Bei einigen wenigen reicht es tatsächlich schon für ein Auto, andere sparen fleißig auf den Käfer, müssen hierfür mittlerweile 4.000 Mark auf die Seite legen. Deutsche Autos sind weltweit beliebt, und das Ausland staunt, wie schnell sich aus den Ruinen eine funktionierende Industrie formt, die auch noch qualitativ hochwertige Produkte hervorbringt. Nach den USA liegt Deutschland 1955 auf Platz zwei der Pkw-Produzenten.
Dass hier ein großer Bedarf liegt, erkennt auch die Politik und treibt den Ausbau der Fernstraßen voran. So entsteht 1956 das Frankfurter Kleeblatt, eine Anschluss- und Verbindungsstelle mit den charakteristischen vier Schleifen. Es wird in Deutschland zur meistverbreiteten Form eines Autobahnkreuzes; darüber tuckern noch immer häufig preiswerte, schwach motorisierte Kleinwagen.
Der Designer Albrecht Graf von Goertz dagegen widmet sich einem exorbitant teuren Produkt: dem BMW 507. Der schnittige V8-Roadster kostet mehr als sechs VW Käfer und wird wegen seiner atemberaubenden Schönheit trotz mäßiger Verkäufe zum Inbegriff des deutschen Traumwagens der Fünfziger – neben dem bereits erwähnten Flügeltürer-Mercedes.
Beide Firmen verlieren aber nicht die Bodenhaftung, sondern entwickeln Autos der gehobenen Mittelklasse. Diese werden Ende des Jahrzehnts reißenden Absatz finden, als sich das Wirtschaftswunder endlich auch in den Geldbeuteln der Arbeiter und Angestellten widerspiegelt. Dass das Auto der Deutschen liebstes Kind sei, hat seinen Ursprung ebenso in dieser Zeit wie das als Qualitäts-Zertifikat geltende „Made in Germany“.
Citroën DS als Zukunftsmodell
Im Nachbarland Frankreich zeigt sich 1955 dagegen erstmals die Zukunft des Automobils. Sie heißt Citroën DS und ist technisch gesehen so ziemlich das genaue Gegenteil des weiterhin produzierten Käfer mit luftgekühltem Heckmotor, Pendelachse sowie Trennung von Bodengruppe und Aufbau.
Doch es ist nicht die selbsttragende Karosserie, nicht das stromlinienförmige Design, nicht die üppige Beinfreiheit im Fond, die dem Citroën den Status des Außergewöhnlichen verleiht, sondern die hydropneumatische Federung. Jedes Rad ist durch den Kolben eines Hydraulikzylinders mit einer Federkugel verbunden – anstelle von klassischen mechanischen Federn und Stoßdämpfern.
Als Technologieträger ist der DS natürlich alles andere als ein Massenauto – und fürs einfache Volk unerschwinglich. Meist parkt deshalb ein günstiger VW Käfer vor der Tür. Eine andere, ehemals sündhaft teure technische Revolution hat es dagegen in die Lebensrealität des deutschen Mittelstands geschafft, thront prominent in der guten Stube und hat den Status des Radios als Mittel der kollektiven Zerstreuung abgelöst: der Schwarz-Weiß-Fernseher.